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Montreux (Kanton
Waadt, Schweiz)
Jüdische Geschichte / Geschichte der Jeschiwa Ez Chajim
mit Beiträgen zu ihrer Geschichte aus
jüdischen Periodika bis in die 1930er-Jahre
Übersicht:
Zur Geschichte
der jüdischen Gemeinde und der Jeschiwa Ez Chajim ("Lebensbaum") in Montreux
Jüdische Gemeinde: In Montreux
sind seit Ende des 19. Jahrhunderts einige jüdische Personen/Familien zugezogen. In den Sommermonaten
hielten sich regelmäßig jüdische Kurgäste in der Stadt auf, für deren Unterbringung und
Verpflegung es einzelne Einrichtungen gab, darunter die Israelitische
Restauration / Hotel "Pension Levy". 1917 bildete sich eine kleine
jüdische Gemeinde, die 1954 mit der Nachbargemeinde Vevey
fusionierte. Sie bestand bis 2008 als "Communauté Israélite
Vevey-Montreux" mit etwa 20 Familien. In diesem Jahr fusionierte die jüdische
Gemeinde mit der Gemeinde Lausanne zur "Israelitischen Gemeinde Lausanne
und des Kantons Waadt" (CILV). Die Synagoge in Montreux befand
(befindet?) sich in der 25, Avenue
des Alpes. Der mit Vevey gemeinsam belegte jüdische Friedhof der Gemeinde liegt auf dem Gemeindegebiet von
La Tour de Peilz.
Jeschiwa Ez Chajim: Große Bedeutung für die orthodoxe jüdische Welt bekam die Stadt mit der
Gründung der Jeschiwa "Ez Chajim" im Jahre 1927. Gründer der
Einrichtung war Rabbi Jerachmiel Elijahu Botschko (1892-1956), der an der
Jeschiwa jahrzehntelang neben anderen bedeutenden Lehrern als Tora-Gelehrter
unterrichtete. Botschko stammte aus Slobodka in Litauen, wo er an verschiedenen
Talmudhochschulen ausgebildet worden war. Im Ersten Weltkrieg ist er in die
Schweiz eingewandert. Botschkos Wirken an der Jeschiwa hatte große Bedeutung
für die Entwicklung der orthodoxen jüdischen Gemeinde in der Schweiz und in
Westeuropa.
In der Zeit des Zweiten Weltkrieges studierten zeitweise 120 junge Männer an
der Jeschiwa. Für viele von ihnen war Montreux Zufluchtsort vor den
Verfolgungen in der NS-Zeit.
Um 1956 übernahm Moses Botschko, der 1916 geborene Sohn von
Jerachmiel Elijahu Botschko die Leitung der Jeschiwa. Unter den Lehrern an der
Jeschiwa war bis zum seinem Tod im Januar 1966 in Montreux u.a. Rabbiner Dr.
Jechiel Jakob Weinberg (geb. 1884 in Ciechanowiec, 1931 bis 1939 letzter
Rektor des Berliner Rabbinerseminars, 1945 aus dem Internierungslager Wülzburg
bei Weißenburg in Bayern befreit;
bis 1947 in Weißenburg, Vorsitzender
des dortigen "Jüdischen Komitees" der bis etwa 100 Displaced Persons), ein führender talmudischer Gelehrter und
halachische Autorität.
1985 wurde die Jeschiwa nach Kokhav Yaaquov in der Nähe von Jerusalem
verlegt, wo sie seitdem unter dem
Namen "Jeschiwat Heichal Elijahu" besteht und für 200 Talmidim Gelegenheit zum Studium gibt. Moses Botschko
unterrichtete bis zu seinem Tod im September 2010 an dieser Schule (vgl.
Bericht
unten zu seinem Tod von J. Sternberg).
Nachfolger in der Leitung der Jeschiwat Heichal Elijhahu wurde nach dem Tod
Moses Botschkos sein Sohn Schaul David Botschko.
Berichte aus der
jüdischen Geschichte in Montreux
Hinweis: ein Teil der Berichte konnte noch die
abgeschrieben werden, kann jedoch durch Anklicken der Textabbildungen gelesen
werden.
Allgemeine Berichte über jüdisches Leben in Montreux
Empfehlung von Montreux als "schweizerisches Nizza"
mit dem israelitischen Hotel "Joli Site"
(1900)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Februar
1900: "Aus der Schweiz. Wir glauben den zahlreichen, während
der Frühlingsmonate nach der Riviera reisenden, jüdischen
Erholungsbedürftigen einen Gefallen zu erweisen, wenn wir sie auf eine
Zwischenstation aufmerksam machen, die von vielen Ärzten mit Recht als
eine überaus günstig gelegene klimatische Übergangsstation von dem
rauen, deutschen Winter, zu dem warmen Süden erachtet und empfohlen wird.
In anmutigster Lage, zwischen Weinbergen eingebettet, liegt dicht am Ufer
des Genfer Sees das seit Jahrhunderten von Erholungs- und Ruhebedürftigen
mit Vorliebe aufgesuchte Städtchen Montreux. Auf der Nordseite von den
hohen Bergen des Berner Oberlandes begrenzt, ist es so völlig geschützt
gegen die rauen Winde, während von Süden her die milden Lüfte des
unfernen Italiens über den lieblichen See herüberwehen. das fast immer
wolkenlose blaue Firmament erhöht den landschaftlichen Reiz dieses von
Mutter Erde so besonders bevorzugten Fleckchens Erde.
Der von Jahr zu Jahr steigenden Zahl der Kurgäste entsprechend, haben
Stadt- und Kurverwaltung Alles aufgeboten, um den Ansprüchen und
Bedürfnissen der Besucher in jeder Hinsicht entgegenzukommen und finden
wir dort ein sehr schönes Kurhaus, mit vorzüglichen, zweimal täglichen
Konzerten, Theater, Lese- und Spielsäle etc. Seit vorigen Herbst hat die
renommierte israelitische Restauration 'Pension Levy', welche
während der Sommermonate in Interlaken für die leiblichen
Bedürfnisse der rituell lebenden Kurgäste sorgt, ein Hotel
eröffnet, das sich trotz des kurzen Bestehens durch seine vorzügliche
Küche, peinlichste Sauberkeit, aufmerksamste Bedienung und trotz dieser
Vorzüge sehr mäßigen Preise einen zahlreichen Passanten- und Touristen-Verkehr
zu gewinnen wusste.
Das Hotel ist während der Wintersaison, also von Oktober bis März,
geöffnet und verdient in der Tat die lebhafteste Frequenz seitens der
zahlreichen, nach dem Süden pilgernden und rituell lebenden
Erholungsbedürftigen und dürfte wohl kein Besucher dieses Hotels
dasselbe und die freundliche und aufmerksame Bewirtung anders als dankbar
in Erinnerung behalten. Der Name des Hotels 'Joli Site' spricht
für dessen wunderbare Lage. Fast unmittelbar am Ufer gelegen, gewähren
die Zimmerbalkons eine herrliche Aussicht auf den glänzenden See, der bei
dem regen Verkehr der Dampf- und Segelschiffe an dieser Stelle ein stets
abwechslungsreiches Bild zeigt.
Wir können aus all diesen Gründen, zu welchen sich noch die absolute,
religiöse Zuverlässigkeit der von Interlaken ohnedies bestrenommierten
Wirte gesellt, den Besuch Montreux's aufs Wärmste empfehlen. Auch
Vergnügungsreisende werden sich bei einem Aufenthalte in Montreux
überzeugen, dass dieser Ort mit Recht seinen Beinamen 'Das schweizerische
Nizza' verdient." |
Aus
der Geschichte der Jeschiwa in Montreux in den ersten zehn Jahren ihres
Bestehens (1927-1937)
Über die Jeschiwa in Montreux
(1927)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Dezember
1927: "Die Jeschiwa in Montreux.
In Montreux, in der Mitte der Schweizer Riviera, von der Außenwelt
gänzlich isoliert, wirkt die einzige Jeschiwa in der Schweiz. Diese
Institution in Montreux, obwohl sie noch im zarten Alter steht, erreichte
schon jetzt bedeutende Resultate. Ihr Name 'Ez-Chaijim' ist das Symbol,
das Sinnbild der Unverwüstlichkeit des jüdischen Lebensbaumes: Aus allen
Gebieten der Schweiz, Ungarns und Deutschlands kommen die Toradurstigen
Jünglinge und widmen ihre Zeit mit hervorragendem Fleiße dem Studium der
Thora; schon dies ein schönes Ergebnis, wenn wir bedenken, dass sozusagen
auf Wüstenland diese Edelfrüchte tragende Oase entstanden ist. Und dies
alles ist das Verdienst des Herrn Botschko in Montreux, der mit
aufopfernder Hingebung und edlem Eifer die Jeschiwa gegründet hat und
auch ihr väterlicher Leiter sowohl in geistiger als auch in materieller
Hinsicht ist. Zur Befestigung der Jeschiwoh wurden Dozenten aus der Elite
der berühmten Telscher Jeschiwoh (Litauen) berufen, die mit musterhaftem
Eifer und hoher Intelligenz die ihnen übertragene heilige Aufgabe
ausführen und den anderen Bachurim ein gutes Vorbilde geben. Die Jeschiwa
wirkt im strengsten Sinne der Tradition und ist der litauische Derech
Halimud eingeführt, der sich dadurch auszeichnet, dass er stets
bestrebt ist, durch Logik und Klarheit über manche Stelle im Talmud
aufzuklären.
Wollte Gott, dass dieses schöne Beispiel auch in anderen Städten des
Auslandes nachgeahmt werde." |
Vortrag
von Rabbi Botschko in Luzern über die Jeschiwa in Montreux (1928)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. April 1928: "Luzern, 17. April.
Dem Talmud Thora-Verein Luzern war es gelungen, Herrn R. Botschko aus
Montreux für einen Vortrag zu gewinnen. Vor einem zahlreich erschienenen
Publikum sprach der Gründer der Jeschiwah in Montreux über das Thema:
Wohin steuert unsere Zukunft? In anschaulichen, aus dem täglichen Leben
gegriffenen Bildern zeigte der Redner, wie die heutige Jugend vielfach im
Materialismus aufgehe. Keine hohen Ideale seien mehr zu finden. Sport und
Lebensgenuss werden als die erstrebenswertesten Güter hingestellt. Das
ist die Frucht der heutigen Kultur, der modernen Lebensanschauungen, die
das Geistige zurückdrängen. Ist es da verwunderlich, dass der jüdische
junge Mann unser dem Einfluss seiner Umgebung auch ihre Anschauungen übernimmt,
dem schillernden Gefunkel ihrer falschen Kultur zum Opfer fällt und sich
immer weiter von der Tauroh (Tora), dem Born der höchsten Weisheit und
Wahrheit, entfernt? Da muss das Elternhaus eingreifen, muss in die Seelen
der Kinder, die auf den Straßen und in der Schule allen Verlockungen
ausgesetzt sind, den Geist der Tora einpflanzen, damit sie die Nichtigkeit
und Äußerlichkeit der weltlichen Kultur durchschauen lernen. Deshalb ist
in Montreux, auf dem ‚steinigen Boden’ der Schweiz, eine Jeschiwoh
gegründet worden, um dem Schweizer Judentum ein höheres Ideal zu geben
als nur Gelderwerb und Genuss. Und so schloss der Redner seinen mit vielen
Zitaten aus dem Talmud gewürzten Vortrag mit einem Aufruf an die Eltern,
ihm ‚Bachurim’ zu senden, nicht Geld, denn wenn einmal der Geist der
Tora sich Weg gebahnt, ist das andere eine Leichtigkeit. Herr J. Herz
dankte für die mit großem Beifall aufgenommene Rede und eröffnete die
Diskussion, an der sich Herr Eisenberg und Herr cand. phil. L. Schochet
beteiligten. Mit einem kurzen Schlusswort des Präsidenten endete dann der
interessante, lehrreiche Abend." |
Sitzung des engeren Ausschusses des Jeschiwa-Kuratoriums
(1928)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. August
1928: "Für die Jeschiwah Montreux.
Zürich, 10. August (1928). Am vorletzten Sonntag trat hier unter dem
Vorsitz von Herrn Saly Harburger der engere Ausschuss des
Jeschiwa-Kuratoriums zusammen. In Anbetracht, dass mehrere Herren des
Kuratoriums gegenwärtig in den Ferien sind, konnte das gesamte Kuratorium
nicht einberufen werden. Herr Harburger berichtete von der schönen
Entwicklung dieser Institution, die er jüngst persönlich anlässlich
seines Aufenthaltes in Montreux wahrnehmen konnte. Die Jeschiwa ist
innerhalb genau so aufgebaut und geleitet, wie die bekannten Jeschiwaus
des Ostens, während sie äußerlich einen ganz modernen Charakter trägt
und den Verhältnissen des Westens durchaus entspricht; die Jeschiwa sei
daher ein Segen für die schweizerische Judenheit.
Herr A. W. Rosenzweig verlas einen Statutenentwurf, der vom Ausschuss
genehmigt wurde und der dem Gesamt-Kuratorium übergeben werden
soll.
Herr Botschko berichtete ausführlich über die großen Fortschritte der
Kinder und betonte, dass sie durch ihren großen Fleiß und die intensive Studiumsvertiefung
uns große Freude bereite. Die Begeisterung fürs Lernen, die bei den
Jüngeren allgemein herrscht, ist vorbildlich. Die erfreuliche Tatsache,
dass sich bereits im 2. Jahre die Schülerzahl mehr als verdoppelt hat,
kann als großer Erfolg des Jeschiwa-Gedankens bezeichnet werden.
Sodann berichtete Herr Botschko über den finanziellen Stand der Jeschiwa
und dass mit der Vermehrung der Schüler auch die materiellen Mittel
erheblich zugenommen haben. Es ist besonders erfreulich, dass ein Teil der
Eltern, deren Kinder die Jeschiwa besuchen, selbst ca. Fr. 2.000.-
monatlich beitragen. Die Jeschiwa hat zwar einen internationalen
Charakter, ist aber vorwiegend eine schweizerische Institution, da von
ihren 30 Schülern über zwei Drittel schweizerische Kinder sind, und
daher soll die Institution auch von der Schweiz erhaltne werden. Wenn auch
die Schweiz viele Institutionen erhält, ist die Jeschiwa auf dem
geistigen Gebiet doch die einzige.
Herr Botschko legte alsdann dem Ausschuss ein Projekt vor, ein großes
Anwesen zu mieten, in dem die Jeschiwa ganz untergebracht werden soll; es
handelt sich um das berühmte Schloss 'Quisisana'. Dieses Projekt wurde
vom Ausschuss gutgeheißen und Herr Botschko zur Unterzeichnung eines
längeren Vertrages ermächtigt. - Sodann entspann sich eine lebhafte
Debatte, wie die im Jahresbudget an Fr. 50.000 noch fehlenden Fr. 15.000
aufgebracht werden sollen. An der Debatte beteiligten sich die Herren:
Rabbiner Kornfein, S. Harburger, A. W. Rosenzweig, Tepliz, Eiß, Pines und
J.M. Herz. Wichtige Beschlüsse der Genehmigung des Kuratoriums
vorbehalten wurden hierüber gefasst.
Allgemein kam der Wunsch zum Ausdruck, sämtliche Gemeinden und Vereine
zur Mitarbeit und zur weiteren Ausgestaltung dieses Werkes heranzuziehen.
- Ein Gesuch des Rabbiner-Seminars aus Paris, eine Gruppe seiner Schüler
für einen Kurs in die Jeschiwa aufzunehmen, wurde unter gewissen
Bedingungen gutgeheißen. Herr Camille Lang und A. W. Rosenzweig wurden um
weitere Beibehaltung der Zentralkasse gebeten. - Für den Monat September
soll das gesamte Kuratorium nach Montreux einberufen
werden." |
Besuch in der Jeschiwa von Dr. M. Ascher
(1928)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. September
1928: "Ein Besuch in der Jeschiwa Montreux.
Es gibt doch nichts Herrliches als die Heilige Tora. Das ewig
lebendige Gotteswort ist weiter als das Meer, tiefer als der Tiefen Grund,
erhabener als der Berge Höhen. Die Quellen der Heiligen Tora laben
das Herz, erfreuen das Gemüt, erleuchten das Auge, erweitern den Blick,
stärken den Geist, veredeln den Menschen. Je weiter man sich von diesen
Quellen entfernt, umso mehr entfernt man sich von der Wahrheit, umso mehr
Fehler entstehen und Missverständnisse machen sich breit. Wohl dem, der
nach der Tora Lehren sich richtet. Diese Lehren bedeuten Glück und
Frieden, Trost und Labsal selbst in den Tagen des Leids und eine Quelle
des Heils in allen Lagen des Lebens. Um in die Kämpfe und Gefahren des
Lebens hinauszuziehen., ist Kunst, sogenannte Bildung und Wissenschaft ein
zu schwacher Schutz für des Jünglings Herz. Da ist es erst das ewig
Leben spendende Gotteswort, welches der Jüngling studiert haben muss, um
allen Stürmen und Anfechtungen des Schicksals trotzen zu können, sodass
alle Verlockungen des Lebens ihm nichts anhaben können. 'Gras dorrt und
Blume welkt, das Wort unseres Gottes blüht ewiglich.'
Am 6. Tischri wurde in dem paradiesisch gelegenen wunderschönen
neuen Heim der Jeschiwa Montreux Prüfung abgehalten, die phänomenale
Leistungen seitens der Schüler und - last not least - seitens der Lehrer
aufwies. Es wurde der Inhalt einiger Perekim aus Bava Metzia
und Kidduschin durchgenommen. Schon die unterste Klasse bewies,
dass dort, wo echter Torageist herrscht, auch in kurzer Zeit Grandioses
erzielt wird. Kinder, die noch vor Kurzem kaum über die Anfangsgründe
hinaus waren, entpuppten sich als kleine Gelehrte, die nicht nur mit gutem
Verständnis die erlernte Gemara nachzusagen verstanden, sondern
die auch wussten, allen kreuz- und Querfragen geschickt zu begegnen. Die
zweite und dritte Klasse zeigte so erstaunliches Wissen, dass man als
Besucher sich unwillkürlich fragte: was mag wohl an höherer Leistung
noch für die vierte Klasse übrig geblieben sein?
Wir mussten, um noch rechtzeitig nach Hause zu gelangen, vorzeitig die
Prüfung verlassen, was wir sehr bedauerten. Die Leiter, Herr Botschko und
seine Herren Mitarbeiter, haben Großes geschaffen. Die Schweiz und die
Judenheit können stolz auf dieses Werk sein, das Ewigkeitswerte in sich
birgt. Dr. M.
Ascher." |
Schwester Recha Feuchtwanger aus Berlin hilft bei der
Einrichtung der Jeschiwa mit (1928)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. November
1928: "Montreux, 5. November (1928). Schwester Recha
Feuchtwanger aus Berlin hat sich freiwillig und uneigennützig in den
Dienst der hiesigen Jeschiwoh gestellt. Sie kam für eine Monate hierher,
um das neue Jeschiwa-Heim in Villa Quisisana für ca. 35 Schüler
einzurichten und zu ordnen, wobei sie wirklich Großes vollbrachte. Sie
tat alles, um die Räume den Lernenden wohnlich und angenehm zu machen.
Schwester Recha hat selbst nach ihrem Verlassen der Jeschiwa weiter für
dieselbe gewirkt und sie steht immer noch in engster Verbindung mit ihr.
Durch ihre Bemühungen in ihrem weiten Bekanntenkreis erhielt die Jeschiwa
letzthin eine große Kiste neuer prachtvoller Silberbestecke. Schwester
Recha, die keine Danksagung will, wird der Lohn für ihre aufopfernde
Arbeit zum Guten der Tora und ihres Studiums von höherer Stelle
werden." |
Bericht über "eine Jeschiwo im Schnee"
(1929)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Januar
1929: "Eine Jeschiwo im Schnee. Der Höchstpunkt von
Montreux.
Ein Stückchen Schweizererde, auf die der Weltenschöpfer seinen ganzen
Farbenkessel ausgegossen hat. Gewaltig erheben sich die weißgekrönten
Höhen in Zacken und Ketten über den glitzernden, in allen Farben
spielenden Genfersee. Unten alabasterweißer, hartgefrorener Schnee, und
von oben eine warme strahlende Sonne, als käme der junge Frühling zum
alten Winter zu Besuch und küsste ihn so herzhaft, dass der Alte lachen
muss. Sind alle Menschen hier nur deswegen so froh, so heiter, so
freundlich und voller Entgegenkommen, weil die Sonne über den schneeigen
Höhen alles, alles, selbst die hartgefrorene Wintererde, zum Lachen
bringt?!
Es gab wohl Zeiten, da die Menschen auch hier zwischen Berg und See dieses
Lachen des Schöpfers nicht verstanden. In den See direkt hineingebaut,
steht das Chateau de Chillon, ein graues, hartgebautes Schloss,
tausend Jahre alt, mit Zinnen und Kuppeln, mit einem Labyrinth von
Zimmern, Gemächern, Dunkelkammern, Prunksälen mit altem Zinn und
geschwungenen Waffen, mit Kellern, Ketten und Gefängnissen,
Foltermaschinen und Galgen. Hier kann man das Grauen lernen. Hier hatten
sich Ritter befestigt. Wehe dem Armen, der als Gefangener in diese
Katakomben hinuntergeführt wurde. Er sah das Sonnenlicht über den
weißen Bergen nie mehr und den See vielleicht nur durch die schmale
Schießscharte in der Mauer, kurz bevor er als Leiche zu den
französischen Bergen hinübertrieb.
Und Menschen kommen aus allen Erdteilen, aus Amerika und Australien und
allen Ländern Europas, um zu schauen und zu staunen, sich von einem
Führer die Keller und Ketten zeigen zu lassen und die Steine, die
durchweicht waren von Tränen Unglücklicher und Unschuldiger. Welche
Worte des Hasses, des Flehens, der Verzweiflung, der Sehnsucht nach Sonne
und Leben sind in diese grauen Quader mit zittriger Hand eingegraben!
Jeder Stein spricht von einer versunkenen Welt des Leides und des Lasters,
der Zechgelagen oben und der dumpfen Verzweiflung unten. Versunken
ist diese Welt, Gott sei es gedankt. Der unweit von dieser Stadt tagende Völkerbund
sieht sich zuweilen diese Stätte an. Aus den kalten, grauen Gräbern der
Menschenschändung in der Ritterzeit mag etwas Licht und Freude für ein
Geschlecht der Gegenwart und für die Zukunft erblühen!
Auf der anderen Seite erhebt sich der Hügel Chatelard, und darauf
ein noch nicht so altes Schlösschen, die Villa 'Quisisana'. Wir steigen
die vierhundert Meter hinauf und stehen wiederum auf Geschichtsboden:
mitten in der jüdischen Vergangenheit, die gar nicht Vergangenheit
ist, sondern lebendige Gegenwart und erst recht Zukunft. Die Steine
und Mauern, eingerahmt von weitem Baum- und Gartengelände, besagen nicht
so viel. Hier hat vor noch nicht so langer Zeit ein ägyptischer Chediv
seine Sommerresidenz gehabt. Heute wohnt darin die Tora, eine Jeschiwo,
eine regelrechte Jeschiwo, wie man sie, wohl in größerem Ausmaße, aber
in ihrer inneren Struktur nicht anders auch in Litauen oder Ungarn sehen
kann.
Eine Jeschiwo! Du lieber Himmel! Wenn ich in meiner Kindheitszeit aus dem
Fenster des Jeschiwobaues hinausschaute, da sah ich graue Haufen, graue
Holzhäuschen, graugelbe Schindel- und Strohdächer, weißgrauen Rauch aus
dem steilen Schornstein des Gemeindebades, graue Sorgenfurchen auf
schmalen Gesichtern von gebeugten Menschen, einen Tümpel, in dem Frösche
im Chore quakten vor einer grauen Sandebene, die man die 'Sarde' nannte.
Hier stehe ich auf dem Gipfel des Chatelard vor der Jeschiwo zu Montreux
und sehe hinab auf den leuchtenden See zu meinen Füßen, sehe hinüber zu
den schneebedeckten Bergketten, die die französische Erde einsäumen.
Unten zwischen Berg und See langen drei Häuserzungen, die am Abend
lichtgarniert sind wie bei einer italienischen Nacht in einem Park, mitten
in das Wasser hinein. Und darüber ein kristallblauer Himmel, der gegen
Abend ein Feuerrot aufnimmt, das das Blau nicht verdrängt. Hellblau,
Feuerrot und Violett in einem. Herr, was ist deine Welt
schön!...
Und da oben hat sich die Tora ein Schlösschen gebaut und sie sieht all
das gar nciht. Sieht nicht? Sie sieht's, fühlt's zutiefst und zuinnerst,
ist mit ein Stück dieser erhabenen und erhebenden Weltschönheit, und
singt im Chore mit am Lobliede für den Meister und sein Werk; ja singt in
Worten, was Berge, Seen, Schnee und Sonne in Leuchten, Glitzern, Scheinen
sagen und singen!
Fünfunddreißig Jungen treffe ich im großen Saale beim Lernen, beim 'Chasern'.
Ein Wunder im Wunder der Schöpfung tut sich meinen Augen und Ohren auf.
Ein Stück Litauen mitten in der Alpenwelt erblüht, ein Slabodjo und
Telsch aus den Bergen gezaubert. Die untergehende Sonne schüttet Farbenpracht
über Berg und Tal, drinnen sitzen die Fünfunddreißig und lernen, lernen
und lernen; singen, schreien, reden, einzeln und im Chore. Alle Sprachen
und Dialekte sind vertreten, aus sieben Ländern kommen die Jungen. Den
Geist beherrscht Litauen, die Sprache die Schweiz und das liebe
Schwyzerdeutsch. Dass ein Maharschoo 'chaipe' schwer sein kann, hörte ich
hier zum erstenmal in meinem Leben.
Ich wohne dem Unterricht in den einzelnen Gruppen bei. Es sind im ganzen
vier Abteilungen, von Anfängern im Alter von vierzehn und fünfzehn
Jahren bis zu Zwanzigjährigen, die selbstständig ein Blatt mit
allen Kommentaren lernen. Ich bin in der dritten Gruppe. Fünfzehn Jungen,
alle frisch, froh und sechszehnjährig. Eine schwere Sugja im Traktate
Gittin wird durchgenommen. Der Schöpfer und oberste Leiter dieses
Wunderwerkes, Herr Botschko, eine sittliche Persönlichkeit, aus
der Mussar-Atmosphäre der litauischen Hochschulen hervorgewachsen, mit
ganz hervorragender talmudischer Gelehrsamkeit und pädagogischer
Begabung, bearbeitet die Materie mit aller Tiefe und Gründlichkeit, unter
Heranziehung der ganzen einschlägigen Literatur. Ich fürchte, die Jungen
mit den lachenden Augen in ihren großwollenen Sweatern, die eher auf Ski
und Fußball hinweisen, als auf diese verschlungenen Gänge der Halacha,
könnte nicht alle folgen. Aber sie sind alle dabei, und die Kleinsten
wiederholen das Pensum in allen Nuancen mit einer Sicherheit, die mich
frappiert. Inzwischen arbeiten im andern Zimmer die acht älteren Jünger
der vierten Gruppe selbstständig an einem schweren Tossafot. Wenn
sie mit ihrer Sache fertig sind, wird sie der Leiter selbst abhören und
das Ganze mit einem Pilpul krönen. Und in den oberen Gemächern lernen
zur gleichen Zeit je fünf oder sechs Jungen der ersten und zweiten
Gruppe, einfach 'Pschat' mit Raschi und kleineren Tossafot. Ihre Lehrer
sind noch selber Schüler, die ältesten Bachurim und jüngsten Dozenten.
Die Luft in allen Räumen ist mit Thora angefüllt.
Gegen acht Uhr abends sind die Schiurim zu Ende und alle sind im große
Betsaale versammelt, wo das Maariwgebet mit einer Innigkeit und Inbrunst
verrichtet wird, dass die Welt mit ihrem Jagen und Hasten einfach
vergessen ist. Alle Schönheit der Alpennacht hat sich in die Tiefen der Seelen,
der Herzen verzogen, aus denen die Andacht wie der Bergbach frisch
sprudelt. Dünne, feine Stimmchen zittern wie im Märtyrerglück das 'Echod'
des 'Schma' und in Sportjacken gekleidete frische Jungen schaukeln sich
beim Achtzehngebet wie alte Rabbis. Und bei all dem keine Stubenhocker,
die hinter Licht und Sonne leben, mit dem Buche dem Leben, der Schönheit,
dem ersten Rechte der Jugend, dem Frohsinn, entführt werden. Das ist
keineswegs der Fall. Den großen Schneemann mit dem Besen in den
robusten Fäusten im Garten vor dem Jeschiwo-Hause muss man sehen und die
große Schneehütte davor, die die Jungen in den kurzen Pausen hier mit
Meisterhand errichtet haben! Es gibt auch Pausen für Spazieren gehen,
sogar für Rodeln und Skifahren. Dass manche Jungen darauf verzichten,
dass manche sogar nach dem Abendessen, was nicht sein soll, noch einmal
nach der Gemoro greifen und ein großes Loch in die Nacht hineinlernen,
ist nicht Schuld der Jeschiwo. Oder doch? ---
Und dann kommt der Sabbat über die Alpenhöhen ins Bertal, schleicht sich
mit den Abendschatten die Stufen hinauf zur Villa Quisisane. Im
Schlösschen, wo früher die ägyptischen Herrschaften orientalische Fest
gaben, brennen alle Lichter., Die Jungen, frisch pausbäckig und frohgemut,
stecken in ihren Sabbatanzügen. Am Vorbeterpulte steht der Leiter selbst.
Mit einem 'Lecho daudi' in der herzinnigen Slobodkoer Mussarmelodie wird
der Sabbat empfangen. Gebete an der Peripherie werden im herrlichen Chore
gesungen. Im Nebenraume sind die langen Tafeln weißgedeckt. Von unten
her, aus der Küche herauf, dringt der liebliche Duft gefüllter Fische.
Auch das ist litauisch.
Eine Stunde später ist die ganze Korona unten im Tale in der
Privatwohnung des Leiters, der im Nebenamte (er sagt, im Hauptberufe)
Kaufmann und Besitzer eines großen Ausstattungsgeschäftes ist,
versammelt. In der Sabbatstube brennen auf dem Tische, von der Decke
herab, an den Wänden sämtliche Lichter und Kandelaber. So saßen wir
einst, viele Jahrzehnte liegen dazwischen, um unseren Rebben in Woloschin.
Der Respekt ist so grenzenlos wie die Liebe endlos ist. Schwierige Erziehungsprobleme,
mit denen die moderne Pädagogik nicht fertig wird, sind hier spielend,
einzig durch die Disziplin, die aus der Materie, dem Konnex zwischen
Lehrer und Schüler kommt, gelöst. Schweizer Jungen, mit denen keine
Schule was anfangen konnte, sind hier Menschen, Juden, echte rechte
Torajünger geworden. Versuch am untauglichen Objekte, rieten Kundige ab.
Von der Kraft der Tora und des Mussar erfasst, wird das Objekt tauglich.
Letzteres bestätigte mir kein geringerer, als Herr Dr. Ascher in Bex,
einer unserer besten jüdischen Pädagogen, der Gelegenheit hat, Geist und
Gang der Jeschiwo aus nächster Nähe zu beobachten.
Der Leiter und väterliche Hausherr ruft aufs Geradewohl den einen und den
anderen auf, zieht ihn an sich heran, fragt ihn aus, hört ihn ab. Wer so
ausgezeichnet ist, strahlt und zeigt, was er kann. Indes die Hausfrau und
Mutter der Jeschiwo unermüdlich und unerschöpflich 'ihre Kinder' betreut
und bewirtet. 'Habt Ihr, Jungens, schon den Tee?' 'So greift doch zu, hier
Kuchen und Obst.' 'Du, mein Kind, gehe nicht so in die Luft hinaus, bist
so leicht erkältet'. Und so weiter, und weiter. Die Jungen strahlen,
singen, hören, erzählen. Einer unter ihnen wird 'Jossele' genannt,
wiewohl er ganz anders heißt, Jossele Rosenblatt, wegen
seiner |
lieblichen
Stimme und seiner Freude am Gesang. Er packt die schönsten Gesänge aus,
die andern stimmen im Takte mit ein. Ein dreifaches Licht strahlt in
diesem herrlichen Hause: Sabbatlicht, Licht der Tora, das Licht der
jüdischen Gastlichkeit.
Und von unten herauf, von der Seeseite, nähern sich bedächtige Schritte.
Es raschelt auf der Veranda. Leise und unsicher klopft es an die Türe.
Zwei Männer, groß, jugendlich, gut gekleidet, treten mitten in den
Lichtkreis, schauen etwas verlegen und fragen höflich, ob es gestattet
sei. Sie kommen, nach Kleidung und Manieren zu schließen, aus einem der
vornehmsten Hotels am See, wo Engländer und Amerikaner wohnen, vielleicht
schon von einem Bar. Sie sahen die Lichter, die ganz anders leuchteten,
sie hörten die Töne, die anders klangen, und es zog sie mit magnetischer
Kraft hinein. Ob sie eine Weile hier sehen und hören
dürften.
Gewiss. Die Fremden, mit ihren Stöcken in der Hand und dem Ulster auf dem
Arm doppelt fremd in diesem Kreise, werden freundlich begrüßt, zum
Sitzen eingeladen, mit Wein und Tee bewirtet. Sie schauen, sie hören, sie
staunen, sie lachen und einer - zieht langsam ein weißes Tuch aus der
Tasche und führt es unauffällig an die Augen. Kam eine Erinnerung aus
einer entlegenen Ecke der Seele zum Auge hinauf? Gemahnte was an eine
kleine Sabbatstunde irgendwo im Osten mit einer alten Mutter, deren
Runzeln im Scheine der Sabbatkerzen leuchteten! Damals, damals bevor man
noch über das große Wasser in das flutende Leben der neuen Welt
hineintrieb. Eine Erinnerung... Die Fremden verabschieden sich mit Dank
und gehen. Wer kann's sagen, ob nicht des Lichtes ein Funken sich in eine
halbverlorene Seele jetzt gestohlen hatte, ob nicht eine heilige Träne
einen irrenden Menschen auf den Heimweg bringt? Wer kann eine jüdische
Neschomo (Seele) in ihren tiefsten Tiefen durchschauen und
bewerten?
In Montreux wohnen einige einheimische Juden seit undenklichen Zeiten.
Versprengte Teile aus dem Elsässischen, die nicht die Zahl und vielleicht
auch nicht den Willen hatten, sich zu einer Gemeinde zusammenzuschließen.
Als die Jeschiwo noch in primitiver Form unten in der Stadt hauste, sahen
diese Juden mit Unbehagen und Argwohn zu ihr hin. Fremde Sachen, was
werden die Andern sagen? Sie stehen jetzt zuweilen unten und horchen, wenn
das Toralied hinunterklingt. Manch einer findet den Weg hinauf, wenn er
'Jahrzeit' hat, um Kaddisch zu sagen. Im nahen Lausanne geben Juden, die
für ihre Person dem Judentum der Tora ziemlich fremd und fern stehen,
sogar recht viel Geld für die Erhaltung der Jeschiwo. Wer kennt die
Fernwirkung eines zündenden Blitzstrahls.
Am Sabbatmorgen ist der Gottesdienst mit einer zündenden Mussardroscho
des Leiters bereichert. Sabbats Scheidestunde ist mit einem Vortrag des
Gastes ausgefüllt, und der Abend nach Sabbatausgang gehört der
Geselligkeit, der frohen Gemütlichkeit, dem Gaste, den Gästen zu Ehren.
Wie wir nach Mitternacht den Gipfel hinuntersteigen, stehen sie am Abhange
und singen Psalmen in die blaue Alpennacht. Wie ist dieses Wunder
entstanden? Von wem und wie wird dieses Wunderwerk erhalten? Ich weiß es
nciht. Ich habe in die Bilanzbücher des Unternehmens nicht geschaut. Aber
zwei Aktivposten sah ich, vie vielleicht mehr wiegen als Millionen an
Gold, die heißen: Freude und Vertrauen. Viele zweifelten,
viele lachten. Ein Unternehmen ohne Aktienkapital, ohne
Rentabilitätsaussichten... Faktoren, die zur Hilfe angerufen wurden,
hielten Sitzungen und Beratungen ab, fassten Resolutionen und legten Akten
an, sie liegen gut. Inzwischen ging Botschko, unterstützt von einem
Weibe, das sich an jüdischen Idealen entflammt, an die Arbeit und blieb
unentwegt und unbeirrt, ohne nach rechts und links zu schauen, am Bau. Er
machte Reisen, hielt Vorträge und schnorrte - um Menschengut. Sein
Gründungskapital bestand - in vier Jüngern, von den besten, aus Telsch,
deren einer schon seit Jahren Rabbinatsautorisation hat. Diese ersten
Bachurim und heutigen Unterdozenten, sie waren das lebendige Programm, sie
zeigten das Muster eines Bachur, eines der Tora, dem Mussar, dem Derech
Erez sich ganz hingebenden jungen Menschen. Sie schufen das Milieu, die
Atmosphäre, den Rahmen, in den sich dann alle und alles von selbst
einreihte. Es kamen sieben aus Ungarn hinzu, zwei aus Deutschland, aus Belgien,
aus England, aus dem französischen Elsass und dann nacheinander zwanzig
Schweizer. Drei von diesen Schweizern, die zum Teil ohne
Anfangskenntnisse herkamen, lernen heute schon in den Obergruppen und
lehren als Dozenten in den Untergruppen.
Wie dieses Wunderwerk erhalten wird? Durch mäßige, zum Teile sehr
geringe Bezahlung der Schüler, soweit sie aus wohlhabenden Familien
kommen; durch beschiedene Beiträge, die Mitglieder eines gegründeten
Vereins mit einem Kuratorium an der Spitze entrichten; durch freiwillige
Spenden. Ob es reicht? Ich weiß es nciht. Die Lernzimmer sind schön,
geräumig, mit blankgescheuertem Parkettboden, in die durch die
geöffneten Fenster Sonne, Licht und Luft in vollen strömen dringen. Blitzblank
die zwölf Schlafzimmer, sauber und hübsch der große Speisesaal, in
denen von einer würdigen Dame, die mit Herz und Geschick bei der Sache
ist, die reichlichen und gut zubereiteten Mahlzeiten verabreicht werden.
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Die Tora sucht ihre alte Stätte auf, sagte einstens der greise, weise
Rabbi von Radin und weilt gern da, wo sie sich in früheren Generationen
wohlfühlte. Suchen, sagt der weise Lehrer, ist nicht gleichbedeutend mit
Finden. Suche ich das Schutzdach auf, unter dem meine Väter Asyl
gefunden, und werde doch nicht eingelassen, so ziehe ich weiter. Die Tora
kam vor hundert Jahren und klopfte an die Westpforte Europas. 'Habe ich
doch bei euch gewohnt und unter euch so glücklich gelebt, flehte sie.
Wohnten und wirkten nicht bei euch die Großen von Mainz, von Rotenburg,
von Worms. Liegen nicht jenseits der Vogesen die Tossafisten begraben?'
Aber kalt und taub blieb der jüdische Westen. 'Kein Platz für dich, alte
Tora. Unsere Jungen müssen in die moderne Schule, müssen ins harte
Leben, müssen auf Sport- und Spielplatz, müssen in die Musikstunde. Was
willst du noch bei uns?' Kommt sie jetzt wieder durch das Westtor gezogen,
bekommt sie Einlass?
Und sie ging, die alte Tora, und schlug ihr Zelt da und dort auf, indes
der Westen verödete, und viele kostbare Keimkräfte unter dem starren
Winterboden starben und verdarben.
In der Schweiz, wo ebenfalls einstens große Lehrer (der alte Friedhof von
Endingen-Lengnau zeugt davon) wirkten, kletterte die Tora, da sie wieder
kam, 600 Meter hinauf und lässt dort ihre Stimme über Berg und Tal
erschallen, dass jenseits des Genfersees im französischen Boden die
großen Lehrer von Zorfath in ihren Gräbern erwachen. Weiß die Schweiz,
in der jetzt neues jüdisches Leben allen Poren entquillt, weiß der
Westen, weiß das Judentum, was sie dem Regenerator des Toralernens in der
Schweiz, dem Meister und seinem Werke schulden? S-tz.
(Schachnowitz)."
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Elijahu
Botschko referiert bei einer Tagung des Schweizer
toratreuen Zentralvereins im
Bet-ha-midrasch in Basel (1930)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Februar
1930: "Basel, 30. Januar (1930). Vor kurzem hatte der vom
Baseler Raw - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen -
gegründete 'Schweizer toratreue Zentralverein' im Baseler
Beshamidrasch Zusammenkunft und gemeinsames Lernen. Nachdem der bekannte
Leiter der Chewras Schaß, Herr M. Schwarz in Basel, die Gäste im
Namen des Vorstandes in einer kurzen, mit Toraworten geschmückten
Ansprache begrüßt hatte, hielt der Leiter der Jeschiwa in Montreux,
Herr E. Botschko, einen tiefgründigen halachischen Vortrag über
eine Sugja in Traktat 'Kettubot'. Zuerst gedachte er in warmen Worten des
Begründers der Schweizer Lern-Vereinigung und teilte seine Erinnerungen
mit, wie dieses 'Lernen' innerhalb der Chewras Schaß ihn eigentlich auf
die Idee brachte, eine Jeschiwa in der Schweiz zu gründen, um den
Nachwuchs für die Tora zu sichern. Darauf folgte das Lernen. Mit einem
Schlusswort und der Bitte, der Jeschiwa in Montreux zu gedenken,
schloss Herr Botschko seinen inhaltsreichen Vortrag. Die Aussprache der
Freunde, die nicht minder interessant zu werden versprach, wurde leider
durch die zu kurz bemessene Zeit verhindert.
Die feine dem Feste zugrunde liegende Idee hat auch diesmal ihr Ziel
vollauf erreicht. Der gemeinsame Aufmarsch der zerstreuten Torafreunde der
Schweiz hat den Mut und die Lust der Anteilnehmer gestärkt. Der Eindruck
war erfrischend und erfreuend zugleich. Mit neubelebter Liebe zur Tora im
Herzen ging es froh und mutvoll nach Hause." |
Zwei
Jahre Jeschiwa in Montreux (1929)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 24. April 1929: |
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Bericht
über das Wintersemester in der Jeschiwa (1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. März 1930: |
Drei
Jahre Jeschiwa in Montreux (1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 24. April 1930: |
Jahresversammlung
des Kuratoriums der Jeschiwoh Ez-Chajim (1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Juni
1930: |
Semesterschlussfeier und Einweihung einer Torarolle in
der Jeschiwa (1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Oktober
1930: |
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"Sonne hinter den Bergen" -
über die Jeschiwa in Montreux (1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. Oktober 1930: |
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Semestereröffnung
in der Jeschiwa
(1930)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Dezember
1930: |
Chanukkafest in
der Jeschiwa in Montreux
(1931)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Januar
1931: |
Semestereröffnung in der Jeschiwa
(1931)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Oktober
1931: |
Semesterschlussfeier in
der Jeschiwa (1933)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. April
1933: |
Über
die Jeschiwa in Montreux (1933)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. August 1933: |
Die
Jeschiwa in Montreux ist zur Weltbedeutung gelangt (1933)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Oktober
1933: |
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Semesterbeginn in der Jeschiwa
(1933)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. November
1933: |
Hespedreden
des Leiters der Jeschiwa auf bedeutende Rabbiner (1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 25. Januar 1934: |
Mitteilung
der Jeschiwa für Neuanmeldungen (1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. März 1934:
"Montreux, 14. März (1934). Die Leitung der Jeschiwoh 'Ez-Chajim'
in Montreux teilt mit, dass sie Neuanmeldungen für das Sommersemester nur
bis zum 15. April annehmen kann. Es bestehen sowohl Kurse für Anfänger
als auch für Fortgeschrittene. Das Sommersemester beginnt am 8. Ijar,
Sonntag, den 22. April." |
Abschluss
des 14. Semesters an der Jeschiwa mit einem Sijum (1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. März 1934:
"Montreux, 26. März (1934). Am Donnerstag, den 30. Adar (15.
März), wurde das vierzehnte Semester an der Jeschiwa mit einem
Sijum auf einen Teil des gelernten Traktates abgeschlossen. Im
Mittelpunkte der Feier stand eine längere Abschiedsrede des Rosch
Jeschiwa, Herrn Rabbiner Botschko, der in seiner tiefen und
eindringlichen, aus den letzten Quellen schöpfenden Art wieder alle
Herzen hinriss. 'Erkenne dich selbst' ist die erste Forderung der
jüdischen Mussarlehre, dann die Erkenntnis der Welt, die
Erkenntnis der Tora und die Erkenntnis Gottes. Nach
eingehender Besprechung dieser vier Wege richtete der Redner einen warmen
Appell an die abgehenden Schüler, immer der Lehre und dem Geist von
Montreux im Leben treu zu bleiben.
Der zweite Teil des Abends verlief bei Speis und Trank, schönen Gesängen
und guten Reden in voller Gemütlichkeit. Mehrere Jünger sprachen dem
Rebben heißen dank aus für das, war er ihnen in aufopferungsvoller
Tätigkeit fürs Leben geboten hat." |
Erinnerungen
an große Juden (1934)
Anmerkung: erinnert wird an Prof. Haffkine, der zeitweise in Montreux zu Gast
war und den Frankfurter Prof. Caro.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. April 1934:
"Erinnerungen an große Juden.
Es war vor sechs Jahren, an einem Erew Peßach. Als ich da in der Hitze
der Montreuxer Frühlingssonne zur Jeschiwoh am Berge hinaufstieg,
begegnete ich meinem Rebben, in dessen Begleitung sich ein älterer Herr
Befand. Der fast schäbige Anzug, den der Fremde anhatte, ließ auf einen
der vielen durchreisenden Armen schließen, die die Montreuxer Jeschiwoh
öfters aufsuchten. Nicht gering war daher mein Erstaunen, als mir der
fremde Herr mit dem Namen Prof. Haffkine vorgestellt wurde.
Professor?! - 'Meglech', sagte der Ostjude in zweifelhaften
Fällen.
Der alte Professor kam dann noch öfters in die Jeschiwoh, wobei wir das
Glück hatten, ihn näher kennen zu lernen. Wir vernahmen da manches von
seinem so überaus reichen Wissen, sahen die Demut, in der er sich mit
seinem Schöpfer aussprach und sahen - last not least - die bis zur
Selbstlosigkeit reichende Bescheidenheit, mit der dieser große Mann
imstande war, das kleinste Kind vor sich aus dem Zimmer gehen zu lassen.
Dass wir von seinem Vorhaben - eine Million Schweizer Frcs. für Jeschiwos
zurückzulassen - nicht die leiseste Ahnung hatten, braucht nicht erst
gesagt zu werden.
Dieses Erlebnis fiel mir ein, als ich in der letzten Nummer des 'Israelit'
die traurige Nachricht vom Hinscheiden unseres allverehrten Prof. Caro - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen - las. Wie sind doch große
Männer einander so ähnlich! Ihre gemeinsamen Nenner? Wissen,
Gottesfurcht, Bescheidenheit.
Wir ausländische Talmidim der Frankfurter Jeschiwoh, die das Glück
hatten, bei Prof. Caro - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen
- Deutsch und sonstige moderne Sprachen zu lernen, werden ihm stets Dank
bewahren für den gewissenhaften, gründlichen Unterricht, mit dem er
unser späteres Fortkommen im Leben zu unterstützen bestrebt war. 'Meine
Herren, wenn Sie nach Ungarn, Rumänien oder sonst wohin kommen, dann wird
man über Sie sagen: Sie sprächen Deutsch wie Schiller oder Goethe, aber
mich täuschen Sie nicht, bei mir müssen Sie können' - sagte er uns
einmal lächelnd.
Und wenn wir nach getaner Arbeit in seinem Zimmer Minchoh mit Minjan
orten, konnten wir nicht genug die Innigkeit bewundern, mit der er ... (unklar,
was mit der Abkürzung gemeint ist) stand. Es war nicht das Gebet
eines gewöhnlichen Profanlehrers, es war das des Enkels großer Männer,
das Gebet eines Rabbi. Hatten doch Talmud und Possekim
(Talmudgelehrte, Dezisoren) einen wichtigen Teil seines Bücherschrankes
eingenommen.
Seine Bescheidenheit? Mir deucht, sie ist in seiner näheren Umgebung sprichwörtlich
geworden und diejenigen, die ihn kannten, durften sich und ihren
Nachkommen stets zurufen: Seid bescheiden wie Prof. Caro - das Andenken
an den Gerechten ist zum Segen - war! Wer gibt uns einen Ersatz
für ihn? Izchok Hakoton." |
Hinweise
zum Studium an der Jeschiwa in Montreux (1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 21. September 1934: |
Sukkot-Tage in der Jeschiwa (1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 25. Oktober 1934: |
Eröffnung
des 16. Semesters in der Jeschiwa (1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. November 1934:
"Semester-Eröffnung in der Jeschiwoh in Montreux.
Montreux, 11. November (1934). Am Sonntag, den 21. Oktober, fand in
Anwesenheit mehrerer Gäste von Zürich, Bern, Bex, Montreux die Eröffnung
des 16. Semesters der Jeschiwoh in festlicher Stimmung statt. Der Rosch
Jeschiwoh, Rabbi Elijahu Botschko, begann die akademische Feier mit
einer herzlichen Ansprache, die aufnahmefreudige Hörer fand. Es war aus
der Rede zu entnehmen, dass auch in diesem Semester unter den neuen
Dozenten aus Litauen und den 42 Schülern eine schöne Anzahl französischer
Schüler als Vollhörer für ein ganzes Jahr in der Jeschiwoh befinden.
Die Jeschiwoh in Montreux wird stets darauf achten, dass das von ihr in
Frankreich zu neuem jüdischen Wirken entflammte Thoralicht auch weiter
genährt und verbreitet wird. Nach geistvollen halachischen und agadischen
Ausführungen über Zweck und Bedeutung des Thorastudium hielt der Rosch
Jeschiwoh eine talmudische Abhandlung chasaka, sefek Sefika. Hierauf
begaben sich die Gäste und Schüler in das Haus des Leiters derselben, wo
in fröhlichster Stimmung und heitersten Gefühlen die Semestereröffnung
gefeiert wurde. Unter anderen sprach auch Herr Menki Koschland aus
Zürich, Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgesellschaft in
Zürich herzliche Worte der
Anerkennung." |
Semesterschlussfeier in der Jeschiwa
(1935)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. April
1935: |
Empfehlung zum Studium an der Jeschiwa
(1936)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Februar
1936: |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Februar 1936:
(hebräisch und deutsch:)
"Jeschiwa Ez Chajim Montreux (Schweiz). |
Rabbi
Elijahu Botschko setzt sich für die russischen Juden ein (1936)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Juli
1936: |
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. September
1936: |
Beginn
des 20. Semesters an der Jeschiwa (1936)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 19. November 1936: |
Zum Tod von Naftali
Sternbuch (Schwiegervater von Rabbi Botschko): "der Stolz seines
Lebens war die Jeschiwa in Montreux" (gest. in St. Gallen 1937)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Januar
1937:
"N. (nicht M.) Sternbuch - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen.
St. Gallen (Schweiz), 13.Januar (1937). Kurz vor Schluss der Redaktion
kommt die erschütternde Nachricht aus St. Gallen (Schweiz), dass dort N.
Sternbuch plötzlich an einem Schlafanfall verschieden ist. Die
Trauerkunde wird in weiten Kreisen tiefen Schmerz und ehrliche Trauer
auslösen.
N. Sternbuch war ein Jude von chassidischer Prägung und eine Führernatur
von großer Energie und Tatkraft. Seiner großen Toragelehrsamkeit
entsprach seine tiefe Frömmigkeit. Wie früher in Basel, so führte er
auch später in St. Gallen ein jüdisch-fürstliches Haus, das
Jedermann offen stand und eine Pflanzstätte von Tora und Gottesdienst war.
Ein Philanthrop von großem Ausmaße, war er nicht allein auf Abhilfe
materieller Not bedacht, seelische Not zu lindern, war er stets am Platze.
Er gehörte zu den Führern der Agudas Jisroel und war ihr mit Leib
und Seele verbunden. In seiner Gemeinde St. Gallen errichtete er auf
eigene Kosten das rituelle Bad, um der Familienreinheit aller, die in
dieser Gemeinde und Umgebung noch treu zum Gesetze halten, zu
dienen.
Der Stolz seines Lebens war die Jeschiwa in Montreux, deren
Begründer und Leiter, Rabbi Botschko, sein Schwiegersohn, deren
fürsorgliche Mutter seiner Tochter ist. Nicht minder wie andere Söhne
und Töchter, die im Geiste des Vaters leben und ihre Häuser führen. Der
Schmerz ist zu groß und die Wunde zu frisch, um die Persönlichkeit und
das Wirken N. Sternbuchs heute im Einzelnen zu schildern. Möge die
aufrichtige Teilnahme min den weitesten Kreisen am schweren Schlage, der
die Familie betroffen hat, dieser ein Trost sein und ihr die Gewissheit
bieten, dass der Name Sternbuchs nicht vergessen und sich noch lange Jahre
zum Segen in der Nachwelt auswirken sind. Das Andenken an den Gerechten
ist zum Segen." |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Januar
1937: "Rabbi Naftali Sternbuch - das Andenken an den Gerechten
ist zum Segen.
St. Gallen, 17. Januar (1937). Am 29. Tewes durcheilte die
gesetzestreue Judenheit die erschütternde Kunde vom plötzlichen
Hinscheiden des weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannten
Naftali Sternbuch. Jeder empfand den Verlust wie persönlichen
Schmerz.
In Kischinew als Sohn einer aristokratischen Familie geboren und auf dem
Boden eines russischen Torazentrums aufgewachsen, war Rabbi Naftali
Sternbuch schon in jungen Jahren durch sein phänomenales Gedächtnis und
seinen Scharfsinn allgemein bekannt. Den Kaufmannsberuf ergreifend, machte
er sein Haus an der Seite seiner edlen Gattin zu einem Kleinen
Heiligtum, in dem Tag und Nacht Hilfe gesucht und gefunden wurde. Nach
dem großen Pogrom in Kischinew wanderte Naftali Sternbuch vor 35 Jahren
(1902) nach Basel aus. Bald verband ihn eine innige Freundschaft
mit dem Basler Raw, Dr. Arthur Cohn - das Andenken an den Gerechten ist
zum Segen, der in dem großen Talmudgelehrten und Gottesfürchtigen
eine ausgezeichnete, vorbildliche Führernatur großen Formats erkannte.
Infolge seiner Herzensgüte und seiner außergewöhnlichen Gewissenhaftigkeit
wurde er von allen Kreisen, von Juden und Nichtjuden, gleich hoch
respektiert. Der Name Sternbuch bedeutete ein Programm.
Als in Kattowitz der Grundstein zur Agudas Jisroel gelegt wurde,
trat Rabbi Naftali Sternbuch mit der Festigkeit und Unbeugsamkeit seines
Charakters an der Seite der damaligen Gaonim in die vorderste Reihe, und
bis zu seinem letzten Atemzuge hing er mit jeder Faser seines Herzens an
dem Agudaideal. Die Agudas Jisroel verliert in ihm einen ihrer
markantesten Kämpfer und überzeugtesten Anhänger. Seiner chassidischen
Neigung entsprechend, gründete er sich ein eigenes Minjan, und bald wurde
sein Haus wieder, speziell nach dem großen Kriege, als die vielen jungen
jüdischen Flüchtlinge in die Schweiz kamen, zu einem Zentrum jüdischer
Menschen. Als der Basler Raw seine Augen für immer schloss, übersiedelte
Rabbi Sternbuch nach St. Gallen, dem Orte seiner bedeutenden
geschäftlichen Unternehmungen, und die Freunde seines Basler Kreises
verbanden sich nachher bald in der durch die Initiative des Herrn Salli
Guggenheim ins Leben gerufenen Israelitischen
Religionsgesellschaft.
In St. Gallen entwickelte sich das Sternbuch'sche Haus zu dem
exponiertesten toratreuen Bollwerk der Schweiz. Von allen Enden des
jüdischen Galut strömten hilfsbedürftige Menschen zu dem großen
einzigartigen Philanthropen, und nicht selten mussten die eigenen Kinder
den Meschulochim ihre Schlafplätze überlassen, da man ja jeden Fremden
als ein Mitglied des Hauses ansah. Mit welchem Stolz zeigte Naftali
Sternbuch seinen Besuchern die eigene Mikwe, die eine Sehenswürdigkeit
eigener Prägung ist. Man muss Rabbi Sternbuch 'dawnen' gesehen haben, um
sich einen Begriff von dem großen Zidkut (hier wohl: umfassende
Wohltätigkeit gepaart mit Frömmigkeit) dieser Persönlichkeit zu
machen. Für jede einzelne Mizwoh (religiöse Weisung) wusste er seine
ganze Kraft einzusetzen. Und wer nur einmal einen Blick in seine
grenzenlose Menschenliebe erhalten hatte, erkannte erst das goldene Herz
eines großen Menschen. Mein seiner faszinierten Begeisterungsfähigkeit
riss er alle mit. Es war ein Feuer in ihm, das auch auf andere
hinausströmte und sie zur Ausübung göttlicher Mizwot hinriss.
Sein geschärfter Geist blieb auch bei seinem jüdischen Wissen nicht
stehen. Jeden Morgen stand er um 4 Uhr zum Lernen auf, und wer Gelegenheit
hatte, seinen talmudischen Ausführungen zu lauschen, bewunderte seinen Scharfsinn
und sein Bewandertsein.
Wollten wir Rabbi Sternbuch im einzelnen schildern, wir müssten die
patriarchalische Gestalt zeichnen, vor der sich jeder ehrfurchtsvoll
verneigte, seine äußere und innere Ausgeglichenheit, die sprudelnde
Quelle von Wahrheit, liebe und Güte in ihm beschreiben, von dem
jüdischen Stolz und der jüdischen Demut, der Vornehmheit und
Aufrichtigkeit,
|
die
diesen Mann auszeichneten, berichten. - Verwaist und verlassen stehen nun
seine Kinder und Enkel da, die die Freude seines Lebens waren und die nun
die Krone ihres Hauptes verloren haben.
Hatte doch der Verewigte das seltene Verdienst, Kinder der Welt zu
schenken, von denen jedes eine Persönlichkeit für sich ist. Erst vor
einem Jahre wurde die Familie Sternbuch so furchtbar heimgesucht und nur
das ungeheure Gottvertrauen konnte den Schmerz der Eltern lindern, und nun
steht die teure, ihm ganz ebenbürtige Gattin wieder vom Leid
niedergedrückt da.
Unter außerordentlicher Anteilnahme des In- und Auslandes wurde Rabbi
Naftali Sternbuch auf dem Friedhofe der Israelitischen Religionsgesellschaft
in Zürich zu Grabe getragen. Herrn Rabbiner Kornfein sprach im
Namen der Gemeinde und der Aguda und gab in bewegten Worten der großen Trauer
Ausdruck. Als der Schwiegersohn, Rabbi E. Botschko in herzerreißender
Weise die letzten Grüße und Gelöbnisse der Familie überbrachte, blieb
kein Auge tränenleer. Der letzte Redner, Herr Rabbiner Dr. Heinrich
Cohn, Berlin sprach im Namen eines großen Freundeskreises in bewegten
Worten. Letzten Sonntag fuhren wiederum eine größere Anzahl von Freunden
von allen Städten der Schweiz nach Montreux, wo die Trauernden die
Schiwa halten. Hespedim (Trauerreden) hielten die Herren Oberrabbiner
Rottenberg, Antwerpen, Herr Blech, Zürich, Herr Aschekenasi,
Wien und Herr Dr. Ascher, Bex, wie auch der Enkel Moses Botschko.
Mögen die schwer geprüften Hinterbliebenen sich im Bewusststein erheben,
einen Gatten und Vater gehabt zu haben, der heute als Großer in Israel
allgemein beweint wird. Sein Verdienst wird ihnen auch weiter beistehen. Das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen. Ph-d."
|
"Vorfrühling am Genfersee. Ein Sabbat in
Montreux" (1937)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 18. März 1937: |
Semestereröffnung in der Jeschiwa
(1937)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. April
1937: |
Der Präsident der Agudas Jisroel, Jacob Rosenheim zu Besuch
in der Jeschiwa (1937)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. August
1937: |
Sonstiges
Werbung für das Töchterpensionat und die Haushaltungsschule
von Marta Marcus (1931)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Januar
1931: |
Anzeige von
Reislers Hotel (1934)
Anmerkung: das Symbol links des Wortes "Erholung" weist das Hotel
als streng rituell geführtes Hotel aus; "Reislers Hotel" gab es nach
dem Inhalt der Anzeige sowohl in Montreux als auch in Engelberg.
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. März 1934:
"Erholung in Reislers Hotel in Engelberg
(1100-1800 m.ü.M.).
Beliebtester Sommerkurort der Zentralschweiz. Alle Zimmer mit fließendem
Wasser. Erstklassige Wiener Küche. Eröffnung Ende Mai. Tel. 64. Unser
Haus in Montreux bleibt bis Ende Mai geöffnet." |
Zum
Tod von Cilly Lemberger geb. Erlanger (1944)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Aufbau" vom
10. März 1944:
"Am 26. Februar ist unsere geliebte Schwester,
Frau Cilly Lemberger geb. Erlanger,
nach kurzer, schwerer Krankheit im 62. Lebensjahr verschieden. Im Namen
der Hinterbliebenen:
Clara Henle geb. Erlanger 667 Ocean Ave., Brooklyn, N.Y.
Montreux Territet (Schweiz), Antwerpen." |
Neuere Presseartikel
Beitrag
von J. Sternbuch zum Tod von Rav Mosche Botschko sZl. (2010)
Artikel
in "Die jüdische Zeitung" (Wochenzeitschrift der jüdischen
Orthodoxie der Schweiz) Nr. 40 vom 30. Tischri 5771 - 8.
Oktober 2010 (Ausgabe
dieser Zeitschrift als pdf-Datei):
"Rav Mosche Botschko sZl.
Am letzten Jom Kippur 5771 beim Eingang von Kol Nidre wurde Rav Mosche
Botschko von dieser Welt abberufen.
Seine letzten Worte, einige Stunden vor seiner Petiro geschrieben, waren
Gedanken zur Parschat Wesot HaBracha, als Abschluss seiner Gedanken zur
Torah: 'Warum kennen wir den Begräbnisort von Mosche Rabbenu nicht? Der
Grund dafür ist, dass Mosche Rabbenu in jedem Jehudi weiterlebt, der die
Torah lernt und erfüllt. Mosche Rabbenu spricht täglich weiter zu ihm
und lebt tief in seinem Herzen und seiner Seele weiter.'
Danach bat Raw Mosche schriftlich um Mechilo von jedem Menschen, dem er
vielleicht je etwas zuleide getan hat.
Es begann alles mit Rab Naftoli Sternbuch, der ca. 1905 von seinem
Rebben, dem AdMorRav Dovid Mosche von Tschortkov in die Schweiz geschickt
wurde, um dort Jiddischkeit und Chassidus r zu stärken. Sein
Schwiegersohn wurde Rav Yerachmiel Elijohu Botschko, ein Talmud der
Jeschivos Lomsche und Novardok. Rav Elijohu gründete 1927 die
Jeschiwa Etz Chaim in Montreux. Das war damals ein äußerst wagemutiges
Unternehmen, das nur mit viel Begeisterung und Durchsetzungskraft möglich
war. Und mit der grenzenlosen Hilfe und Unterstützung seiner Frau, der
Zaddekkes Rifka geb. Sternbuch.
Rav Mosche, ihr Sohn, übernahm die Traditionen der Familien beider
Eltern: tiefes, stetes Lernen der Torah, und chassidische Wärme und Begeisterungsfähigkeit.
In jungem Alter von knapp 20 erhielt er den Heter Horo'o vom Tarnopoler
Rav, Rav Babad, und machte bald darauf seinen ersten Sijum haSchas.
Seither verbreitete er viele Jahrzehnte Torah. Viele Schweizer Baale Batim
haben mit und bei ihm gelernt, und haben in der Jeschiwa Etz Chaim das
geistige Fundament für ihr Leben erhalten. Große Marbitze Torah und
Gedolim lernten und lehrten dort, unter anderen Raw Mosche Soloveitchik
und Raw Ahron Leib Steinmann. Diese beiden Gedolim erhielten aufgrund von
Raw Mosches Bemühungen die Erlaubnis, von Litauen in die Schweiz zu
kommen. Reb Boruch Ber hatte sich bei Raw Elijahu für sie eingesetzt, da
sie sonst ins Militär eingezogen worden wären. Damit rettete er diese
beiden Gedolim vor dem fast sicheren Tod!
Besonders eindrücklich waren die äußerst klaren Schiurim von Rav Mosche
über Schas, die von tiefem Verständnis zeugten, seine bewegenden Worte
zur Parschat haSchawua bei der Se'uda Schlischit, seine Draschot, und
seine Tfila, die von tiefstem Herzen kam. Als Baal Tfila war er
mitreißend. Wer je in der Jeschiwa war, kann die Villa Quisisana nicht
vergessen, die oberhalb des Genfersees lag, wo natürliche und geistige
Schönheit harmonisch vereint waren. Die zwei Schöpfungen von HKbH (G'tt)
flossen dort ineinander: die Natur und die Torah.
Diese Harmonie spiegelt sich auch im Leben von Rav Mosche wieder: Torah
ist der Zweck des Lebens, und was man auch im Leben macht, muss harmonisch
von Torah geformt sein und zu ihr hinführen. So lebte er, und das lehrte
er.
Rav Mosche übernahm die Leitung der Jeschiwa nach dem Tod seines Vaters,
ca. 1956. Torah durfte für ihn aber nicht Mittel zum Zweck sein.
deswegen akzeptierte er nie auch nur den geringsten Vorteil von der
Jeschiwa, weder Geld noch in irgendeiner anderen Form. Das Frühstück
nahm er von zuhause mit. Oft kaufte er selbst Lebensmittel für die
Talmidim in der Stadt ein und schleppte sie selbst in die Jeschiwa, wobei
er eine halbe Stunde den Weg hinaufging. Falls man in der Jeschiwa die
Lebensmittel dringend brauchte, schickte er sie mit einem Taxi, es selbst
jedoch stieg nicht ins Taxi, sondern ging zu Fuß in die Jeschiwa. Es
versteht sich von selbst, dass er nie einen Lohn von der Jeschiwa bezog,
sondern Parnosso von einer kleinen Fabrikation hatte, in der ihn seine
Schwester, Frau Miriam Weingort, in allem unterstützte.
Für ihn durfte die Torah nicht einmal im Geringsten ein Kardom lochpor bo
sein. Er brachte bedeutende Roschei Jeschiwa nach Montreux, wie Rav
Scheiner (heute Rosch Jeschiwa von Kamenitz Jerusalem), Rav Rakov (danach
Rav von Gateshead) und Rav Farbstein (Rosche Jeschiwa von Chevron
Jerusalem). Mit Rav Weinberg, dem Sridei Esch, der in der Jeschiwa oft
Schiurim gab, war er besonders nahe.
Mit der Zeit orientierte sich die Jeschiwa mehr an französische
Jugendliche, auf die sie großen Einfluss hatte. Ein ganz bedeutendes
Element seiner Haschkofo war Ahavas Eretz Jisroel. Seine Verbundenheit mit
Israel, in dem er einen Fingerzeit G'ttes sah, war tief in ihm verwurzelt.
Konsequent wie er immer war, machte er deshalb schließlich 1985
mit der Jeschiwa Alijah nach Jerusalem. Dort wirkt sie heute im Jischuv
Kochav Yaakov neben Jerusalem weiter, unter dem Namen 'Heichal Elijahu',
umbenannt nach dem Gründer der Jeschiwa. Rav Mosche hatte den S'chus,
seinen Sohn Schaul David Botschko als seinen Nachfolger den
gleichen Weg gehen zu sehen. Hechal Elijahu ist heute eine blühende
Jeschiwat Hesder mit über 200 Talmidim, in der intensiv Torah gelernt
wird. Rav Mosche lebte und unterrichtete dort, bis zu seinem Tod. Das
Fundament für Torah in der Schweiz wurde durch seinen Vater und ihn
gelegt, und dieses großartige Werk wirkt auch heute noch weiter, ganz im
Sinn von andauerndem Sichro Boruch. Dr. J.
Sternbuch". |
Adresse/Standort der Jeschiwa:
Oberhalb von Montreux - Villa Quisisana (Route des Coloncalles
80)
Fotos
Links und Literatur
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Literatur:
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