Freitag, 06. Dezember 2024
Zum zweiten Advent: Gottes Heil ist universal
Es war! Nicht: es war einmal…! Sondern es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tibérius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrárch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrárch von Ituräa und der Trachonítis, Lysánias Tetrárch von Abiléne; Hohepriester waren Hannas und Kájaphas.
Mit diesen konkreten zeitlichen und geopolitischen Angaben beginnt der Evangelist Lukas das dritte Kapitel seines Evangeliums. Denn genau in diesem zeitgeschichtlichen Kontext tritt der Prediger Johannes am Jordanfluss auf und verkündet, dass das sehnsüchtig erwartete Kommen des Messias endlich kurz bevorsteht. In einer fest umrissenen Stunde der Weltgeschichte, in einem fassbaren Landstrich des Römischen Reiches, in einem einzigartigen Kontext beginnt etwas ganz Besonderes und Neues.
Mit diesen äußerlichen Angaben werden wir senkrecht in die Innenwelt des Evangeliums geführt. Ganz im traditionellen Stil der Bibel werden hier die Angaben zu Zeit und Zeitgeschichte gemacht. Denn Heilsgeschichte spielt sich in Raum und Zeit unserer Welt ab, ohne aber mit dem, was wir Weltgeschichte nennen, identisch zu sein.
Was ist nun dieser geschichtliche Hintergrund? Was ist die konkrete Zeit und der Zeitpunkt, der konkrete Ort, den uns der Evangelist Lukas hier vor Augen führt?
Das fünfzehnte Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius ist das Jahr 28/29 unserer heutigen Zeitrechnung, also gut 30 Jahre nach der Geburt Jesu. Eigentlich hätte diese eine Zeitangabe gereicht, um den Beginn des Auftretens des Täufers zu bestimmen. Aber es wird noch Pontius Pilatus genannt, der römische Landpfleger, der damals den Süden des Landes verwaltete: Jerusalem und das Gebiet von Judäa.
Außerdem werden Herodes Antipas und sein Bruder Philippus, als auch Lysanias erwähnt, die Tetrarchen, die Vier-Fürsten, die den Norden des Landes unter sich aufgeteilt hatten: Galiläa und den Golan bis zum Libanon hin. Und nicht nur die politischen Herrscher werden angeführt, auch die religiösen: der amtierende jüdische Hohepriester Kajaphas und sein abgesetzter Schwiegervater Hannas.
So bestimmt der Evangelist Lukas ganz konkret den Zeitpunkt, wann Johannes als Prediger auftrat – und ebenso auch den Ort seines Wirkens. Mit diesen fest umrissenen Namen und Orten werden aber nicht nur die geschichtlichen und geographischen Koordinaten gesetzt. Es wird auch die politische Stimmungslage und Atmosphäre der damaligen Zeit wachgerufen.
Die ersten Leser und Hörer des Lukasevangeliums kannten die damaligen Herrscher wahrscheinlich nicht mehr, waren aber durch die Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern, welche die Zeit dieser Herrscher noch persönlich erlebt hatten, mit deren Herrschaftszeit und noch mehr mit deren Charakter vertraut. Ähnlich wie wir uns zum Beispiel an die letzten Päpste erinnern, an ihren Charakter und ihre Persönlichkeiten, aber auch an deren Zeitepoche und die Atmosphäre dieser Zeit.
Das Land Jesus, Palästina, stand damals unter römischer Fremdherrschaft. Den römischen Kaiser Tiberius beschreiben die zeitgenössischen Historiker als einen misstrauischen, grausamen und genusssüchtigen Herrscher. Der römische Statthalter Pontius Pilatus war ebenso als rücksichtslos, bestechlich und gewalttätig bekannt. Die Politiker aus dem eigenen Volk – Herodes, Philippus, Lysanias – waren mächtig nur von des Kaisers Gnaden, und haben deshalb vor ihm gebuckelt und ihm nach dem Mund geredet. Die beiden geistlichen Autoritäten, die Hohenpriester Hannas und Kajaphas haben es verstanden mit schlauer Diplomatie viele lange Jahre hindurch ihre Stellung zu halten. Ganz abgesehen davon, dass Galiläa, dieser hinterste Winkel Israels den unzweideutigen Ruf hatte, der heruntergekommene Hinterhof der damals bekannten Welt zu sein.
Aber genau DA und DORT erging das Wort Gottes an Johannes. Mitten in dieses Gewirr von Machtmissbrauch und Gekungel, von Schleimerei und Korruption begibt sich Gott in unsere Geschichte und beruft Johannes als den Vorläufer Jesu. Nicht in einem windstillen Winkel heiliger Welt will er sich einlassen auf die Menschen und ihre Geschichte, sondern dort, wo es so richtig zugeht – wie man sagt. In die Höhen und die Tiefen unseres menschlichen Lebens kommt das Wort Gottes. Aber nicht nur für eine ganz bestimmte Zeit und einen ganz konkreten Ort, sondern für die ganze Welt und Geschichte. Alle Menschen werden das Heil Gottes schauen. Das Heil Gottes ist universal.
Evangelium – gute Nachricht – ist das.
Unser Autor: P. Elias Pfiffi OSB stammt aus der Diözese Speyer und ist seit über 20 Jahren Mönch der Dormitio Abtei in Jerusalem. Er ist dort der Gastbruder und der Auslandsseelsorger.