Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 165(†) St. Viktor, Kreuzgang 1560, 1576
Beschreibung
Epitaph für Rutger van den Speet († 1560) und Gerhard Keup († 1576)1) im Ostflügel des Kreuzgangs, Joch U1.2) Baumberger Sandstein. Schon vor 1945 leicht beschädigt, im Zweiten Weltkrieg zerschlagen. Unter Verwendung der zahlreich erhaltenen Originalfragmente wurde es 2009/10 von Hilmar Müller in der Dombauhütte nach alten Aufnahmen rekonstruiert und am 4. Juli 2010 an seinem alten Platz im Kreuzgang feierlich enthüllt. Das Epitaph besteht aus einem Bildrelief in architektonischer Rahmung und zwei separat gearbeiteten, unten angesetzten Schrifttafeln. Im Hauptgeschoss sind in Flachrelief Szenen aus der Tobit-Geschichte dargestellt: Im Zentrum Tobit mit einem Spaten in der Hand, offenbar beim Ausheben eines Grabes für einen getöteten Israeliten. Am Boden vor ihm liegen zwei gekreuzte Spaten und ein Seil. Im Hintergrund links ein Gastmahl in der freien Natur, rechts hinten ein weiteres Mal Tobit mit dem Spaten in der Hand, nun schlafend vor einer Mauer sitzend, darüber eine Schwalbe, durch deren Kot er erblinden wird. Im Vordergrund die beiden Kanoniker als kniende Beter. Im Rahmen rechts und links Karyatiden mit Anker und Spaten. Das Gebälk ähnelt einem rankengeschmückten Sarkophag. Im Obergeschoss zwischen Todesgenien, hier verkörpert durch Putten, die sich auf Totenschädel stützen, eine kleine Ädikula mit einer in Flachrelief gearbeiteten Darstellung der Heilung des alten Tobit durch seinen Sohn Tobias, der von dem Erzengel Raphael begleitet wird.3) Im Unterhang eine querrechteckige Inschrifttafel in profiliertem Rahmen mit mittig gesetzter Widmung (A) und sechszeiligem Widmungs- und Sterbevermerk für Gerhard Keup (B). Original erhalten sind lediglich zwei kleine Stücke aus den beiden letzten Zeilen. Darunter eine weitere querrechteckige Tafel in Rollwerkrahmung mit Widmung (C), fünfzeiligem Setzungs- und Sterbevermerk mit Widmung für Rutger van den Speet (D) und einem zweizeiligen Schriftzitat, das eine Mahnung des alten Tobit an seinen Sohn enthält (E). Original erhalten ist etwa ein Drittel der rechten Plattenseite und ein kleines Stück aus den Zeilen 3 und 4 von B. Alle Inschriften sind erhaben herausgehauen.
Ergänzung nach Foto und einem Abrieb Cunos.4)
Siehe Lageplan.
Maße: H. 175 cm; B. 71 cm; Bu. 1,5–1,7 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
- A†
D(EO) · O(PTIMO) · M(AXIMO)
- B
[GERARDO KEVP HVIVS ECCLESIAE / CANONICO, ARCHIDIACONATVS / XA(N)THEN(SIS) SIGILLIFERO, VIRO PIETA=/TE, MODESTIA, AC MVLTA HVM]A=/[NITATE BONIS] OMNI[BVS CHA]RO, / [QVI OBIIT A(NN)Oa) 1576, 9 MAII.]
- C†
D(EO) · O(PTIMO) · M(AXIMO)
- D
[RVTGERO VAN DEN SPEET VICARI]O XANTHEN(SI)[,] PRESEN=/[TIARVM MAGISTRO, VIRO ET PRO]BO, ET CANDIDO, NEC / NON IND[EFESSI PRO ECCLESI]A LABORIS. MORITVR / A(NN)Oa) 1560, [8. IANVARII.b) / EXEC(VTORES) POS(VERVNT)c)]
- E
[PANEM TVVM ET VINVM] TVVM SVPER / [SEPVLTVRAMd) IVSTI CONST]ITVE. TOBIAE . 4.5)
Übersetzung:
(A, C) Dem besten (und) höchsten Gott.
(B) Für Gerhard Keup, Kanoniker an der hiesigen Kirche, Siegler des Archidiakonats Xanten, einen Mann, der wegen seiner Frömmigkeit, Bescheidenheit und großen Menschlichkeit allen Guten lieb und teuer war. Er ist im Jahre 1576 am 9. Mai verstorben.
(D) Für Rutger van den Speet, Vikar und Präsenzmeister in Xanten, einen wackeren und untadeligen Mann, der sich unermüdlich für die Kirche eingesetzt hat. Er ist im Jahre 1560 am 8. Januar verstorben. Die Testamentsvollstrecker haben (dieses Epitaph) errichtet.
(E) Spende dein Brot und deinen Wein beim Begräbnis eines Gerechten. Tobias 4.
Textkritischer Apparat
- Kürzung durch hochgestellten Endbuchstaben.
- Danach Blattranke.
- Buchstabenbestand: POSS.
- Cuno falsch: SEPVLTVSAM.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-23.
- Zur ursprünglichen Hängung s. RBA 74982, zum Zustand vor 1945 RBA 25156 und FM 143020.
- Nach Tb 11.
- RBA 25156, Inv.-Nr. des Abriebs 16696. Die ergänzten Textteile sind in eckigen Klammern wiedergegeben.
- Tb 4,18.
- Vgl. die Charakteristik des Rutger van den Speet in der Inschrift.
- Im Kreuzgang des Mainzer Domes zeigte ein (heute verlorenes) Epitaph von 1550 den Abschied des jungen Tobias von seinem Vater (DI 2 [Stadt Mainz, 1958], Nr. 413).
- DI 71,1 (Trier II [2012]), Nr. 499.
- Ebd., Nr. 596.
- C[urt] Schweicher, Art. Barmherzigkeit, Werke, in: LCI, Bd. 1 (1968), Sp. 245–251. Vgl. dazu Tb 1,19f.
- Vgl. besonders Tb 2,1-6; Tb 12,12.
- Engelskirchen, Inschriften (1937), S. 23, Nr. 2.
- Siehe zu Details Kamphausen, Plastik (1931), S. 120f.; vgl. Schirmer, Plastik (1991), S. 230.
- So auch Goswini in Stiftsarchiv Xanten, B 11, fol. 22; der Kanoniker und Portar weist auch auf die im Folgenden aufgeführten Ämter Keups hin.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2920 von 1540 Juni 26.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 149 mit weiteren Quellenangaben.
- Scholten-Reintjes, Rechnungen (2004), S. XI, Anm. 13. So Stiftsarchiv Xanten, K 46, fol. 92b (1542).
- Zählung nach Wilkes, Studien (1952), S. 108; ehemals Klever Str. 7.
- Siehe Nr. 149.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2628 von 1521 Juli 3; in dieser Urkunde wird sein Tod vorausgesetzt. Johannes van den Speet ist in den Stiftsurkunden als Vikar des Xantener Marienaltars von 1491–1514 nachgewiesen.
- Ebd., Nr. 2691 von 1526 Feb. 19. Das Epitaph des Wessel Hotmann hing vor 1945 gleich neben dem Epitaph Keup/Speet.
- Von der Burg ist oberirdisch nur noch ein (überwaldeter) Wassergraben sichtbar. Die Burg ist auf einem Kartenblatt verzeichnet, das 1813 von den preußischen Leutnants von Voss und Gaffron aufgenommen und gezeichnet wurde. Das Original befindet sich unter der Rubrik „Preußische Kartenaufnahme, 4304 Xanten“ in der Berliner Staatsbibliothek, ein Nachdruck wurde 1993 vom Landesvermessungsamt NRW in Bonn ediert. Zur Wohnung des Rutger van der Speet im Stadtgebiet s. Wilkes, Studien (1952), S. 98 mit Anm. 22, S. 101.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2388,3 und 2398,4, beide von 1554 Feb. 24, sowie Kastner, Urkunden IV (2013), Nr. 2981, Transfix von 1557 Feb. 28.
- Successio, fol. 64r.
- „Dedit epitaphium in ambitu“, Pels II, Deliciae (1734), p. 169.
- Zur Gründungsinschrift des Kanonikers und Pastors von Uedem, Viktor de Speet, aus dem Jahr 1529 s. Nr. 104.
Nachweise
- Archiv der Dombauhütte, Abrieb Cuno (1857/68), Nr. 16696.
- Foto: RBA 25156 (vor 1945).
- LAV NRW R, HS N III Nr. 2 (von Dorth, Notizen [1659–1674]), fol. 59r.
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 144, Nr. 2.
- Hölker, Inventar (1925), H-23.
- Engelskirchen, Inschriften (1937), S. 23, Nr. 2.
- Bambauer/Kleinholz, Inschriften, Teil 2 (1980), S. 216.
- Schirmer, Plastik (1991), S. 230.
- Ley, Epitaphien (2011), S. 7, 10, 13.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 165(†) (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0016501.
Kommentar
Die sehr sorgfältig gearbeiteten, erhabenen Buchstaben weisen keine Auffälligkeiten auf. Das M hat parallele Außenschäfte und einen kurzen Mittelteil; die Bögen von B und R sind recht klein, die Kürzungsstriche ausgebuchtet. Einzelne Anfangsbuchstaben sind höher ausgeführt.
Die Szenerie des Zentralreliefs charakterisiert den mutigen, aufrechten Tobit, der sich unermüdlich für sein Volk engagiert;6) sie folgt der Erzählung im 2. Kapitel des Buches Tobiae unter besonderer Akzentuierung der Gestalt des Totengräbers. Darstellungen der Tobit-Geschichte kommen auf Epitaphien recht selten vor.7) Im Trierer Dom findet sich die Bestattungsszene allerdings sowohl an der Kanzel8) (1570?–1572) als auch am Epitaphaltar des Erzbischofs und Kurfürsten Lothar von Metternich9) (1614). In beiden Fällen dient sie der Illustration der Bestattung als siebtes Werk der Barmherzigkeit10) und dürfte auch im Zusammenhang des Xantener Epitaphs in diesem Sinne zu deuten sein. Die im Bibelzitat E geforderte Verbindung der Bestattung mit einem Gastmahl wird im Buch Tobiae mehrfach thematisiert.11) Die Adelsfamilie Speet führte einen Spaten („speet“) im Wappen.12) Dies wird der Grund dafür sein, dass der Spaten im Zentralrelief und im Rahmen gleich fünfmal abgebildet ist. Die in Xanten singulären Parallelen im Aufbau zu den Epitaphien des Cornelis Floris lässt Kamphausen vermuten, dass der ausführende Bildhauer Floris-Epitaphien gekannt haben dürfte.13)
Pels und die Successio bestätigen das Todesdatum des Epitaphs für Keup.14) Gerhard Keup, der als Notar bezeugt ist,15) wurde am 17. Oktober 1544 ins Kapitel aufgenommen.16) Er war während der Amtszeit des Propstes Johann von Vlatten (1536–1543) dessen Prokurator; die Kellnereirechnungen bezeichnen ihn als Familiar des Propstes.17) Er residierte seit 1548 und wohnte als Siegler des Archidiakonats neben der sog. Neuen Propstei (heute Kapitel 25/26). 1552 erwarb er von Nikolaus Ruter die Kurie 22a.18) Ein Gründungsstein, der Engelskirchen noch bekannt war, aber mittlerweile verschollen ist, bezieht sich auf die Herrichtung dieser Kurie im Jahr 1552, die Keup von 1553 bis zu seinem Tod bewohnte.19) Rutger van den Speet, natürlicher Sohn des Xantener Vikars Johannes van den Speet,20) wurde am 19. Februar 1526 als Vikar des Märtyreraltares auf Wunsch von dessen Stifter Wessel Hotmann zugelassen und investiert.21) Der Familiensitz der Herren von Speet war eine Wasserburg im Westen Xantens. Diese sog. Große Speet lag auf dem Gebiet des heutigen Ortes Willich, ca. 500 m westlich des Berendonckhofes.22) Gerhard Keup und Rutger van den Speet waren die Testamentsvollstrecker des Gerhard Berendonck;23) Rutger van den Speet übernahm nach Berendoncks Tod dessen Kanonikerpfründe.24)
Das Epitaph ist nach Pels eine Stiftung des später verstorbenen Keup,25) daher auch zwei Kanoniker auf dem Zentralrelief. Andererseits ist die Thematik beider Reliefs auf Speet abgestellt, und der Nachruf auf Speet enthält den Hinweis „Executores posuerunt“. Es ist anzunehmen, dass Keup zu den Testamentsvollstreckern des Rutger van den Speet gehört hat.26)