didacta 2014: Zukunft des digitalen Lernens
Die Bildungsmesse didacta fand in diesem Jahr vom 25. bis zum 29. März 2014 auf dem Messegelände in Stuttgart statt. Über 900 Aussteller boten den Besuchern ein umfangreiches Angebot rund um das Thema "Bildung". Interessierte aus allen Bildungsbereichen konnten sich fast eine Woche lang auf der größten Fachmesse für Bildungswirtschaft informieren.
klicksafe war auch in diesem Jahr wieder mit einem breiten Informationsangebot und einem Messestand auf der didacta vertreten.
Darüber hinaus hat klicksafe im Rahmen der didacta auch einen thematischen Workshop angeboten.
Workshop: "Handy und mobiles Internet als medienpädagogische Herausforderung für Schule und Elternhaus"
Handy und mobiles Internet haben ihren festen Platz im Alltag von Kindern und Jugendlichen. Trotz vieler Vorteile stellt diese Entwicklung Eltern und Schulen vor große Herausforderungen. Entsprechend groß sind die Unsicherheiten und viele Fragen zur Medienerziehung stellen sich neu. Der Workshop führt in die Welt mobiler Netze, Handys und Apps ein und stellt passende Inhalte und Materialien von klicksafe für Schule und Elternhaus vor.
Die Vorträge fanden am 28.03.2014, 14:00 - 14:45 Uhr / ICS, Raum C6.2.2 statt.
Welche Rolle spielen die neuen Medien im Schulalltag? Was bedeutet es für Schulen und Lehrer, dass die meisten Jugendlichen mittlerweile mobile Hochleistungsgeräte besitzen? Sind stationäre technische Ausstattungen nun obsolet? Und schließlich: Hinken die Konzepte nicht den Entwicklungen von Geräten und Tools hoffnungslos hinterher?
Diese und weitere Fragen werden auf der didacta 2014 in Stuttgart diskutiert. Denn die Zukunft des digitalen Lernens wird ein zentrales Thema der Bildungsmesse sein. Im Vorfeld der didacta wurden Wissenschaftler und Praktiker, die auch in Stuttgart vor Ort sein werden, nach ihrer Meinung und ihren Erfahrungen befragt.
Im ersten Beitrag der dreiteiligen Serie zur Zukunft des digitalen Lernens geht es um BYOD (bring your own device). In Teil 2 und 3 werden Fragen nach den Unterrichtskonzepten und nach der Kompetenz der Lehrer gestellt. Einig sind sich die Experten dabei keineswegs.
Teil 1: Mit dem privaten Smartphone in der Schule lernen – eine gute Idee?
Zu wenig Geld wurde in der Vergangenheit investiert, um Schulen digital auszustatten. Nun spricht man allenthalben von Boyd (bring your own device). Müssen Schulen nun endlich weniger technischen Aufwand betreiben, um ein zeitgemäßes digitales Lernen zu gewährleisten?
"Schul-ICT-Verantwortliche müssen erst lernen, mit dieser Heterogenität umzugehen"
Dr. Beat Döbeli Honegger, Professor für Medienbildung und Informatikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz. Weit über die Grenzen hinaus bekannt wurde er mit dem iPhone-Projekt in einer 5. Klasse der Schule Goldau:
"Im Gegenteil, kurzfristig erhöht BYOD eher den technischen Aufwand, denn statt der bisher schulisch kontrollierten homogenen Systemumgebungen muss mit BOYD nun eine Umgebung zur Verfügung stehen, die mit einem sehr heterogenen Gerätepark umgehen können muss. Unterschiedliche Hardware, unterschiedliche Betriebssysteme und unterschiedliche Software will nun im Schulhaus aufs Netz (Kabel und insbesondere WLAN) und die vorhandenen Geräte wie Drucker und Beamer nutzen können. Schul-ICT-Verantwortliche müssen erst lernen, mit dieser Heterogenität umzugehen."
"Ich plädiere für eine neue bundesweite Initiative"
Dr. Torben Schmidt, Professor für Didaktik des Englischen am Institute of English Studies an der Leuphana Universität Lüneburg. Forschungsschwerpunkte: qualitative Forschung im Englischunterricht, Fremdsprachenlernen mit digitalen Kommunikationsmedien und Blended Learning Szenarien in der Lehreraus- und –weiterbildung:
"Wir sehen im Privatbereich der Schüler eine Mediennutzung, die sich komplett von der in der Schule unterscheidet. Die Frage lautet also: Wie können wir diese beiden Welten verbinden? BYOD ist bestimmt eine interessante Strategie. Dafür brauchen wir klare Spielregeln und Modelle. Nicht alle Schüler haben ein brauchbares mobiles Gerät. Hier muss also eine Lösung gefunden werden. Auch Wartung und eine regelmäßige Aktualisierung der Geräte müssen gewährleistet sein. Ich bezweifle, dass der Betreuungsaufwand geringer wird, er wird nur auf einen anderen Bereich ausgelagert. Es ist nicht mehr der Informatiklehrer, der ein paar Stunden in der Woche damit verbringt, den Computerraum auf den aktuellsten Stand zu bringen. Es wird vielmehr darum gehen, Strategien zu entwickeln, für diesen Computereinsatz in der Schule. Die Geräte müssen mit Blick auf die zu installierenden Programme gepflegt, mit Blick auf die Privatsphäre geschützt werden, und es muss sichergestellt werden, dass mit den privaten Geräten kein Unsinn im Schulnetzwerk gemacht wird. Es braucht ein gewisses Maß an Kontrolle einerseits und ein enormes Maß an Offenheit in der Schule andererseits. Ich plädiere für eine neue bundesweite Initiative, die dafür sorgt, die Schüler in die Schulnetze zu bringen, und zwar mit klaren Spielregeln."
"Man kann Lösungen finden"
André J. Spang ist Oberstudienrat am Kaiserin Augusta Gymnasium in Köln, Mitinitiator des "Schulwiki" der Stadt Köln, Leiter des iPad-Projekts an seiner Schule, Mitgründer von #edchatDE und Lehrbeauftragter an der Universität Augsburg.
"Auch bei BYOD müssen Voraussetzungen vom Schulträger geschaffen werden. Es muss ein leistungsfähiges WLAN vorhanden sein, damit alle Schüler ins Internet kommen. Bisher sind die meisten Schulen jedoch an einer lächerlichen Bandbreite angeschlossen. Und es kann nicht funktionieren, wenn in einer Standardschule einige Klassen gleichzeitig über einen DSL-Zugang ins Netz gehen wollen. Für ein Land wie Deutschland ist diese gegenwärtige Ausstattung unhaltbar. Deswegen spreche ich auch davon, dass "de" "digitales Entwicklungsland" bedeutet. Da muss also dringend Geld in die Hand genommen werden. Ein weiterer Punkt: Für BYOD sind Standardanwendungen notwendig oder es werden Tools aus dem Netz genutzt. Aber da gibt´s wieder Probleme: Was darf davon in der Schule genutzt werden? Andererseits: Wir müssen ja einfach nur Straßenbahn fahren, dann sehen wir, dass nahezu jeder Jugendliche ein mobiles Gerät besitzt. Und da sollte man schon überlegen, ob und wie diese Geräte auch im Unterricht genutzt werden könnte. Grundvoraussetzung ist, dass jede Schule über einen Pool an mobilen Geräten verfügt, damit Schüler ohne entsprechende private Ausstattung aufgefangen werden könnten. Also: Man kann Lösungen finden."
"Der technische Aufwand kann sich im ungünstigen Fall sogar verstärken"
Dr. Katharina Scheiter und Dr. Peter Gerjets. Die Professorin Katharina Scheiter leitet die Arbeitsgruppe Wissenserwerb mit Multimedia am Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Peter Gerjets ist Professor für Lehr-Lernforschung an der Universität Tübingen und Leiter der Arbeitsgruppe Wissenserwerb mit Hypermedia am Leibniz-Institut für Wissensmedien.
"Die Idee von BYOD verträgt sich nicht mit der in Deutschland vorliegenden und in einigen Bundesländern verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Lernmittelfreiheit. Gerade Familien mit mehreren Kindern, von denen jedes ein eigenes Gerät benötigt, kommen da schnell an ihre Grenzen. Außerdem bleiben in der Schule technische Probleme oftmals bestehen: Die Kinder kommen dann mit unterschiedlichen Geräten und Betriebssystemen, Software-Versionen und Einstellungen in die Schule und die Lehrkräfte müssen zusehen, wie sie Anwendungen zum Laufen bekommen, verschiedene Versionen von Unterrichtsmaterialien bereit stellen und gewährleisten, dass alle Schüler ihre Geräte gleichermaßen für Unterrichtsaufgaben nutzen können. Da es sich um private Geräte handelt, haben die Schulen auch weniger Möglichkeiten zu kontrollieren, welche Anwendungen auf den Geräten installiert werden und z. B. Kommunikationstools oder Web 2.0 Anwendungen zu verbieten. Mit BYOD verlagert man die finanziellen Kosten vom Schulträger auf die Eltern und der technische Aufwand kann sich im ungünstigen Fall sogar verstärken.
Vorteile von BYOD sind jedoch darin zu sehen, dass tatsächliche jeder Schüler sein eigenes Gerät hat, welches mit nach Hause genommen werden kann, dort auch zur Hausaufgabenbearbeitung eingesetzt werden kann und kontinuierlich im Unterricht eingesetzt werden kann. Schulen sind dagegen oftmals nur mit einem Klassensatz von Geräten ausgestattet, der für einzelne Unterrichtsstunden reserviert werden muss. Das heißt, die Schüler müssen die Geräte am Ende der Unterrichtsstunde wieder abgeben und nutzen die Geräte nur sporadisch. Lehrer schreckt dieser höhere Koordinationsaufwand möglicherweise ab und sie verzichten auf den Einsatz digitaler Medien im Unterricht."
"Die Schüler bringen ihre eigene Verantwortlichkeit für ihr Lernen mit"
Richard Heinen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Learning Lab der Universität Duisburg - Essen und Koordinator des Interreg-Forschungsprojekts School-IT Rhein-Waal, bei dem die Schüler ihre privaten Geräte (Smartphones, Tablet PCs) im Unterricht einsetzen.
"Eigentlich ein Super Gau für Lehrer: Er kann die Geräte nicht bedienen und jeder Schüler hat ein anderes System. Aber ich kann es auch anders betrachten und sagen, die Schüler bringen ihre eigene Kreativität, ihre eigene Verantwortlichkeit für ihr Lernen mit. Wenn ich den Schülern diese Freiheit gebe als Lehrer, dann bin ich ein bisschen davon entlastet, alles technisch können zu müssen. Ich kann auch viel von den Schülern lernen. Die Schüler haben viel mehr Ideen, als ich sie eventuell habe. Auf schulische Ausstattung kann ich allerdings nicht ganz verzichten. Es ist sinnvoll, noch eine gewisse Einheitlichkeit vorzuhalten, vor allen Dingen für die jüngeren Jahrgänge. Und die Schulen brauchen einen Ausleihpool, wenn mal ein bestimmtes Gerät in der Klasse nicht verfügbar ist. Zudem werden so soziale Härten ausgeglichen."
"BYOD ist administrativ für die einzelne Schule kaum zu bewerkstelligen"
Maja Wechselberger, Lehrerin für Deutsch, Politik und Wirtschaft und Schulleiterin am Neuen Gymnasium Rüsselsheim. Als erste Schule im Kreis arbeitete das Neue Gymnasium mit Smartboards anstatt mit Tafel und Kreide:
"Die Ausstattung der Schulen ist sehr unterschiedlich. Und nach der Anschaffung der technischen Geräte müssen auch deren Wartung und Betreuung sichergestellt werden. Jede Schule muss – eventuell auch über den Schulträger – selbst organisieren, ob dies von Lehrkräften oder wenigstens zum Teil vom Schulträger übernommen wird. Je nach Organisationsform der Schule können auch Dienstleister beauftragt werden, die Schulen dabei zu unterstützen.
Begleitend zur technischen Ausstattung mit Tablets ist es wichtig, die Infrastruktur für den Netzzugang zu schaffen. Hier geht es um Dinge wie WiFi-Access-Points und ausreichende Bandbreite. All dies muss finanziert, installiert und betreut werden. Natürlich müssen immer auch die gesetzlichen Vorgaben eingehalten und gegebenenfalls Sondergenehmigungen eingeholt werden. Das häufig diskutierte Thema "bring your own device" würde ich vor diesem Hintergrund nicht befürworten. Es ist administrativ für die einzelne Schule kaum zu bewerkstelligen und auch für das Kollegium ist es ungleich schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich, mit IOS, Android, Windows und Linux gleichzeitig in einer Unterrichtsstunde zu arbeiten."
Teil 2: Die Technik ist da – aber die Konzepte fehlen?
Flächendeckende technische Ausstattung der Schulen vs. der Nutzung von privaten Endgeräten im Unterricht – dazu haben Wissenschaftler und Praktiker im ersten Beitrag unserer dreiteiligen Serie zur Zukunft des digitalen Lernens aus unterschiedlichen Stellung genommen. In Teil II geht es nun um die Frage, ob und welche passenden Unterrichtskonzepte es gibt. Im letzten Teil stellen wir die Fragen nach der Kompetenz der Lehrer.
So ganz scheint es mit dem digitalen Lernen an deutschen Schulen noch nicht zu klappen. Ein Vorwurf lautet: Es fehlen Konzepte und Inhalte. Ist dieser Vorwurf berechtigt?
"Ein gutes E-Book würde enorme Vorteile für das Lernen bringen"
Dr. Torben Schmidt, Professor für Didaktik des Englischen am Institute of English Studies an der Leuphana Universität Lüneburg. Forschungsschwerpunkte: qualitative Forschung im Englischunterricht, Fremdsprachenlernen mit digitalen Kommunikationsmedien und Blended Learning Szenarien in der Lehreraus- und –weiterbildung:
"Das Problem in der Entwicklung von digitalen Schulbüchern ist, dass man häufig im eigenen Saft schmort. Dass man häufig altbewährte Konzepte aus den gedruckten Lernmedien zu übertragen versucht und es darüber hinaus insgesamt auch zu wenig Forschung zur Effizienz der Arbeit mit digitalen Lernmedien gibt. Aus den Workbooks zum Beispiel werden Übungsformate übernommen, ohne bestimmte Dinge neu zu denken. Jeder Verlag denkt im Moment nach: Wie wird das Schulbuch der Zukunft aussehen? Ein gutes E-Book könnte enorme Vorteile für das Lernen und für die Unterrichtsgestaltung bieten. Stellen Sie sich ein Englischlehrwerk vor, das nicht einfach aus Text besteht, sondern das viel mehr bietet: Die Schüler können sich Lieder und Vokabeln anhören, authentische Videos anschauen, individualisierte Übungen aufrufen, sich eigene Bereiche anlegen – also das Lehrwerk zu ihrem Lehrwerk machen. Es würde also sehr individualisiert möglich sein, dieses Buch zu nutzen. Es wäre auch möglich, aus dem Buch heraus mit Muttersprachlern einer Partnerklasse Kontakt aufzunehmen. Alles Dinge, die das Fremdsprachenlernen viel besser machen und die Klassenräume öffnen würden.
Das Problem ist, dass viele Verlage versuchen, Altbewährtes zu reproduzieren und zu wenig Mut beweisen, wenn es um neue Produkte geht. Beispiel: Das digitale Schulbuch ist eine PDF-Version mit ein paar kleinen Zusatzfunktionen. Aber es geht auch anders. Hier kann man sich in Bereichen außerhalb des Bildungsmarktes sehr viele Anregungen für gelungene Transfer-Konzepte vom gedruckten zum Online-Medium holen, vor allem was die Verknüpfung verschiedener multimedialer Inhalte und die Bedienbarkeit und Interaktivität betrifft. Wenn man sich etwa das E-Paper der Wochenzeitung ´Die Zeit` anschaut und dies mit der gedruckten Zeitung vergleicht, da merkt man, es sind ganz andere Prinzipien aktiv, wie Menschen heute digitale Angebote wahrnehmen und nutzen möchten. Darauf müsste man stärker achten."
"Der Kreativität der Schüler sind kaum Grenzen gesetzt"
Richard Heinen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Learning Lab der Universität Duisburg - Essen und Koordinator des Interreg-Forschungsprojekts School-IT Rhein-Waal, bei dem die Schüler ihre privaten Geräte (Smartphones, Tablet PCs) im Unterricht einsetzen.
"Wenn ich als Biologielehrer das Thema Klimawandel im Unterricht behandele, kann ich doch die Schüler fragen: Was können wir mit den Geräten machen? Und dann kommen Ideen: Wir können eine Präsentation machen, einen kleinen Film, ein Experteninterview, einen Trickfilm.
Ein anderes Beispiel: Die Schüler sollen sich im Englischunterricht auf Bewerbungsgespräche vorbereiten. Dabei wird ihnen freigestellt, wie sie lernen wollen. Schließlich bietet das Smartphone eine ganze Reihe von Möglichkeiten: Man kann ganz traditionell mit Lernkarteien lernen, Schüler können im Dialog üben, das Bewerbungsgespräch kann gefilmt und anschließend analysiert werden. Oder es wird mit einem Audio-Lückentest gearbeitet: Die Fragen des Gesprächspartners werden aufgezeichnet und die Schüler sprechen dann ihre eigenen Antworten ein. Ein Lernszenario, das sich auf viele andere Fächer übertragen lässt. Und zudem das Know How und die Motivation der Schüler nutzt. Projekt School IT Rhein Waal jedenfalls haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Kreativität der Schüler kaum Grenzen gesetzt sind."
"Das Potenzial digitaler Medien wird bei Weitem nicht ausgeschöpft"
Dr. Katharina Scheiter und Dr. Peter Gerjets. Die Professorin Katharina Scheiter leitet die Arbeitsgruppe Wissenserwerb mit Multimedia am Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Peter Gerjets ist Professor für Lehr-Lernforschung an der Universität Tübingen und Leiter der Arbeitsgruppe Wissenserwerb mit Hypermedia am Leibniz-Institut für Wissensmedien.
"Flächendeckend kann man nicht von einer didaktisch sinnvollen Nutzung digitaler Medien im Unterricht sprechen, auch wenn es immer wieder einzelne Initiativen von engagierten Lehrkräften und Schulen gibt, die vielversprechend erscheinen. Das heißt nicht unbedingt, dass Medien im Unterricht nicht eingesetzt werden. Viele Lehrkräfte setzen Medien ein, um Informationen durch die Schüler recherchieren und in Präsentationen aufbereiten zu lassen. Das ist sicherlich auch eine gute Idee, aber schöpft das Potenzial digitaler Medien bei Weitem nicht aus. Digitale Medien erlauben es, dynamisch-interaktive Formate wie Animationen und Simulationen bereitzustellen, interaktive Aufgabenformate mit individualisiertem Feedback anzubieten, eine Anpassung und damit Individualisierung der Unterrichtsmaterialien vorzunehmen und Schüler auch gestalterisch tätig werden zu lassen. Unsere Umfragen unter Lehrkräften zeigen aber, dass von diesen Möglichkeiten im Unterricht nur wenig Gebrauch gemacht wird. Die Ursachen für diese wenig innovative Nutzung von Medien sind dabei vielfältig.
Bereits in der Ausbildung von Lehrkräften an den Hochschulen wird es versäumt, Lehrkräfte mit einem didaktisch sinnvollen Medieneinsatz vertraut zu machen, sie bei der Entwicklung von mediengestützten Unterrichtskonzepten anzuleiten und ihnen auch wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Thema zu vermitteln. Interessanterweise ändert sich daran nur wenig, sodass junge ebenso wie erfahrenere Lehrkräfte nur auf wenig Wissen aus ihrer Ausbildung zurückgreifen können.
Die großen Schulbuchverlage haben sich im letzten Jahr zu einer Initiative "digitale Schulbücher" zusammengeschlossen und bieten nun auf einer Web-Plattform digitale Unterrichtsmaterialien an. Diese entsprechen aber häufig nur PDF-Versionen der gedruckten Schulbücher, enthalten also keine dynamisch-interaktiven Inhalte, keine interaktiven Aufgaben etc. Die Angebote bleiben also weit hinter den Potenzialen digitaler Medien zurück. Wir versuchen diesem Problem entgegenzuwirken, indem wir als Forschungseinrichtung mit den Schulbuchverlagen kooperieren und Prototypen entwickeln, in deren Gestaltung wir wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zum Design digitaler Instruktionsmaterialien einfließen lassen. So tragen wir gleichzeitig dazu bei, dass Forschungsbefunde zu diesem Thema auch tatsächlich in der Praxis rezipiert und angewendet werden."
"Schulbuchverlage sollten eine tragende Rolle übernehmen"
Maja Wechselberger, Lehrerin für Deutsch, Politik und Wirtschaft und Schulleiterin am Neuen Gymnasium Rüsselsheim. Als erste Schule im Kreis arbeitete das Neue Gymnasium mit Smartboards anstatt mit Tafel und Kreide:
"Ein wesentliches didaktisches Prinzip ist es, mit den Lerninhalten an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen. Der Großteil der Jugendlichen nutzt täglich Smartphone, PC, Internet und soziale Netzwerke. An dieser Stelle ist es wichtig, dass die Jugendlichen nicht sich selbst überlassen werden und bei dem Erlernen des kritischen und reflektierten Umgangs damit unterstützt werden. Dazu müssen sicherlich auch neue Unterrichtskonzepte entwickelt und der Mehrwert der technischen Möglichkeiten erprobt werden, doch gerade Schulen müssen den technischen Wandel der Gesellschaft aufnehmen. Im Sinne des Auftrages, die Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern zu erziehen ist es wichtig, die Jugendlichen mit kritischen Fragestellungen zum Medienumgang zu konfrontieren sowie deren Nutzen und die positiven Möglichkeiten aufzuzeigen. Bezüglich der Konzepte wäre es sinnvoll, wenn die Schulbuchverlage mit ihren pädagogischen Erfahrungen und ihren Kontakten eine tragende Rolle übernehmen würden. Parallel dazu stellen derzeit auch zahlreichen Foren und Hardwareanbieter digitale Lerninhalte bereit.
Doch noch ein ganz anderer Aspekt verdient Beachtung: An unserer Schule kann mithilfe der technischen Ausstattung der Schulalltag eines sehbehinderten und eines kleinwüchsigen Kindes erheblich erleichtert werden. So reduzieren Schulbücher in digitaler Form das Gewicht des Ranzens, Dokumentkameras ermöglichen eine sehr gute Sicht bei diversen Experimenten oder helfen bei der Bearbeitung eines Deutschaufsatzes, sprachliche Phänomene in einer Schülerarbeit für die gesamte Lerngruppe gut sichtbar darzustellen."
"Die Schüler müssen selbst aktiv werden"
André J. Spang ist Oberstudienrat am Kaiserin Augusta Gymnasium in Köln, Mitinitiator des "Schulwiki" der Stadt Köln, Leiter des iPad-Projekts an seiner Schule, Mitgründer von #edchatDE und Lehrbeauftragter an der Universität Augsburg.
"Die Inhalte sind doch klar, sie stehen in den Lehrplänen. Es gilt bloß, zu überlegen, was sieht es in der Praxis aus, wenn man das Internet in den Klassenraum holt? Die Aufbereitung ist eine andere, es gibt keine kopierten Buchseiten mehr und keine langen Erzählungen des Lehrers. Die Schüler müssen selbst aktiv werden. Sie können selbstständig arbeiten: vernetzt oder auch individuell. Und wenn ein Schüler statt einer digitalen Präsentation lieber ein Plakat macht, ist das auch in Ordnung. Bei all dem lernen die Schüler, mit Medien umzugehen."
"An Konzepten und Inhalten fehlt es nicht"
Dr. Beat Döbeli Honegger, Professor für Medienbildung und Informatikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz. Weit über die Grenzen hinaus bekannt wurde er mit dem iPhone-Projekt in einer 5. Klasse der Schule Goldau:
"Ich denke nicht, dass es an Konzepten und Inhalten fehlt. Aus meiner Sicht sind das Stellvertreterargumente. Ich sehe es eher so, dass Lehrpersonen die entsprechenden Konzepte nicht kennen oder nicht für sinnvoll erachten. Der Leitmedienwechsel ist eine wichtige, aber nicht die einzige Herausforderung der Schule. Wenn Lehrpersonen ihre Prioritäten anders setzen, so steht halt digitales Lernen nicht an erster Stelle. Damit sich das ändert, müssen Lehrpersonen sich überhaupt mit dem Thema beschäftigen. Dazu benötigt es sanften Druck, aber auch die notwendige Zeit, um sich damit auseinanderzusetzen."
Teil 3: Lernen von anderen und Learning by doing
Das Lernen mit privaten Smartphones in der Schule sowie Unterrichtskonzepte und digitale Schulbücher waren Themen der ersten beiden Beiträge der dreiteiligen Serie zur Zukunft des digitalen Lernens. Zum Abschluss haben wurden die Interviewpartner gefragt, ob und wie die Lehrkräfte auf das "neue" Lernen vorbereitet sind.
Wie können sich Lehrerinnen und Lehrer fit machen fürs digitale Lernen?
"Nicht gleich die Flinte ins Korn werfen"
André J. Spang ist Oberstudienrat am Kaiserin Augusta Gymnasium in Köln, Mitinitiator des "Schulwiki" der Stadt Köln, Leiter des iPad-Projekts an seiner Schule, Mitgründer von #edchatDE und Lehrbeauftragter an der Universität Augsburg.
"Mein Vorschlag: Einfach mal im Netz recherchieren, bei Lehrer online oder ZUM. Oder bei #edchatDE, dem wöchentlich stattfindenden Twitterchat zu Bildungsthemen, reingucken. Das Fortbildungsangebot für Lehrer ist eher dünn und geht vorwiegend in Richtung Prävention. Das kann auch daran liegen, dass die Entwicklungen auf dem Gebiet viel zu schnell sind, um Fortbildung organisieren zu können. Das Wichtigste ist: Einfach mutig sein, probieren und nicht beim ersten Mal die Flinte ins Korn werfen. Bei jedem geht etwas schief, das ist auch früher so gewesen: Da habe ich meinen Block vergessen oder die Kreide war alle und der Hausmeister nicht da und jetzt funktioniert vielleicht irgendeine Anwendung nicht auf Anhieb."
"Sehr viel hängt von der einzelnen Lehrkraft ab"
Dr. Katharina Scheiter und Dr. Peter Gerjets. Die Professorin Katharina Scheiter leitet die Arbeitsgruppe Wissenserwerb mit Multimedia am Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Peter Gerjets ist Professor für Lehr-Lernforschung an der Universität Tübingen und Leiter der Arbeitsgruppe Wissenserwerb mit Hypermedia am Leibniz-Institut für Wissensmedien.
"Bislang sind Lehrkräfte Autodidakten, wenn es um digitales Lernen geht. Sie sind darauf angewiesen, selber zu recherchieren, welche Angebote es im Netz gibt und sich aber auch mit Kollegen und Kolleginnen anderer Schulen auszutauschen. Anregungen kann hier z. B. auch das vom Leibniz-Institut für Wissensmedien entwickelte Portal e-teaching liefern, welches ein breites Informationsangebot zur Nutzung digitaler Medien in der Lehre kostenfrei bereit stellt. Auch wenn sich das Portal primär mit medienbasierter Lehre im Hochschulkontext beschäftigt, sind viele Informationen z. B. zum didaktischen Design auf schulischen Unterricht übertragbar. Zusätzlich gibt es natürlich Lehrer-Weiterbildungen, die Lehrkräfte für digitales Lernen fit machen sollen und die auch eine Plattform zum Erfahrungsaustausch bieten. Momentan hängt es leider sehr von der einzelnen Lehrkraft ab, wie fit sie sich selbst gemacht hat. "Wir müssen den Mehrwert finden"
Dr. Torben Schmidt, Professor für Didaktik des Englischen am Institute of English Studies an der Leuphana Universität Lüneburg. Forschungsschwerpunkte: qualitative Forschung im Englischunterricht, Fremdsprachenlernen mit digitalen Kommunikationsmedien und Blended Learning Szenarien in der Lehreraus- und –weiterbildung:
"Wir brauchen mehr Fort- und Weiterbildung und wir brauchen auf jeden Fall neue Konzepte, die wir umsetzen können. Wir müssen auch in diesem Bereich verstärkt forschen, um zu sehen, wie Unterrichtsprozesse mit digitalen Medien in verschiedenen Kontexten ablaufen. Die Frage ist doch: Wie können wir flächendeckend garantieren, dass eine neue Technik sinnvoll eingesetzt wird. Bevor diese Technik in die Klassenräume kommt, muss erst einmal die grundlegende geklärt werden, ob ein Nutzen erkennbar ist. Nicht alles muss auf digital umgestellt werden, gewiss aber punktuell. Und diesen Mehrwert müssen wir finden."
"Gucken, wie andere es machen"
Dr. Beat Döbeli Honegger, Professor für Medienbildung und Informatikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz. Weit über die Grenzen hinaus bekannt wurde er mit dem iPhone-Projekt in einer 5. Klasse der Schule Goldau:
"Es ist schwer, diese Frage pauschal zu beantworten, das hängt von vielen Rahmenbedingungen ab. Am ehesten vielleicht, indem sie sich umsehen, was andere Lehrpersonen auf ihrer Schulstufe und in ihren Themengebieten mit digitalen Medien so machen. Und nicht zu früh denken, das sei zwar anderswo, nicht aber an ihrer eigenen Schule möglich."
"Landesbildungsserver sind hilfreich"
Richard Heinen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Learning Lab der Universität Duisburg - Essen und Koordinator des Interreg-Forschungsprojekts School-IT Rhein-Waal, bei dem die Schüler ihre privaten Geräte (Smartphones, Tablet PCs) im Unterricht einsetzen.
"Vor allem der Austausch ist wichtig. Es geht weniger darum, vorab umfangreiche Fortbildungen zu organisieren. Wichtiger ist es in der Schule Freiräume zu schaffen, dass Lehrer sich gegenseitig unterstützen und gut Erfahrungen austauschen können.
Hier hilft die Unterstützung der Schulleitung und eine Steuergruppe, die den Austausch moderiert."
"Fortbildungen, Wettbewerbe oder Klausurtagungen motivieren Lehrkräfte"
Maja Wechselberger, Lehrerin für Deutsch, Politik und Wirtschaft und Schulleiterin am Neuen Gymnasium Rüsselsheim. Als erste Schule im Kreis arbeitete das Neue Gymnasium mit Smartboards anstatt mit Tafel und Kreide:
"Der Einsatz von digitalen Medien im Unterricht ist nur dann sinnvoll, wenn er in das didaktische Konzept der jeweiligen Lehrkraft eingebunden wird. Auch für die Schülerinnen und Schüler ist die Vielfalt von Lehrerpersönlichkeiten mit ihren unterschiedlichen didaktischen Stärken wichtig.
Fortbildungen, Wettbewerbe oder Klausurtagungen mit Fachkollegen motivieren Lehrkräfte zusätzlich, digitale Medien im Unterricht einzusetzen. Ein ganz besonderes Interesse und Engagement zum Einsatz digitaler Medien wird jedoch bei den Lehrkräften entstehen, sobald die Schulbuchverlage entsprechend reagieren und z. B. interaktive Schulbücher flächendeckend eingesetzt werden können."