Psychosoziale Prozessbegleitung
Psychosoziale Prozessbegleitung ist eine besondere Form der Zeugenbegleitung. Sie stellt keine Alternative zur allgemeinen Opferhilfe bzw. Opferberatung dar, sondern versteht sich als ergänzendes Angebot für besonders schutzbedürftige Verletzte von Straftaten. Es handelt sich um eine besonders intensive Form der Begleitung für stark belastete Verletzte von Straftaten und ggf. deren Angehörige vor, während und nach der Hauptverhandlung durch psychosoziale Fachkräfte.
Psychosoziale Prozessbegleiterinnen oder Prozessbegleiter sollen Opfer schwerer Straftaten durch das Ermittlungs- und Strafverfahren begleiten und die Belastungen und Unsicherheiten, die während dieses Verfahrens auftreten können, verringern.
Sie dürfen an allen Vernehmungen des Opfers bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht teilnehmen. Allerdings steht ihnen dabei kein Zeugnisverweigerungsrecht zu.
Psychosoziale Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter können Ihnen aber keine Rechtsberatung geben! Wenn Sie rechtliche Beratung wünschen, wenden Sie sich an eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt. Opfer von schweren Straftaten haben in vielen Fällen nicht nur einen Anspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung, sondern auch einen Anspruch auf die kostenlose Beiordnung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts (§ 397a StPO). Ihre Rechtsanwältin bzw. Ihr Rechtsanwalt kann Sie auch zu den Möglichkeiten der psychosozialen Prozessbegleitung beraten.
Psychosoziale Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter leisten auch keine Therapie oder psychologische Beratung. Sie können Sie jedoch bei der Suche nach weitergehenden Hilfe- und Beratungsangeboten unterstützen. Eine Übersicht über Opferunterstützungseinrichtungen in Rheinland-Pfalz finden Sie hier.
Die psychosoziale Prozessbegleitung wurde seit dem Jahr 2009 in der Strafprozessordnung (StPO) zwar als eine besondere Form der Zeugenunterstützung erwähnt (§ 406h S.1 Nr. 5 StPO a.F.). Sie wurde jedoch weder in der Strafprozessordnung noch in anderen Gesetzen definiert. Im Laufe der Jahre entwickelten sich verschiedene Projekte und Vorarbeiten zur Qualifikation von Fachkräften und zur Bereitstellung eines Angebots zur psychosozialen Prozessbegleitung. Mit dem Auftrag, diese zu bündeln und möglichst bundesweit einheitliche Qualitätsstandards zu erarbeiten, hat die Justizministerkonferenz im Jahr 2012 eine Arbeitsgruppe unter Federführung von Rheinland-Pfalz betraut.
Diese aus Juristen und psychosozialen Fachkräften bestehende Arbeitsgruppe legte im Sommer 2014 Mindeststandards für die psychosoziale Prozessbegleitung und eine entsprechende Weiterbildung vor. Hier können Sie die Mindeststandards für die psychosoziale Prozessbegleitung und für Aus- oder Weiterbildungen in psychosozialer Prozessbegleitung abrufen und den Bericht der Arbeitsgruppe herunterladen, aus dem sich die den Standards zu Grunde liegenden Erwägungen entnehmen lassen.
Aufbauend auf die so entwickelten Mindeststandards hat der Bundesgesetzgeber das 3. Opferrechtsreformgesetz vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2525) erlassen. In § 406 g Abs. 3 in Verbindung mit § 397 a Abs. 1 StPO wurde ein Rechtsanspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung für Opfer von bestimmten schweren Straftaten geschaffen. Einzelheiten sind im neu geschaffenen Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG, BGBl. I S. 2525 -2529-) geregelt, das am 1. Januar 2017 in Kraft getreten ist.
Um die Voraussetzungen und das Verfahren für die Anerkennung von psychosozialen Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleitern zu regeln, wurden die bundesgesetzlichen Vorgaben in Rheinland-Pfalz durch das Landesgesetz zur Ausführung des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren vom 21.10.2016 (AGPsychPbG) und die Landesverordnung über die Anerkennung von Aus- oder Weiterbildungen in psychosozialer Prozessbegleitung im Strafverfahren vom 05.12.2016 (GVBl. S. 592) ergänzt.
Informationen für Opfer "Zeugen"
Der Anspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung steht in erster Linie Kindern und Jugendlichen zu. In vielen Fällen können aber auch Erwachsene, die Opfer von schweren Straftaten geworden sind, psychosoziale Prozessbegleitung in Anspruch nehmen.
Kinder und Jugendliche
In folgenden Fällen ist Verletzten, die zum Zeitpunkt der Tat noch minderjährig waren, eine psychosoziale Prozessbegleiterin/ein psychosozialer Prozessbegleiter beizuordnen:
- Opfer von Sexualstraftaten (§§ 174 bis 182, 184i, 184j Strafgesetzbuch - StGB) oder von Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB),
- Opfer von Straftaten wie z.B. schwerer Körperverletzung, Menschenhandel, Zwangsheirat, bestimmten schweren Fällen des Stalking oder Raub.
(§§ 221, 226, 226a, 232 bis 235, 237, 238 Absatz 2 und 3, §§ 239a, 239b, 240 Absatz 4, §§ 249, 250, 252, 255 und 316a StGB)
Eine Beiordnung erfolgt nicht von Amts wegen, sondern nur, wenn durch die verletzte Person ein entsprechender schriftlicher Antrag gestellt wird. Ist das Opfer noch minderjährig, ist der Antrag in der Regel durch die Erziehungsberechtigten zu stellen. Der Antrag kann bei der zuständigen Polizeidienststelle, der zuständigen Staatsanwaltschaft oder dem zuständigen Gericht gestellt werden.
Erwachsene
Auch erwachsenen Opfern kann unter bestimmten Voraussetzungen eine psychosoziale Prozessbegleiterin bzw. ein psychosozialer Prozessbegleiter beigeordnet werden:
- Opfer von bestimmten Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung (z.B. Vergewaltigung, § 177 StGB) oder von Verbrechen des Menschenhandels (§§ 232 bis 232b und 233a StGB)
- Opfer einer Straftat nach § 184j StGB (Straftaten aus Gruppen), wenn aus der Gruppe heraus eine schwere Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§ 177 StGB) begangen wurde.
- Opfer von versuchten Tötungsdelikten. Ein Anspruch soll nach dem Willen des Gesetzgebers ebenfalls für Angehörige einer durch eine rechtswidrige Tat getöteten Person bestehen.
- Opfer von Verbrechen wie z.B. schwerer Körperverletzung, Menschenraub, Aussetzung, Zwangsheirat, bestimmten schweren Fällen des Stalking oder Raub/räuberische Erpressung (§§ 226, 226a, 234 bis 235, 238 bis 239b, 249, 250, 252, 255 und 316a StGB), wenn diese Straftaten zu schweren körperlichen oder seelischen Schäden geführt haben oder voraussichtlich führen werden.
Hinzukommen muss, unabhängig vom Delikt, eine besondere Schutzbedürftigkeit des Opfers.
Auch hier gilt: Eine Beiordnung erfolgt nicht von Amts wegen, sondern nur, wenn durch den Verletzten oder die Verletzte ein entsprechender schriftlicher Antrag gestellt wird. Der Antrag kann bei der zuständigen Polizeidienststelle, der zuständigen Staatsanwaltschaft oder dem zuständigen Gericht gestellt werden.
Ein Antrag auf Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleiterin oder eines psychosozialen Prozessbegleiters kann ab dem Zeitpunkt der Anzeige einer Straftat gestellt werden. Wenn die Voraussetzungen für die Beiordnung vorliegen, wird die psychosoziale Prozessbegleiterin bzw. der psychosoziale Prozessbegleiter aus der Staatskasse bezahlt. Auf Ihre wirtschaftlichen Verhältnisse kommt es dabei nicht an. Der Staat trägt grundsätzlich auch dann die Kosten der psychosozialen Prozessbegleitung, wenn das Verfahren gegen den Beschuldigten später eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen wird.
Die zuständigen Gerichte dürfen lediglich Personen als psychosoziale Prozessbegleiterinnen oder Prozessbegleiter beiordnen, die zuvor in einem speziellen Verfahren von einem Bundesland anerkannt wurden. Eine Übersicht über alle in Rheinland-Pfalz bislang anerkannten psychosozialen Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter finden Sie hier.
Sollten Sie in Ihrem Antrag keine psychosoziale Prozessbegleiterin oder keinen psychosozialen Prozessbegleiter namentlich benennen, wird das zuständige Gericht eine Person für Sie auswählen.
Sie können auch eine psychosoziale Prozessbegleiterin oder einen psychosozialen Prozessbegleiter wählen, die oder der durch ein anderes Bundesland anerkannt wurde. Die Anerkennung durch das andere Bundesland muss in diesen Fällen dem zuständigen Gericht nachgewiesen werden.
Informationen für Interessierte
Das Verfahren zur Anerkennung von psychosozialen Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleitern in Rheinland-Pfalz richtet sich nach dem Landesgesetz zur Ausführung des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (AGPsychPbG, GVBl. S. 549), das hier abgerufen werden kann.
Als psychosoziale Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter können Personen anerkannt werden, die
- über einen Hochschulabschluss in den Bereichen Psychologie, Soziale Arbeit, Pädagogik oder Sozialpädagogik oder eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem dieser Bereiche verfügen,
- mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in den Bereichen Psychologie, Soziale Arbeit, Pädagogik oder Sozialpädagogik vorweisen können,
- eine von einem Bundesland anerkannte Aus- oder Weiterbildung in psychosozialer Prozessbegleitung abgeschlossen haben und
- über die notwendige persönliche Zuverlässigkeit verfügen.
Der Antrag auf Anerkennung in Rheinland-Pfalz ist beim Ministerium der Justiz zu stellen. Er ist von der Antragstellerin oder dem Antragsteller persönlich zu unterschreiben. Der Antrag ist zu richten an:
Ministerium der Justiz
Abteilung 5 - Referat 554
Az: 4226E-15-5-2
Ernst-Ludwig-Straße 3
55130 Mainz
Einzelheiten zum Anerkennungsverfahren und eine Übersicht, welche Unterlagen mit dem Antrag eingereicht werden müssen, finden Sie hier. Es ist ausreichend, die Unterlagen als einfache Kopien beizufügen.
Mit der Anerkennung werden Sie in ein Verzeichnis aufgenommen, welches den Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Polizei in Rheinland-Pfalz zur Verfügung gestellt wird. Auf der Homepage des Ministeriums der Justiz wird auch ein öffentlich zugängliches Verzeichnis geführt, damit Betroffene, denen ein Rechtsanspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung zusteht, die Möglichkeit haben, eine psychosoziale Prozessbegleiterin oder einen psychosozialen Prozessbegleiter zu finden. Wenn Sie wünschen, in dieses Verzeichnis aufgenommen zu werden, ist dem Antrag auf Anerkennung eine Einwilligungserklärung beizufügen. Die Einwilligung kann jederzeit von Ihnen schriftlich gegenüber dem Ministerium der Justiz widerrufen werden.
Ob Sie nach einer Anerkennung durch das rheinland-pfälzische Ministerium der Justiz in anderen Bundesländern tätig werden können, richtet sich nach den Ausführungsgesetzen der anderen Bundesländer. Die Ausführungsgesetze der einzelnen Länder sind auf der Homepage des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zusammengestellt.
Um als psychosoziale Prozessbegleiterin bzw. psychosozialer Prozessbegleiter anerkannt zu werden, ist der Abschluss einer von einem Bundesland anerkannten spezialisierten Aus- oder Weiterbildung in psychosozialer Prozessbegleitung erforderlich (§ 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 PsychPbG).
Das Verfahren zur Anerkennung von Aus- oder Weiterbildungen in psychosozialer Prozessbegleitung in Rheinland-Pfalz richtet sich nach dem Landesgesetz zur Ausführung des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (AGPsychPbG) vom 21.10.2016, das hier abgerufen werden kann. Die Mindestinhalte der Lehrpläne und die Anforderungen an die grundlegende Methodik sind in der Landesverordnung über die Anerkennung von Aus- oder Weiterbildungen in psychosozialer Prozessbegleitung im Strafverfahren aufgeführt. Dem schriftlichen und unterschriebenen Antrag auf Anerkennung einer Aus- oder Weiterbildung durch Rheinland-Pfalz sind das Curriculum der Aus- oder Weiterbildung sowie eine Liste der vorgesehenen Referentinnen und Referenten beizufügen, aus denen sich deren Qualifikation ergibt.
Zuständig für die Anerkennung von Aus- oder Weiterbildungen in psychosozialer Prozessbegleitung in Rheinland-Pfalz ist das Ministerium der Justiz.
Wenn Sie Fragen zum Verfahren der Anerkennung einer neuen Aus- oder Weiterbildung in psychosozialer Prozessbegleitung haben, wenden Sie sich an:
Herrn Robert Haase: Tel.: 06131/16-4913.
Welche Aus- oder Weiterbildungen durch das Land Rheinland-Pfalz bislang anerkannt wurden, finden Sie hier.
Nach § 9 AGPsychPbG werden in Rheinland-Pfalz auch solche Aus- oder Weiterbildungen akzeptiert, die von einem anderen Bundesland anerkannt wurden. Dem Ministerium der Justiz liegt eine Übersicht über alle durch ein anderes Bundesland anerkannten Aus- oder Weiterbildungen vor. Es ist daher ausreichend, nur den Nachweis über den Abschluss der Aus- oder Weiterbildung dem Antrag beizulegen.
Die Vergütung der psychosozialen Prozessbegleitung richtet sich nach § 6 des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG).
Eine beigeordnete psychosoziale Prozessbegleiterin bzw. ein beigeordneter psychosozialer Prozessbegleiter erhält für ihre bzw. seine Tätigkeit aus der Staatskasse pauschal:
- Für die Tätigkeit im Vorverfahren: 520,00 €
- Im gerichtlichen Verfahren im 1. Rechtszug 370,00 €
- Nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens: 210,00 €.
Grundsätzlich entsteht der Vergütungsanspruch erst mit Abschluss der Tätigkeit des psychosozialen Prozessbegleiters, allerdings kann nach § 8 PsychPbG in Verbindung mit § 47 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ein Vorschuss angefordert werden. Die Vergütung und der Vorschuss werden auf Antrag der psychosozialen Prozessbegleiterin bzw. des psychosozialen Prozessbegleiters durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des erstinstanzlichen Gerichts festgesetzt (§ 55 Abs. 1 RVG).