Enquete-Kommission Bürgerbeteiligung
Die Einsetzung der Enquete-Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“ durch den rheinland-pfälzischen Landtag im November 2011 war und ist hierfür ein wichtiger Meilenstein. Das Parlament hat damit ein Zeichen gesetzt, dass es der Politik wirklich ernst ist mit Bürgerbeteiligung. Es hat mit der Kommission ein Instrument gewählt, das neben der grundsätzlichen Verständigung zum Verhältnis von repräsentativer Demokratie und Bürgerbeteiligung auch sehr praktische Vorschläge zur Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems auf den Weg gebracht hat. Im Januar 2015 hat die Kommission ihren Abschlussbericht vorgelegt.
Der Einsetzungsbeschluss der Enquete-Kommission hat ihr einen sehr weiten Arbeitsauftrag erteilt. In mehreren Phasen hat sie sich intensiv mit Themen der Kinder- und Jugendbeteiligung, politischer Bildung, gendergerechter Demokratie, der Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund und grundsätzlichen Fragen von Beteiligungsgerechtigkeit auseinandergesetzt. Transparenz in Politik und Verwaltungshandeln, Informationsfreiheit und Open Government sowie die Chancen einer „Demokratie 2.0“ gehörten ebenso zum Arbeitsprogramm wie Planungsverfahren bei Großprojekten sowie die Beteiligung auf Landesebene und in den Kommunen.
Die Kommission hat mit ihrer Arbeit selbst Beteiligung praktiziert und gezeigt, wie transparente Information gelingen kann. Ihre Sitzungen wurden per Livestream im Internet übertragen und waren später als Video und Protokoll abrufbar. Darüber hinaus hat der Landtag ein Forum eingerichtet, in dem Interessierte nicht nur alle Unterlagen der Enquete finden, sondern auch im Blog aktiv mitdiskutieren konnten. „Trotz inhaltlicher Unterschiede in Fragen der Umsetzung von Bürgerbeteiligung stimmen die Mitglieder aller drei Fraktionen hinsichtlich der Formulierung der Voraussetzungen für effektive Beteiligungsverfahren in wesentlichen Punkten überein“, so erklärten die Obleute aller Fraktionen gemeinsam zum Abschluss ihrer Arbeit. Sie haben mit ihren Empfehlungen, die in zwei Zwischen- und dem Abschlussbericht enthalten sind, entscheidende Wegmarken benannt, um der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger deutlich mehr Raum zu geben.
Hier geht es zum Schlussbericht der Kommission:
https://dokumente.landtag.rlp.de/landtag/drucksachen/4444-16.pdf
Die Landesregierung hat sich mit den Vorschlägen und Empfehlungen der Kommission intensiv auseinandergesetzt. Die vordringlichsten Anliegen und Aufgaben wurden in einen zehn Punkte umfassenden Fahrplan Bürgerbeteiligung festgehalten:
Fahrplan „Bürgerbeteiligung“
1. Demokratie lernen und Beteiligung praktizieren
Erweiterte Möglichkeiten der Mitgestaltung und der Mitbestimmung sind Voraussetzungen dafür, dass wir unsere Demokratie weiter entwickeln und beleben. Beteiligung kann jedoch nicht verordnet werden und ist auch kein Selbstläufer. Sie muss im Alltag und im unmittelbaren Lebensumfeld der Menschen praktiziert werden. Sie braucht Engagement, Offenheit in Politik und Verwaltung sowie den Einsatz der Bürger und Bürgerinnen. Unsere Erfahrungen in Beteiligungsprozessen zeigen aber auch, dass Demokratie von allen Betroffenen – Bürgern, Politik und Verwaltung – gelernt sein will. Hierfür braucht es einen beteiligungsfreundlichen Umbau gesellschaftlicher Organisationen und Institutionen wie etwa Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Es geht um Partizipation im Alltag und damit letztlich um ganz „normale“ Möglichkeiten des Mitentscheidens, aber auch des Mittuns im und für unser Gemeinwesen.
2. Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche stärken
Die Befähigung zum bürgerschaftlichen Engagement lässt sich am besten in der Praxis erwerben. Unter dem Stichwort Demokratiebildung wird daher die Landesregierung die Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche weiter stärken. Dies betrifft sowohl die frühkindliche Erziehung, die Schule als auch den Bereich der außerschulischen politischen Bildung. Dabei ist es besonders wichtig, die unterschiedlichen Lebensorte von Kindern und Jugendlichen und die verschiedenen Beteiligungsmöglichkeiten – von der Kita, über die Schule, die außerschulische Jugendarbeit und -bildung bis hin zu den Fachhochschulen und Universitäten – stärker miteinander zu verzahnen und in Austausch zu bringen. Unser jährlicher landesweiter Demokratietag steht genau für einen solchen Ansatz. Er ist getragen von einem breiten Bündnis nichtstaatlicher und staatlicher Akteure.
3. Gute Rahmenbedingungen für Beteiligung gestalten
Beteiligungsverfahren dürfen keine Alibiveranstaltungen sein. Sie brauchen verbindliche Regelungen, Ergebnisoffenheit und Neutralität im Prozess. Die Landesregierung wird diese Eckpunkte in den von der Enquete-Kommission empfohlenen Leitlinien aufarbeiten und sich zu deren Einhaltung verpflichten. Darüber hinaus wird die Landesregierung prüfen, in welcher Form eine unabhängige Anlaufstelle für Initiatoren von Beteiligungsverfahren geschaffen werden kann.
4. Mehr Transparenz schaffen
Eine demokratische Gesellschaft braucht mündige und gut informierte Bürgerinnen und Bürger. Hier haben Staat und Politik eine Bringschuld. Sie müssen sich erklären, ihre Vorhaben und Entscheidungsgrundlagen nachvollziehbar machen, veröffentlichen, Barrieren abbauen und sich öffnen. Sie müssen transparenter werden – auch und gerade mithilfe der neuen Medien. Zu diesem Zweck hat die Landesregierung ein Transparenzgesetz auf den Weg gebracht, das das Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen umfassend und ohne Darlegung eines Interesses gewährt. Die bei der Verwaltung vorhandenen Informationen werden aktiv auf der elektronischen Transparenz-Plattform veröffentlicht.
5. Entscheidungsträger für Beteiligung qualifizieren
Die Fortbildungsangebote des Landes, auch für kommunale Mandatsträger, werden verstärkt die Qualifizierung von politischen Akteuren, Entscheidungsträgern und Führungskräften für Beteiligungsverfahren, Moderationstechniken und Mentoring berücksichtigen. Darüber hinaus sollen vermehrt Beteiligungsprozesse innerhalb der Behörden praktiziert werden. Denn nur dort, wo Beteiligung im Innenverhältnis gelebt wird, kann sie nach außen vermittelt werden.
6. Beteiligung für alle ermöglichen
Die Landesregierung wird Maßnahmen ergreifen, um die Beteiligungsgerechtigkeit zu vergrößern. Dazu gehören u.a. barrierefreie Beteiligungsangebote, die gezielte Ansprache nicht-beteiligungsaffiner Menschen sowie besondere Maßnahmen, um die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung zu stärken.
7. Potenziale neuer Medien nutzen
Unter dem Stichwort „Open Government“ hält die Landesregierung bereits ein umfangreiches Angebot vor. Insbesondere der Ausbau des Rheinland-Pfalz-Portals und das geplante e-Government-Gesetz sowie die Transparenz-Plattform werden die Informationsgrundlagen zur Beteiligung nochmals verbessern. Darüber hinaus finden bereits jetzt online-Beteiligungsverfahren statt, u. a. zum Transparenzgesetz und zum Klimaschutzkonzept. Unter dem Stichwort Demokratie 2.0 wird die Landesregierung, wie von der Enquete-Kommission empfohlen, zukünftig verstärkt Online-Verfahren bei Beteiligungsprozessen nutzen.
8. Hürden für direktdemokratische Beteiligung senken
Die Landesregierung will die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Hürden für direktdemokratische Verfahren auf Landesebene zu senken. Dies betrifft die Absenkung der Quoren für Volksbegehren und Volksentscheide, die Verlängerung der Eintragungsfrist für Volksbegehren, die Abschaffung der reinen Amtseintragung und eine Reduzierung der Themenausschlüsse. Ziel ist es, im gemeinsamen Gespräch mit allen im Landtag vertretenen Fraktionen die notwendige verfassungsändernde Mehrheit zu erreichen.
9. Bürgerbeteiligung bei Großprojekten ausbauen
Die Landesregierung ist bestrebt, die Bürgerbeteiligung bei Großprojekten weiter auszubauen. Sie wird daher die Erstellung eines Planungsleitfadens und einer Verwaltungsvorschrift prüfen, die eine frühzeitige und möglichst umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung unter Nutzung erprobter informeller und konsultativer Verfahren der Bürgerbeteiligung festschreiben.
10. Beteiligung vor Ort stärken
Der kommunale Raum ist die wichtigste Bezugsebene im Alltag der Bürgerinnen und Bürger. Daher gilt es, gerade hier Beteiligungsmöglichkeiten zu stärken. Die Enquete-Kommission hat hierzu ihrerseits weitreichende Vorschläge erarbeitet. Zu diesen Empfehlungen sucht die Landesregierung den Dialog mit den Kommunen und wird sie dabei unterstützen, diese Vorschläge aufzugreifen und umzusetzen.