Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 202 St. Viktor, Kreuzgang 1603
Beschreibung
Epitaph für Gerhard (Gerrit) Busaeus (auch Bussens, Buiß oder Bueß) im Nordflügel des Kreuzgangs, Joch U18. Baumberger Sandstein. Die Oberfläche sowie der rechte und der untere Rand weisen leichte Beschädigungen auf. Ein Abbruch an der rechten oberen Ecke war möglicherweise von Beginn an vorhanden, da er nicht zu einem Schriftverlust geführt hat, obwohl der Text in jeder Zeile bis an die Kante reicht. Die hochrechteckige, (heute) rahmenlose Tafel wird vollständig von zwei Texten in Anspruch genommen. Das Grabgedicht A verbindet in poetischer Form eine Grabbezeugung mit ausführlichen biographischen Angaben und einem Totenlob. Davon abgesetzt ist der Sterbevermerk (B), der die beiden letzten Verse umfasst und als Chronodistichon mit vergrößerten Zifferbuchstaben abgefasst ist. Beide Inschriften sind eingehauen.
Siehe Lageplan.
Maße: H. 101 cm; B. 55 cm; Bu. 2,5 cm, 3,5 cm (Chronodistichon).
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
QVE(M)a) TENEAS QVERIS BREVIS VRNA GERARD(VS)b) AMATA(M) /BVSAEVSc) REQVIE(M) CV(M) GENETRICEb) CAPIT /QVINQ(VE) SACERDOTV(M) GENETRICEd) PROBAQ(VE) PIAQ(VE) /QVOS INTER CLAROS CLARVSe) ETf) IPSE FVIT /SACRIS EMERITV(M) STVDIIS A[C]ADEMICAg) NAMQ(VE) /PRECONE(M) VERBI MISIT ARENA DEI /QVOD MVN(VS) SVPRA TRIGINTA PROTVLIT ANNOSh) /DV(M) POTVIT FIDEI DOGMATA S(AN)CTA DOCENS /SED QVAE VITA PVDE(N)S PIA CASTA PROBATA MORORNEi) /VIRTVTVM CINXIT LAVREA DIA CAPVT /QVIS PAVP(ER)j) QVIS ETk) HOSPES ERAT SITIE(N)SVEl) FAMENSVE /CVI NO(N) DEXTRA DOMVS POTVS ETk) ESCA FVIT /QVOT PVEROS MODICE SORTIS SVSEPITm) ALENDOS /INQ(VE) VIROS LATA SVRGERE FEC[I]Tg) OPE /ERGONE TOT RADIOS PIETATIS CESPITE PARVO /TERRAk) PREMIT IVS, HOC LVGVBRE MORTIS HABET
- B
VNVM ETf) VIGINTI SOLIS PROPE VIDERAT ORBES /FEBRVVS VT VITAn) VESPERE FINIS ERAT
Übersetzung:
(A) Wen du da in dir birgst, fragst du, kleines Gefäß? Gerhard Busaeus genießt jetzt seine ersehnte Ruhe mit seiner Mutter, der tugendsamen und frommen Mutter von fünf berühmten Priestern, unter denen auch er selbst ein berühmter Mann gewesen ist. Denn nach Abschluss der heiligen Studien entsandte ihn die akademische Arena als Verkünder des Wortes Gottes. Dieses Amt übte er mehr als 30 Jahre lang aus und lehrte, solange er konnte, die heiligen Glaubenssätze. Doch soll ich etwa mit dem Preis eines Lebens zögern1), das, so bescheiden, fromm, tadellos und rechtschaffen, wie es war, sein Haupt mit dem göttlichen Lorbeer der Tugenden umgab? Welcher Arme und welcher Fremde wäre da gewesen, durstig und hungrig, dem nicht ein freundliches Haus Trank und Speise geworden wäre? Wie viele Knaben von niedriger Herkunft nahm er auf, um sie großzuziehen, und bewirkte mit großer Mühe, dass sie zu Männern heranwuchsen! Kann denn folglich die Erde unter einem kleinen Rasenstück so viel strahlende Frömmigkeit verbergen? Dies traurige Recht hat sie im Tode.
(B) Fast einundzwanzig Sonnenumläufe hatte der Februar gesehen, als sein Leben abends ein Ende nahm.
Versmaß: Elegische Distichen, B als Chronodistichon.
Datum: 21. Februar.
Textkritischer Apparat
- Die Schrift weist eine Vielzahl von besonderen Buchstabenanordnungen auf, die üblicherweise vermerkt werden. Um den Anmerkungsapparat nicht zu überlasten, werden folgende Phänomene in der Regel nicht kommentiert: verkleinert hochgestellte und/oder über ein Element (Balken oder Cauda) eines benachbarten Buchstabens gesetzte Buchstaben; unter die Grundlinie, ggf. unter einen benachbarten Buchstaben ausgezogene Cauden; leichte Überschneidungen von Buchstaben.
- Nexus litterarum durch Verschmelzung der Cauda des G mit dem Schaft des verkleinerten E.
- Zwischen V und S ist ein irrtümlich gehauenes, mit dem vorangehenden V ligiertes und schwächer ausgeführtes A erkennbar.
- Erstes E verkleinert und mit der Cauda des G verbunden, zweites E ebenfalls verkleinert und mit N ligiert.
- L in C eingestellt.
- Nexus litterarum von spiegelverkehrtem E und T.
- Schriftverlust durch Beschädigung der Steinoberfläche.
- S in O eingestellt.
- ORORNE verkleinert und hochgestellt.
- Kürzung durch waagerecht durchstrichenen Schaft des P.
- Nexus litterarum durch Verschmelzung der Schäfte sowie der rechten Balkenhälfte des T mit dem oberen Balken des E.
- VE verkleinert über der Zeile.
- Richtig: SVSCEPIT.
- Richtig: VITAE.
Anmerkungen
- Wörtlich: „ein Leben zurückhalten, das…“
- Pels II, Deliciae (1734), p. 308; Successio, fol. 79r, 80r. In den Stiftsurkunden wird er regelmäßig als Kanoniker und Licenciatus Theologiae bezeichnet, so zusammen mit dem Vikar Heinrich Buyss in Kastner, Urkunden IV (2013), Nr. 3386 von 1581 Apr. 27.
- Pels II, Deliciae (1734), p. 236.
- Ebd., p. 308; Successio, fol. 80r. Busaeus hatte zuvor im Kapitel deutlich zu verstehen gegeben, dass er weder insistiert habe noch insistiere, sich vielmehr mit einer Annahme des Angebots schwer tue. Der Vorgang ist nach Pels und der Successio bezeichnend für Busaeus.
- Generalvikar in spiritualibus des Propstes von Xanten, Kastner, Urkunden IV (2013), Nr. 3438 von 1587 Juni 9, vgl. Nr. 3494 von 1597 Apr. 31 und Successio, fol. 80v (Kommissar des Propstes).
- Pels II, Deliciae (1734), p. 236; Kastner, Urkunden IV (2013), Nr. 3497 von 1597 Dez. 22.
- Ebd., Nr. 3467 von 1591 Nov. 27, Nr. 3468 von 1592 Jan. 24, zuletzt Nr. 3531 von 1602 Aug. 10.
- Ebd., Nr. 3469 von 1592 Feb. 17.
- Pels II, Deliciae (1734), p. 236.
- Wilkes, Studien (1952), S. 84.
- Successio, fol. 80v; Pels II, Deliciae (1734), p. 308.
- Ebd., p. 236; Successio, fol. 79v, 80v. Pels verweist darüber hinaus auf sein Epitaph im Kreuzgang (p. 308). Vgl. Carl Ruland, Art. Busäus Gerhard, in: ADB, Bd. 3 (1876), S. 632 mit falschem Todesdatum, das vom Autor mit dem des Peter Busaeus verwechselt worden sein dürfte.
- [Carl] Ruland, Art. Busaeus, Peter, in: ADB, Bd. 3 (1876), S. 632f.
- Robert Haaß, Art. Busaeus (Buys), in: NDB, Bd. 3 (1957), S. 57.
- Ebd.
- Zählung nach Wilkes, Studien (1952), S. 148.
- Ebd., S. 84, 88. Möglicherweise hat er zeitweilig die Kurie Kapitel 25 bewohnt, das spätere Altersheim beim Krankenhaus (ebd., S. 129).
Nachweise
- Archiv der Dombauhütte, Abrieb Cuno (1857/68), Nr. 16712.
- Engelskirchen, Inschriften (1937), S. 35f., Nr. 37.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 202 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0020203.
Kommentar
Die qualitätvolle Schrift besticht vor allem durch die ausgewogene Proportionierung der Buchstaben und das Gleichmaß ihrer Ausführung. In den ersten Zeilen sind an mehreren Stellen sehr schwach eingeritzte Hilfslinien erkennbar. Das Problem, den sehr langen Text auf dem zur Verfügung stehenden Platz angemessen zu verteilen, wird vor allem bei den Hexametern deutlich. Kürzungen wurden dennoch nur in begrenztem Umfang eingesetzt, stattdessen griff man auf Ligaturen, Verschränkungen und vor allem auf Verkleinerung und Hochstellung von Buchstaben zurück. Das stets mit breitem Balken ausgeführte T ist meist höher gesetzt, damit der Balken über der Oberlinie liegt und weniger Abstand zu den benachbarten Buchstaben benötigt. Platz sparend sind auch ungewöhnliche Ligaturen wie die Verbindung des verkleinerten E mit der Cauda des G (Z. 1, 2, 3). Nexus litterarum bei ET gibt es sowohl mit gespiegeltem E unter dem linken Teil des T-Balkens als auch mit der Verschmelzung von E und Schaft sowie rechtem Balkenabschnitt des T. Verschränkungen wurden an Stellen gewählt, an denen seitlich ausladende Buchstaben wie A, M oder R aufeinander folgen. Die Gestaltung einzelner Buchstaben, etwa des C mit verlängertem unteren Bogenende oder R mit gebogener, weit ausgreifender Cauda, findet sich bereits auf dem 1588 gefertigten Epitaph für Paul Vonhoff (Nr. 198), ebenso das über die Zeile ragende T und das in O eingestellte S (hier in Z. 7 bei ANNOS) und die Vorbereitung des Layouts durch Hilfslinien. Man wird deshalb an die Herstellung beider Stücke in derselben Werkstatt denken. Allerdings ist die Ausführung des Epitaphs für Busaeus hinsichtlich der Schriftausführung ungeachtet der Vielzahl verkleinerter und höher gestellter Buchstaben, Nexus litterarum, Verschränkungen und sogar Einstellungen noch deutlich hochwertiger als die des Vonhoff-Epitaphs.
Gerhard Busaeus, 1538 in Nimwegen geboren, widmete sich ab 1554 zunächst am päpstlichen Kolleg, später in Löwen dem Theologiestudium, das er mit dem Titel eines Lizenziaten abschloss.2) Nachdem er in Kleve als Erzieher des Jungherzogs Johann Wilhelm tätig gewesen war,3) wurde er am 19. Februar 1564 durch Präsentation Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg (Wilhelms III. von Kleve) als Kanoniker am Viktorstift aufgenommen. Am 2. August 1574 wurde er vom Herzog zum Dechanten vorgeschlagen, doch das Kapitel lehnte ab.4) Lange Zeit war er Kommissar des Propstes5) und Offizial der archidiakonalen Kurie in Xanten6), ferner Rektor des Agnetenklosters7). In seiner Funktion als Prokurator des Hl. Kreuzes wurde ihm von der Kirchenfabrik eine jährliche Rente mit der Auflage, am Karfreitag Gelder an die Armen zu verteilen, zur Verfügung gestellt.8) Busaeus zeichnete sich auch durch Herausgabe eines Katechismus aus, der 1572 in Köln gedruckt wurde.9) Im Zusammenhang mit seinem Engagement für die Belebung des religiösen Lebens am Stift und in den Xantener Frauenklöstern standen seine gegen die Profanierung der Michaelskapelle gerichteten Bemühungen.10) Pels und Successio nennen ihn einen freundlichen Mann, Förderer und Erzieher der Studenten.11) Sein Tod am 21. Februar 1603 wird auch von Pels und der Successio berichtet.12)
In der Inschrift wird Gerhard Busaeus als einer von fünf Brüdern bezeichnet, die allesamt als ‚berühmte Priester‘ gepriesen werden. Tatsächlich bekleidete Peter Busaeus (geboren 1540) im Jesuitenorden wichtige Ämter und war Professor der Theologie in Wien, wo er 1587 auch verstarb.13) Johannes Busaeus (1547–1611) studierte am Jesuitenkolleg in Rom, hatte einen theologischen Lehrstuhl an der Mainzer Universität inne und verfasste eine Vielzahl theologischer und historischer Schriften.14) Auch Theodor d. Ä. (1542–1609) und Thomas Busaeus (1548–1585) gehörten dem Jesuitenorden an.15)
Gerhard Busaeus wird 1564–1577 als Inhaber der Kurie 2816) im Bereich des heutigen Stiftsmuseums geführt. Von 1578 bis 1603 wohnte er nachweislich in der Kurie Kapitel 18, also in dem südlichen Teil der Doppelkurie, die sich westlich an das Michaelstor anschloss.17)