Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 251 Marienbaum, St. Mariä Himmelfahrt M. 17. Jh.
Beschreibung
Zwei zusammengehörige Fasten- bzw. Hungertücher. Leinen, Filetstickerei. Klosterarbeit, von Nonnen des ehemals in Marienbaum ansässigen Birgittenordens hergestellt. Das größere Tuch wird in der Fastenzeit vor dem Hochaltar aufgehängt, das kleinere vor dem rechten Seitenaltar. Im Zentrum des großen Tuches ein leeres Kreuz, nur mit drei Nägeln und Dornenkrone bestückt, der von einer Kartusche gerahmte Titulus wird von zwei Engeln gehalten (F). Darüber eine Aufforderung zur Andacht in Form einer Bibelparaphrase (A) zwischen Sonne und Mond, die im Anklang an die Passionsgeschichte nach Matthäus verdunkelt sind. Am Fuß des Kreuzes die Schmerzensmutter, mit dem Leichnam des Sohnes auf dessen leerem Sarkophag sitzend (Objektbezeichnung C als Bildinschrift an der Vorderseite). Links davon der Garten Gethsemane, rechts die Stadt Jerusalem. Unterhalb des Kreuzes ein Bibelzitat als exegetische Bildbeischrift, ergänzt durch eine an drei Seiten umlaufende Bordüre aus Weinreben (B). Auf die Fläche rechts und links vom Kreuz sind weitere Arma Christi verteilt, die auf unterschiedliche Szenen aus der biblischen Passionsgeschichte hinweisen: die Schwurhand des Petrus und der Hahn, die Büste des Apostels und das Schwert mit dem Ohr des Malchus, die dreißig Silberlinge des Judas und die in vier Packen geteilten Kleider Jesu1). Zwei Standarten auf hohen Stangen tragen über einem Herz das Nomen sacrum Jesu mit Kreuz auf dem Balken des H, das sich auf seinem Gewand mit drei Würfeln weiter unten wiederholt (D), bzw. das Hoheitszeichen des römischen Staates (E). Im oberen Drittel des Tuches die vier Evangelistensymbole, trapezförmig angeordnet über und unter dem Querbalken des Kreuzes.
Das kleinere Tuch zeigt eine Darstellung des Jüngsten Gerichts. Ein Wolkenband teilt das Bild in eine himmlische und eine irdische Sphäre. Oben der Weltenrichter mit erkennbaren Wundmalen auf dem Regenbogen sitzend, neben ihm Engel mit Kreuz und Geißelsäule, Maria in Adorantenhaltung und Johannes mit gekreuzten Armen, zu Füßen des Richters schauen die Geretteten über das Wolkenband. Darunter rufen Posaunenengel die Toten zum Gericht. Links werden Gerettete von Engeln zur ewigen Seligkeit geführt, rechts ziehen Teufel die Verdammten ins Feuer. In der auf drei Seiten rahmenden, von Mäanderstäben eingefassten Bordüre Flammen, in den Ecken geometrische Blütenmotive. Als Bildbeischrift oben und unten, in die Bordüre eingestellt und von Posaunenengeln flankiert, ein Aufruf zum Gericht (G).
Maße: Großes Tuch: H. 588 cm; B. 495 cm; Bu. 13,5 cm (A), 23 cm (B), 5 cm (C), 15 cm und 7 cm (D), 10 cm (E), 17 cm (F). Kleines Tuch: H. 375 cm; B. 247 cm; Bu. 13 cm (G).
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
ASPICITE IN AVTHO/REM FIDEI ET CON/SVMMATOREM IH(ESV)M2)
- B
EGO · SVM VITIS · VERAa)3)
- C
SEPVLCHRV(M) // DO(MIN)Ib)
- D
IH(ESV)Sc)
- E
S(ENATVS) P(OPVLVS) Q(VE) R(OMANVS)d)
- F
I . N . R . I .4)
- G
SVRGITE · MORTVI // VENITE · AD · IVDICIVMa)5)
Übersetzung:
(A) Schaut hin zu Jesus, dem Urheber und Vollender des Glaubens.
(B) Ich bin der wahre Weinstock.
(C) Grab des Herrn.
(G) Erhebt euch, ihr Toten, kommt zum Gericht!
Textkritischer Apparat
- Worttrennung durch Quadrangel.
- Danach drei im Dreieck angeordnete Blüten.
- Dasselbe Jesuskürzel mit Kreuz auf dem Querbalken des H auf der rechten Bildseite in Höhe der Dornenkrone.
- Kürzung durch Quadrangel auf der Grundlinie.
Anmerkungen
- Nach Io 19,23.
- Nach Hbr 12,2: „aspicientes in auctorem fidei et consummatorem Iesum“.
- Io 15,1.
- Nach Io 19,19.
- Der in der Predigtliteratur des 17. und 18. Jh. vielfach überlieferte Text wird auf Hieronymus zurückgeführt, siehe dazu Hamm, Religiosität (2011), S. 228, Anm. 309. Vgl. die gleichlautende Inschrift auf einem Gemälde in Hildesheim, DI 58 (Stadt Hildesheim [2003]), Nr. 779 (16.–17. Jh.).
- Johannes H. Emminghaus, Art. Fastentuch, in: RDK VII (1979), Sp. 826–848, <http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89370 > (Zugriff: 06.4.2016).
- Vgl. die entsprechenden Stellen bei den Synoptikern: Mt 27,51, Mc 15,38, Lc 23,45.
- Emminghaus (wie Anm. 6) <http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89370 > (Zugriff: 6.4.2016).
- Creutz, Marienbaum (1927), S. 10.
Nachweise
- Geyer, Marienbaum (1930), S. 24.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 251 (Paul Ley), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0025104.
Kommentar
Fasten- oder Hungertücher sind seit Ende des 10. Jahrhunderts nachgewiesen.6) In katholischen Kirchen verhängen sie, anknüpfend an den Vorhang im Jerusalemer Tempel,7) den Chorraum und verstellen den Blick auf die oft prachtvollen Altäre, um die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf die Passion Jesu zu lenken. Der norddeutsche Typus, den die Xantener Tücher repräsentieren, bedient sich dabei der farbneutralen, weißen Stickerei mit szenischen oder symbolhaften Darstellungen aus der biblischen Passionsgeschichte.8) Die Datierung gründet auf der Beurteilung der Tücher durch Dr. Max Creutz, den früheren Direktor des Kaiser-Wilhelm-Museums Krefeld.9)