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Gedern (Wetteraukreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Gedern bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938/39. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17./18. Jahrhunderts
zurück. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts gab es Juden in der Stadt. Eine
Zusammenstellung von in Gedern verstorbenen Juden beginnt mit dem Jahr 1689. In
den Akten des Stolbergschen Archiv auf Schloss Ortenberg finden sich erste
Erwähnungen von Juden im 18. Jahrhundert.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie
folgt: 1806 20 jüdische Familien, 1820 155 jüdische Einwohner, 1861 183 (9,1 %
von insgesamt 1.961 Einwohnern), 1880 150 (8,2 % von 1.821), 1895 160 (9,5 % von
1.679), 1910 136 (7,5 % von 1.821). Die jüdischen Familien lebten in
verhältnismäßig guten wirtschaftlichen Verhältnissen; sie waren als
Kaufleute, Viehhändler, Metzger, Bäcker sowie als Handwerker tätig (Schlosser,
Uhrmacher, Schuhmacher, Tapezierer; vgl. die Anzeigen unten). Mehrere
eröffneten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts offene Läden und
Handlungen in der Stadt.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule,
ein rituelles Bad (beides im Synagogengebäude von 1866) und ein
Friedhof. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der
Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter tätig war.
Um 1860 wird Lehrer Hecht genannt (im Bericht
über eine Lehrerkonferenz in Gießen 1860), um 1865 L. Ullmann (bei einer
Lehrerkonferenz in Nidda, dazu wird S. Simon
früherer Lehrer, jetzt Kaufmann in Gedern genannt), um 1880 Lehrer J. Nußbaum, um 1886 Lehrer Leser Cohn aus
Inovrazlaw. Seit
1903 war Lehrer am Ort Adolf Bauer; er konnte 1928 sein 25-jähriges
Ortsjubiläum feiern und blieb bis 1935 in Gedern. 1904 wurde die Gründung
eines Schulverbandes mit Wenings und Oberseemen vorgeschlagen; 1929 fand der
Religionsunterricht gemeinsam für die drei Orte statt. Die Gemeinde gehörte
zum Orthodoxen Provinzialrabbinat in Gießen.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Erich Aul (geb.
26.9.1891 in Gedern, gef. 3.8.1916), Isaak Lorsch (geb. 12.8.1892 in Gedern,
gef. 27.7.1917), Julius Lorsch (geb. 2.6.1894 in Gedern, gef. 17.1.1918), Samuel
Oppenheimer (geb. 12.6.1877 in Gedern, gef. 7.1.1918) und Rudolf Strauß (geb.
8.9.1897 in Gedern, gef. 9.8.1918).
Um 1924, als zur Gemeinde 146 Personen gehörten (7,1 % von insgesamt 2.061
Einwohnern), waren die Gemeindevorsteher Maier Vöhl, Leopold Vöhl und Max
Rothenburger. Als Lehrer und Kantor war der bereits genannte Adolf Bauer tätig.
Er erteilte damals 21 Kindern der Gemeinde den Religionsunterricht. Als Schochet
war Wolf Oppenheimer tätig (bereits seit 1870, siehe Bericht
unten). Innerhalb der jüdischen Gemeinde gab es mehrere Vereine: der Männerkrankenverein
(1924/32 unter Leitung von Salomon Hirschmann; 1932 30 Mitglieder; Zweck und
Arbeitsgebiet: Unterstützung kranker Mitglieder), den Frauenkrankenverein
(gegründet 1876; 1932 unter Leitung von Klara Voehl mit 32 Mitgliedern; Zweck
und Arbeitsgebiet: Unterstützung erkrankter Mitglieder) und die Armenkasse
(1924 unter Leitung von Max Meier). 1932 waren die Gemeindevorsteher
Leopold Voehl (1. Vors. und Schriftführer), Max Rosenberger (2. Vors.) und
Samuel Simon (3. Vors.). Lehrer der Gemeinde war weiterhin Adolf Bauer. Im Schuljahr
1931/32 besuchten 23 Kinder den jüdischen
Religionsunterricht.
1933 lebten noch 118 jüdische Personen in Gedern (5,5 % von insgesamt
2.136 Einwohnern). In
den folgenden Jahren sind alle von ihnen auf Grund der Folgen des
wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen (die meisten nach Frankfurt) beziehungsweise
ausgewandert (jeweils mindestens vier Personen in die USA, zwei nach Italien,
fünf nach Palästina (Israel, zwei nach Südafrika, zwei nach Frankreich, eine Person
nach Holland). Bereits am Abend des 13. März 1933 kam es zu einem üblen
Judenpogrom in der Stadt; eine zweite Terroraktion fand am Abend des
26. September 1933 statt (siehe Bericht unten). Anfang 1937 lebten noch acht
jüdische Familien in Gedern, am 30. März waren es noch sechs Familien, die im
April von Gedern nach Frankfurt verzogen sind. Bereits im April 1937
wurden nur noch wenige jüdische Einwohner am Ort gezählt. Samuel Simon und
Leopold Voehl verhandelten in den folgenden Monaten noch mit der Stadt Gedern
wegen dem Verkauf des Synagogengebäudes. Am 1. Juli 1937 verließ mit
der Witwe Dora Voehl das letzte Mitglied der inzwischen aufgelösten jüdischen
Gemeinde Gedern.
Von den in Gedern geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Abraham Aul (1869), Adolf Bauer (1888), Frida Bauer geb. Levi (1890),
Lore Blumenthal (1922), Rosa Blumenthal geb. Strauss (1890), Thekla Ebstein geb.
Loeb (1870), Hermann Frank (1888),
Martin Frank (1925), Sofie (Sofia) Frank (1926 oder 1927), Hilda Friedmann geb.
Oppenheimer (1888), Malchen Grünebaum geb. Meier (1854), Irene Hammerschlag
geb. Voehl (1903), Ernst Hermann (1937), Ilse Hirsch geb. Vöhl (1904), David Homburger (1882),
Liebmann Kahn (1855), Leopold Levy
(1886), Sophie Levi geb. Löb (1886), Isidor Löwenstein (1882), Jettchen Lorsch (1872), Jenny Mayer geb.
Voehl (1889 oder 1890), Lina Meyer geb. Chambre (1899), Minna Rosenthal geb. Voehl (1884), Rosa Simon (1878), Pauline Stern geb.
Oppenheimer (1882), Rosa Stern geb. Aul (1895), Selma Strauss
geb. Levy (1884), Gertrud Ullmann geb. Löwenstein (1908), Selma Urspringer geb.
Bonheim (1879), Dora Voehl geb. Neu (1880), Julius Voehl (1886), Karl Voehl
(1908), Meta Voehl geb. Fuld (1884), Recha (Rachel) Voehl geb. Joseph (1889 oder
1890), Samuel Voehl (1879).
Auf einer im August 2010 aufgestellten Gedenktafel vor der
ehemaligen Synagoge stehen die Namen von 35 Familien aus Gedern, deren
Angehörige in der NS-Zeit aus Gedern vertrieben und teilweise nach den
Deportationen ermordet wurden.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters (Kantor) 1878
/ 1886 / 1887 / 1893 / 1903
Hinweis: die Ausschreibungen in Gedern erfolgten im betreffenden
Zeitraum immer ohne die Stelle eines Schochet, da für diese Tätigkeit von 1870
bis nach 1924 von Wolf Oppenheimer am Ort war (siehe Bericht unten).
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Februar
1878: "Anzeige. Die israelitische Gemeinde zu Gedern
(Hessen) beabsichtigt per 1. März dieses Jahres einen Kantor und
Religionslehrer zu engagieren. Gehalt Mark 800. Bewerber wollen sich
alsbald unter Anfügen ihrer Zeugnisse melden. Reisespesen werden
vergütet.
Der Vorstand: S. Simon. Löb Löb. Löb Voehl." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Oktober
1886: "In hiesiger Gemeinde ist die Stelle eines
Religionslehrers und Kantors vakant.
Gehalt Mark 800-900 ohne Nebeneinkünfte und freie Wohnung.
Bewerber, welche eine gute Tenorstimme und etwas musikalische Kenntnisse
besitzen, wollen sich unter Anfügen der Abschriften ihrer Zeugnisse
alsbald melden.
Reisekosten werden nur Demjenigen vergütet, welcher die Stelle
erhält.
Gedern (Oberhessen), 26. September 1886. Der Vorstand S.
Simon." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Juni
1887: "In hiesiger Gemeinde wird die Stelle eines Kantors und
Religionslehrers per 1. August dieses Jahres vakant. Gehalt Mark 850,
freie Wohnung und Nebeneinkommen. Bewerber, welche im Besitze einer guten
Tenorstimme und etwas musikalische Kenntnisse sind, wollen sich unter
Hinzufügen der Abschriften ihrer Zeugnisse alsbald melden.
Reisekosten werden nur Demjenigen vergütet, welcher die Stelle
erhält.
Gedern (Oberhessen), 5. Juni 1878. Der Vorstand S. Simon." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Oktober
1893: "In hiesiger Gemeinde ist die Stelle eines Vorbeters und
Religionslehrers zu besetzen. Bewerber, welche über eine gute
Baritons-Stimme verfügen, wollen sich unter Einsendung ihrer Zeugnisse
bei dem unterzeichneten Vorstand melden. Fixer Gehalt Mark
850.- und Nebeneinkünfte, sowie freie Wohnung. Der Vorstand der
israelitischen Gemeinde Gedern. Loeb Voehl." |
|
Ausschreibung
der Stelle im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 28.
August 1903: "Gedern (Oberhessen). Religionslehrer und
Vorbeter per bald. Gehalt 1.100 Mark, sowie freie Wohnung und
Nebenverdienste.
Meldungen dem Vorsteher, Herrn Maier Voehl,
einzureichen." |
Lehrer J. Nußbaum sammelt Spenden für Wolf Plaut
aus Wehrda (1880)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 22. Juni 1880:
"Wolf Plaut aus Wehrda,
Familienvater von sechs kleinen Kindern, ein sehr strebsamer und
gutherziger Mann, ist leider in Folge seines guten Gemüts so in
Rückstand gekommen, dass er kein Brot über Nacht hat und befürchten
muss, dass sein Wohnhaus zum Verkauf kommt, wenn nicht Hilfe von
mildtätigen Herzen herbeiströmt. Der Bruder des Genannten, welcher der
eigentliche Geschäftsmann war, ist im vorigen Jahr meuchelmörderisch ums
Leben gekommen. Mit seinen Außenständen hat er noch sein gutes Geld
verloren und so hat das Schicksal ihn stets verfolgt.
Es ergeht deshalb an alle Glaubensgenossen und Mitleidsvollen die ergebene
Bitte, diesem Aufruf Gehör schenken zu wollen, da die Not in Wirklichkeit
weit größer ist, als man sie schildern kann. Der Unterzeichnete ist gern
bereit, Gaben in Empfang zu nehmen.
Gedern (Oberhessen), im Juni 1880. J. Nußbaum,
Lehrer." |
Berichte zu Lehrer Adolf Bauer (siehe auch bei Ober-Seemen)
Anmerkung: Lehrer Adolf Bauer betreute auch die jüdische Gemeinde in
Ober-Seemen. Dort wird er im Zusammenhang mit der Erteilung des
Religionsunterrichtes und in Berichten zu Beisetzungen von Gemeindegliedern
erwähnt.
Lehrer Adolf Bauer erhält die Rechte eines
Volksschullehrers (1915)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. September 1915:
"Aus Hessen. Die hessische Regierung hat in der jüngsten Zeit wieder
zwei jüdischen Religionslehrern die Rechte eines Volksschullehrers
verliehen, so Herrn Kollegen Halle in Erfelden (Starkenburg) und vor
einigen Tagen Herrn Kollegen Bauer in Gedern (Oberhessen). Ist
damit auch der großen Menge der Religionslehrer nicht geholfen, so hat
immerhin die Regierung ihren guten Willen gezeigt." |
25-jähriges Ortsjubiläum von Lehrer Adolf Bauer
(1928)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. September 1928: "Gedern,
2. September (1928). Am 8. September dieses Jahres kann Herr Adolf Bauer
auf eine 25-jährige Tätigkeit als Lehrer und Vorbeter in hiesiger
Gemeinde zurückblicken. Ein aufrechter Jehudi und gewissenhafter Lehrer,
erfreut sich der Jubilar sowohl innerhalb seiner Gemeinde als auch bei
seinen andersgläubigen Mitbürgern größter Beliebtheit und
Hochachtung." |
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Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Oktober 1928:
"Vor einigen Wochen konnte, wie bereits im Hauptblatte des 'Israelit'
zu lesen war, Herr Lehrer Adolf Bauer in Gedern unter großer Anteilnahme
sein 25-jähriges Dienst- und Ortsjubiläum begehen. Wir entbieten ihm die
herzlichsten Glückwünsche des Bundes gesetzestreuer jüdischer Lehrer.
Möge es dem tapferen Kollegen vergönnt sein, in unverminderter Schaffensfreude
weiter zu arbeiten im Dienste seiner Gemeinde und zum Segen
des Judentums". |
|
Artikel in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des Central-Vereins)
vom 21. September 1928: "Am 8. September dieses Jahrs beging das
langjährige Vorstandsmitglied unserer Ortsgruppe Gedern, Herr Kantor
Adolf Bauer, sein 25-jähriges Jubiläum als Religionslehrer
und Vorbeter unter Anteilnahme der ganzen Gemeinde. Wir gratulieren dem
Jubilar und wünschen ihm weiteres segensreiches
Wirken." |
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Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung"
vom 21. September 1928: "Gedern. (Jubiläum). Hier hat
der Lehrer und Kantor der Gemeinde, Herr A. Bauer, unter lebhafter
Anteilnahme der Mitglieder und andersgläubiger Ortsbewohner, deren
Sympathien sich der Jubilar in hohem Maße erfreut, sein 25-jähriges
Ortsjubiläum feiern können." |
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zur Goldenen Hochzeit des Ehepaares M. Kahn (1904)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 5. August
1904: "Aus Oberhessen. Am 24. August dieses Jahres feiert das
M. Kahn'sche Ehepaar in Gedern das Fest der goldenen
Hochzeit. Der Jubilar befindet sich im 79., die Jubilarin, eine gebürtige
Aul, im 76. Jahre. Beide sind trotz des hohen Alters noch recht rüstig.
Vor mehreren Jahren bekleidete Herr Kahn noch das Amt eines 1. Vorstehers
in genannter Gemeinde; er hat es verstanden, die Interessen der Gemeinde
nach allen Richtungen hin zu fördern. Auch an der Erbauung der neuen
Synagoge hat er mitgewirkt." |
70. Geburtstag des Schächters Wolf Oppenheimer (1920)
Mitteilung
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Juli 1920: "Gedern,
21. Juli (1920). Herr Wolf Oppenheimer begeht am 20. dieses Monats
seinen 70-jährigen Geburtstag und zugleich sein 50-jähriges Jubiläum
als Schächter." |
Zum Tod der Frau des Gemeindevorstehers Leopold Vohl und
seiner Mutter Betti Vöhl (1935)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Januar 1935: "Gedern,
27. Januar (1935). Sonntag, 25. November und Sonntag, den 9. Dezember
waren für unsere Gemeinde Tage schwerer Trauer. Am 25. November trug man
die Gattin unseres hochverehrten Vorstehers, Herr Leopold Vöhl, zu
Grabe. Welch große Verehrung die Entschlafene bei allen Einwohnern des
Ortes genoss, davon zeugte auch die große Anteilnahme der nichtjüdischen
Bevölkerung. Das große Ansehen gründete sich auf ein jüdisches und
eine jüdische, im Boden der Tora wurzelnde Gesinnung. Wo es galt, Not zu
lindern, wo Krankheiten waren, fand man sie mit Rat und Tat. Herr Lehrer
Bauer rühmte in seiner Traueransprache die großen Verdienste und
vielen guten Eigenschaften der Heimgegangenen. - Am 9. Dezember, 14 Tage
später, zog erneut Trauer in das Vöhl'sche Haus. Nach kurzem, schweren
Krankenlager war Frau Betti Vöhl, die Mutter des Herrn Leopold
Vöhl, im hohen Alter von 80 Jahren gestorben. Unter großer Beteiligung
wurde sie zu Grabe getragen. Mit ihr ist eine gute, jüdische Frau
dahingegangen. Ihr inniges Gottvertrauen hielt sie in allen Lagen des
Lebens hoch. Am Grabe musste wegen Chanukka jede Klage unterbleiben. Nur
in kurzen, liebevollen Worten nahm Herr Lehrer Bauer Abschied von
der edlen Frau. Möge das Verdienst der Entschlafenen den Hinterbliebenen
beistehen und ihnen zum Troste sein." |
Anzeigen jüdischer
Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeigen des Manufakturwaren-Geschäftes Jos.
Vöhl's Nachfolger (Firma S. Rothenberger; 1890 / 1900 / 1901)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
23. Oktober 1890: "Für mein Manufakturwaren-Geschäft suche zum
baldmöglichsten Eintritt noch 2 tüchtige Detailreisende, sowie 1
Lehrling.
Samstags und Feiertage geschlossen. Kost und Logis im Hause.
S. Rothenberger, Firma: Jos. Vöhls Nachfolger, Gedern
(Oberhessen)." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. November 1900:
"Für mein Manufaktur-Warengeschäft suche zum baldigen Eintritt
eventuell per 1. Januar
zwei tüchtige Verkäufer
für eingeführte Detail-Reisetouren. Stellung dauernd und angenehm.
Samstags und israelitische Feiertage geschlossen.
Jos. Vöhl's Nachfolger, Gedern in
Oberhessen." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. April 1901: "Für
mein Manufakturwaren- und Konfektionsgeschäft suche zum baldigen
Eintritt einen tüchtigen Verkäufer als
Detail-Reisenden
für gute, eingeführte Touren. Samstags und israelitische Feiertage
geschlossen.
Jos. Vöhls's Nachfolger, Inhaber: S. Rothenberger,
Gedern in Oberhessen." |
Lehrlingsgesuch des Uhrmachers M. Homburger
(1891)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Mai 1891: "Lehrlings-Gesuch!
Ein Sohn achtbarer Eltern, mit guter Schulbildung, welcher Lust hat, die
Uhrmacherkunst zu erlernen, kann in die Lehre treten. Demselben ist
Gelegenheit geboten, auch das Gold-, Silber- und optische Fach zu
erlernen.
M. Homburger, Gedern (Oberhessen).
!Samstags und Feiertage geschlossen!" |
Werbeanzeige der Bau- und Kunstschlosserei J.
Löwenstein (1908)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. März 1908:
"Schabbos-Lampen
wie nebenstehendes Muster, genau nach altem Stil aus Messing, stets
vorrätig empfiehlt
J. Löwenstein, Bau und Kunstschlosserei
Gedern (Hessen)
Reparaturwerkstätte für sämtliche Schlosserarbeit.
Übernahme von Kunst- und
Bauschlosserarbeiten." |
Schuhmacher Leopold Levi sucht einen Gesellen (1918)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 6. Dezember
1918: "Ein tüchtiger Schuhmachergeselle (Israelit) gesucht.
Samstag geschlossen. Kost und Logis im Hause.
Leopold Levi in Gedern,
Oberhessen." |
S. Mayer sucht eine Stelle für seine Tochter
(1936)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 17. November
1936: "Suche für meine Tochter, 17 Jahre alt, Stellung als Stütze
, wo sie sich auch im Geschäft nützlich machen kann, bei familiärer
Behandlung. Dieselbe war schon 2 Jahre in Besserte Haushalt tätig war.
Ausführliche Offerten erbitte an S. Mayer, Gedern."
|
Bericht
über die Pogrome/Terroraktionen des Jahres 1933 in Gedern
Zitat aus dem "Heimatgeschichtlichen
Wegweiser" s. Lit. S. 321-322: "Am Abend des 13. März
1933 hatte sich die SA Gederns, begleitet von einer ständig
wachsenden Menschenmenge, am üblichen Antreteplatz auf dem Schlossberg
versammelt. Man wollte die neue Macht "den Juden" zeigen. Erstes
Ziel war Berthold Simon, Inhaber eines Lederwarengeschäftes, Hauptstraße
61. Er wurde auf offener Straße mit Fäusten und einer Motorradkette
geprügelt, bis er blutüberströmt zusammenbrach. Daraufhin verschaffte
die Menge sich Zutritt in das Haus von Julius Blumenthal, Hauptstraße 88,
und schlug auf die dort Anwesenden, darunter den fast 80-jährigen Gabriel
Blumenthal, ein. Danach ging es zum Eisenwarenhändler Max Meier, Hauptstraße
67 und zur Familie Vöhl, Hauptstraße 52. Unter den anfeiernden Rufen der
schaulustigen und selbst aktiven Menge und dem Befehl des örtlichen
SA-Führers 'Nicht schlapp machen!' überfiel die Schlägerbande die
Familien Max und Julius Rothenberger, Hauptstraße 80, die Familie des
Möbelhändlers Max Oppenheimer, Hauptstraße 7, und des Uhrmachers
Michael Homburger, Hauptstraße 9. Schließlich zog man zur Mühlstraße
14, wo der Viehhändler Hermann Frank wohnte, und zur Schulstraße 10, der
Viehhandlung von Hermann Rosenthal. Die drei letzten Opfer waren Ludwig
und Julius Samuel, Untergasse 5, und Sally Löb, Mühlstraße 15. In den Gerichtsakten
eines Nachkriegsprozesses vor dem LG Gießen im April 1949 ist
ausdrücklich festgehalten, dass die Schreie der Misshandelten weithin zu
hören waren. Nur von einer jüdischen Familie ist bekannt, dass sie bei
christlichen Nachbarn Schutz fand. Gustav Blumenthal, seine Frau Emma und
die Kinder Werner und Trude verbrachten diese Pogromnacht in einem
Dickwurzkeller.
Die zweite Terroraktion fand am Abend des 26. September 1933 statt.
In jenen Tagen befanden sich an den Bäumen der Straße nach Hartmannshain
noch Wahlparolen der Eisernen Front aus dem letzten Wahlkampf. Die SA
plante nun eine Säuberungsaktion, die von jüdischen Männern
durchgeführt werden musste. Sie befahl Gustav Blumenthal, Julius
Rothenberger, Julius Samuel und Siegfried Stein, sich mit Eimer und
Schrubber am Ortsbrunnen einzufinden, wo schon eine große Menge Zuschauer
.- etwa 100-200 Ortsansässige - wartete. Bereits auf dem Weg zum
Schottener Kreuz wurden die vier Männer mehrfach geschlagen. Am Ort
angekommen, teilte die SA jedes der Opfer einer Gruppe von 'Bewachern' zu,
die zum Teil mit geschwärzten Gesichtern, während des Abwaschens der
Wahlparolen auf die vier Juden einschlugen. Anschließend ließ man sie
'strafexerzieren'." |
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst war ein Betraum oder eine erste Synagoge
vorhanden.
1866 wurde eine neue Synagoge erbaut. Erstellt wurde ein
zweigeschossiger Massivbau. Der Schaugiebel zur Hauptstraße war von zwei
Lisenen, die vom Sockel aufsteigend im Giebeldreieck mündeten, und von den
dazwischen liegenden Fenstern mit Rundbögen gegliedert. Der Straßengiebel war
unverputzt und trug auf der Spitze die Gebotstafeln. Das Synagogengebäude
umfasste auch einen Schulraum, die Lehrerwohnung und im Gewölbekeller das
rituelle Tauchbad (Mikwe).
Um die Zeit der Synagogeneinweihung wurde auch ein Synagogen-Männerchor
gegründet. 1903 war ein Umbau beziehungsweise eine Reparatur des
Gebäudes notwendig.
Fürstlicher Besuch in der Synagoge (1908)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 7. August
1908: "Gedern (Oberhessen). Vergangenen Samstag hatte unsere Synagoge
fürstlichen Besuch.
Die hier zurzeit weilende fürstliche Familie Stolberg-Wernigerode
wohnte nämlich dem Morgengottesdienste von Anfang bis Ende bei. Mit
lebhaftem Interesse folgten die Herrschaften den gesanglichen Vorträgen
der üblichen Gebete, sowie den Gesängen des hier schon fast 50 Jahre
bestehenden Männerchores. Beim Verlassen des Gotteshauses sprachen sie
wiederholt ihre hohe Befriedigung über die empfundenen Eindrücke
aus." |
1926 konnte in Anwesenheit des Provinzialrabbiners Dr.
Hirschfeld (Gießen) das 60-jährige Bestehen der Synagoge gefeiert werden,
worüber ein Bericht vorliegt:
Feier zum 60-jährigen Bestehen der Synagoge (1926)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. November 1926: "Gedern,
1. November (1926). Am Schabbat Lech Lecha (d.i. der Schabbat mit
der Toralesung Lech Lecha = 1. Mose 12,1 - 17,27; das war am 16.
Oktober 1926) feierte die hiesige Synagogengemeinde den Tag der
60-jährigen Wiederkehr der Einweihung ihres Gotteshauses. In der festlich
geschmückten Synagoge sprach Freitag Abend Herr Lehrer Bauer zu
seiner Gemeinde, während am Schabbat-Morgen Herr
Provinzialrabbiner Dr. Hirschfeld, Gießen, in sehr zu Herzen gehender
Predigt auf die Bedeutung des Tages hinwies und auf die wechselseitigen
Beziehungen von Synagoge und Haus aufmerksam machte. Die Feier wurde von
mehreren Gesangsvorträgen des Synagogen-Männerchors umrahmt. Letzterer
wurde bei Einweihung der Synagoge gegründet und wirkt seit dieser Zeit
ununterbrochen." |
Nur noch etwa 10 weitere Jahre war die Synagoge Mittelpunkt
des jüdischen Lebens in Gedern. 1937 wurde das Gebäude an die Stadt
verkauft und entging daher einer Zerstörung beim Novemberpogrom 1938.
Nach 1945 wurde das Gebäude zu einem Wohnhaus umgebaut. Im Erdgeschoss
wurde ein Café eingerichtet.
Adresse/Standort der Synagoge: Lauterbacher
Straße (frühere Hauptstraße) 78
Fotos
(Quelle: Altaras s. Lit. 1988 S. 186)
Historische Ansicht der
Hauptstraße
(jetzt Lauterbacher Straße)
mit der Synagoge |
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Erkennbar ist die noch
unverputzte Giebelseite |
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Das Synagogengebäude
nach 1945 (Foto von 1984) |
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Das bis zur Unkenntlichkeit zu
einem
Wohnhaus und Café umgebaute
ehemalige Synagogengebäude |
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Aktuelle Fotos werden noch
ergänzt |
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Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
Mai 2010:
Eine Gedenktafel wird im August an der Synagoge
enthüllt |
Artikel im "Kreis-Anzeiger" vom
29. Mai 2010 (Artikel):
"Gedenktafel wird am 8. August enthüllt.
GEDERN. Stadtverordnetenversammlung hebt Sperrvermerk auf
(wk). Am 8. August werden die Kirchengemeinden und die Stadt Gedern eine Gedenktafel an der ehemaligen Synagoge in der Lauterbacher Straße enthüllen. Dazu werden auch jüdische Zeitzeugen erwartet, die davon berichten werden, wie sie unter den Nazis gelitten haben und mit ihren Familien in Konzentrationslager verschleppt wurden.
30 jüdische Familien mit 131 Angehörigen seien in Gedern während des Dritten Reichs Opfer der Gräueltaten gewesen, berichtete Stefan Betz während der Debatte darüber, wo die Gedenktafel angebracht werden solle..."
|
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August 2010:
Berichte zu Enthüllung der
Gedenktafel |
Artikel im "Kreis-Anzeiger" vom 6.
August 2010 (Artikel):
"Gedenktafel wird am Sonntag in Gedern enthüllt.
GEDERN. Bereits am Vorabend Vortrag im evangelischen Gemeindehaus.
(jub). Als die Witwe Dora Vöhl am 1. Juli 1937 Gedern verlassen hatte, galt die Stadt als
'judenfrei', wie es in der Sprache des Nationalsozialismus hieß. Eine wenige Jahre zuvor noch blühende jüdische Gemeinde, die fünftgrößte in der Wetterau, war unwiederbringlich erloschen. Nun, 73 Jahre später, wird mit dem Aufstellen einer Gedenktafel vor der ehemaligen Synagoge in der Lauterbacher Straße endlich eine schmerzhafte Lücke im kollektiven Erinnern
geschlossen...". |
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Artikel im "Kreis-Anzeiger" vom 10. August 2010 (Artikel):
"'Gedenktafel gibt stummes Zeugnis von ihrer Existenz'
GEDERN (jub). 'Die von den Nationalsozialisten ermordeten und vertriebenen Juden haben niemanden, der sich an sie erinnert. Damit wenigstens ihre Namen nicht vergessen werden, geben Gedenktafeln ein stummes Zeugnis von ihrer
Existenz', sagte Manfred de Vries, stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, als am Sonntagnachmittag vor der ehemaligen Synagoge in der Lauterbacher Straße unter großer Anteilnahme der Bevölkerung die Gedenktafel mit 35 Familiennamen enthüllt wurde. Spät, sehr spät - 73 Jahre, nachdem die jüdische Gemeinde ausgelöscht worden war - erinnert die Stadt Gedern nun endlich an jene 131 Frauen, Männer und Kinder jüdischen Glaubens, die zwischen 1933 und 1937 Gedern verlassen mussten. Viele von ihnen gingen in den sicheren Tod...." |
|
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 237-239. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. S. 186 |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 150. |
| dies.: Neubearbeitung der beiden Bände. 2007 S.
382-383. |
| Thomas W. Lummitsch: Jüdisches Leben in Gedern.
Hrsg. vom Magistrat der Stadt Gedern. 231 S. 1991. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 321-322. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 118-120. |
| Webportal
"Vor dem Holocaust" - Fotos zum jüdischen Alltagsleben in
Hessen mit Fotos zur jüdischen Geschichte in Gedern
|
|
Mathilda Wertheim Stein: The Way it Was: The Jewish World of Rural Hesse. 427
pages.
FrederickMax Publications 2000. ISBN 978 0 967 3282 01.
Weitere Informationen: siehe eingestellte
pdf-Datei mit Bestellmöglichkeit über www.israeled.org
bzw. http://www.amazon.com/The-way-was-Jewish-world/dp/0967328209
In diesem Buch wird u.a. über die Terroraktionen/Pogrome 1933 in Gedern
berichtet (Kap. 12). |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Gedern
Hesse. Established before 1700, the community numbered 183 (9 % of the
total) in 1861. The Jews primarily earning their living as livestock dealers,
were religiously Liberal but affiliated with the Orthodox rabbinate of Giessen.
From 13 March 1933, the Nazi boycott and vicious assaults drove Jews to leave
the town. As a result of severe persecution, none remained by April 1937; 15
emigrated and 105 moved to other parts of Germany.
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