Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 224 Markt 16 (vor?) 1624
Beschreibung
Steintafel mit Stiftungsinschrift. Kalkstein. In einer Höhe von 3,25 m in die nördliche Rückwand des Hauses Markt 16 eingefügt. Die Wand ist ein Überbleibsel des 1624 von dem Dechanten Caspar van Ulft erbauten Gartenhauses, das 1945 bis auf die Rückwand zerstört wurde.1) Die Platte ist der westliche von drei heute noch in situ befindlichen Inschriftsteinen.2) Inschrift vierzeilig eingehauen. Oberhalb der ersten Zeile zwei Halterungslöcher, die rechte obere Ecke ist verloren.
Maße: H. 20,5 cm; B. 60,5 cm; Bu. 3,5 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel (neuzeitliche Kopie).
ADALGERVS PRAEPOSITVSa) AD / INSTAVRATIONE(M)b) HVIVSc) ORATORIId) / P(RAE)DIV(M)c) TRADIDITe) · Q(VO)Df) SINGVLIS / ANNIS · II · SOLIDOSg) SOLVIT ·
Übersetzung:
Propst Adalgerus hat zur Wiederherstellung dieser Kapelle ein Eigengut übertragen, das in jedem Jahr zwei Solidi abliefert3).
Textkritischer Apparat
- Ligiertes AE, O, I und V verkleinert auf der Grundlinie.
- TA verkleinert auf der Grundlinie, das A unter dem Balken des T. Zweites A unter dem linken, zweites I unter dem rechten Balken des zweiten T, A auf der Zeilenmitte, I auf der Grundlinie.
- I verkleinert auf der Grundlinie.
- A verkleinert auf der Zeilenmitte, O verkleinert auf der Grundlinie, beide unter dem Balken des T; das erste I unter der Cauda des R.
- R verkleinert unter dem Balken des ersten T, zweites I verkleinert unter dem Balken des zweiten T.
- D in Q eingestellt.
- I verkleinert und über den Balken des L gestellt.
Anmerkungen
- Siehe das Foto von 1947 in: Kat. Xanten Februar 1945 (1994), Tf. 144, S. 194. Über die alte Propstei s. Wilkes, Studien (1952), S. 70ff. Zur Gestaltung der Rückwand des Gartenhauses s. Nr. 226.
- Siehe Nr. 225f. Bei einem vierten Stein handelte es sich um die römische Statue eines Bärenfängers (heute im LVR–Archäologischen Park/RömerMuseum Xanten).
- Die Form SOLVIT kann sowohl Präsens als auch Perfekt sein.
- Oediger, Totenbuch (1958), S. 24: „Adelgerus p(res)b(ite)r ac prep(ositus) et fr(ater) n(oste)r“. Dazu auch Runde, Xanten (2003), S. 349; Classen, Archidiakonat (1938), S. 84, Anm. 4.
- Oediger, Monasterium beati Victoris (1969), S. 267. Die Datierung basiert im Wesentlichen auf einer Datierung der Hände im Totenbuch.
- Zum Problem der zeitlichen Einordnung der Pröpste s. Runde, Xanten (2003), S. 346–350, 352f.
- Stiftsarchiv B 27 (Kapitelprotokolle), Bl. 210. Bader, Dom I (1978), S. 131. Vgl. die fast gleich lautende, vermutlich auf Ulfts Notizen fußende Überlieferung bei Eberhard Wassenberg: „Adalgrus, ob(iit) in die depositionis s. Huberti sub hoc praeposito s. Norbertus fuit canonicus Sanctensis“ (Series et chronologia praepositorum, 1681, abgedruckt bei Oediger, Monasterium beati Victoris [1969], S. 265).
Nachweise
- Pels II, Deliciae (1734), p. 366.
- Engelskirchen, Nachlese (1939), S. 126, Nr. 12.
- Bader, Dom I (1978), Tf. 29, S. 131.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 224 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0022407.
Kommentar
Die Inschrift nimmt Bezug auf die Wiederherstellung der Kapelle in der alten Propstei auf der Südseite der Immunität, der zweiten Kurie östlich von der Michaelskapelle, im Bereich der Häuser 13/14 nach heutiger Zählung. Das älteste Xantener Nekrologium führt in einem Nachtrag aus der Zeit vor 1117 einen Adalgerus als Priester und Propst auf.4) Eine sichere zeitliche Einordnung seiner Amtszeit ist – wie die mehrerer anderer Xantener Pröpste des 11. Jahrhunderts – angesichts der unsicheren Quellenlage umstritten. Die von Oediger vorgeschlagene Datierung der Amtszeit des Adalgerus zwischen 1046 und 10675) ergäbe eine Überschneidung mit der Amtszeit der Pröpste Frithericus und Liudolf.6) Runde vermutet daher, dass Adalgerus nach 1085 Nachfolger des Propstes Hermann von Hochstaden wurde. Die Datierung seiner Amtszeit in das späte 11. Jahrhundert wird durch allerdings sehr viel jüngere Quellen gestützt, u.a. durch eine Notiz des Dechanten Caspar van Ulft: „1089 sub Adalgro (sic!) preposito fuit S. Norbertus canonicus Santensis” (‚1089 war der hl. Norbert Xantener Kanoniker unter dem Propst Adalgerus.’).7)
Die Schrift weist neben zahlreichen kapitalen Formen eingerolltes G und unziales H mit einem sehr niedrigen Bogen auf. Die zahlreichen in unterschiedlicher Höhe über- und untergestellten Buchstaben prägen vor allem in der zweiten und dritten Zeile das Schriftbild. In der ersten Zeile fällt der Nexus litterarum von verkleinerten A und E auf, der weder eine Platz sparende Funktion hat noch aus ästhetischen Gründen nachvollziehbar und somit unnötig ist. Die geschwungene Cauda des R trägt eine Schwellung, die wegen der unklaren Strichführung verschwommen wirkt. Auffällig ist das E, dessen Mittelbalken in allen drei Fällen kurz ausgeführt und erst nachträglich verlängert wurde. Der kurze Mittelbalken des E ist im hohen Mittelalter ungebräuchlich, aber typisch für die Kapitalis der Neuzeit. Ebenfalls ungewöhnlich ist die Verwendung von Quadrangeln als Worttrenner bzw. Satzzeichen im 11. Jahrhundert. In der Inschrift werden sie zur Hervorhebung der Zahl, als Markierung des Satzendes und vor dem Beginn des Relativsatzes gesetzt. Unüblich ist auch der Gebrauch von Satzzeichen in Inschriften des 11. Jahrhunderts. Es handelt sich demzufolge wohl um eine Inschrift, die retrospektiv die Stiftung des Propstes Adalgerus überliefert. Ob sie als Neuanfertigung einer verlorenen Inschrift zu beurteilen ist oder auf anderer, etwa urkundlicher Überlieferung fußt, ist unklar, Vorlagen hat es jedoch sicherlich gegeben. Hinsichtlich der Schriftgestaltung wird man sich an Inschriften des 11. Jahrhunderts aus dem Stiftsbereich orientiert haben. So findet sich die nicht sehr weit verbreitete Unterstellung eines I unter die Cauda eines R (in ORATORII) auch auf dem Grabstein für einen Engilbraht (Nr. 4). Auch die nachträgliche Verlängerung der Mittelbalken beim E weist darauf hin, dass man die neu angefertigte Inschrift mit einer mittelalterlichen Vorlage verglichen hat. Der Wortschatz, insbesondere „praedium“ als Eigengut – im Unterschied zum Pachtbesitz – und „solvere“ im Sinne von ‚abliefern’, gehört zum Standardrepertoire der mittelalterlichen Urkundensprache.
Der Anbringungsort der Inschrift am Gartenhaus des Dechanten Caspar van Ulft gibt einen Hinweis auf den wahrscheinlichen Auftraggeber der Inschrift und auf den Zeitpunkt ihrer Anfertigung. Van Ulft ließ neben dem Adalgerus-Stein die Nachbildung eines römischen Ziegels in die Hauswand einfügen (Nr. 225).