Redaktion der pilger

Donnerstag, 14. November 2024

„Wir werden weniger und weniger haben“

Generalvikar Markus Magin und Seelsorgeamtsleiter Dr. Thomas Kiefer. (Fotos: Landry/is, Pressestelle)

Interview zum Vorschlag für künftiges Seelsorgekonzept

Vorschläge für die Weiterentwicklung des diözesanen Seelsorgekonzeptes und der Pfarreistruktur sind am 9. November der Diözesanversammlung (DV) vorgestellt worden. Ein Gespräch dazu mit Generalvikar Markus Magin und Dr. Thomas Kiefer, dem Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Ordinariat.

Herr Magin, Sie haben den Konzeptvorschlag in die DV eingebracht. Wie bewerten Sie die ersten Rückmeldungen und die Atmosphäre der Beratungen?
Markus Magin: Es war eine sehr gute Atmosphäre, mit einer großen Motivation, Kirche in unserem Bistum anders zu denken. Aber ich habe in den vergangenen Monaten auch eine wachsende Spannung bei vielen wahrgenommen mit der Frage – wie geht es weiter? Ich bin froh, dass wir jetzt über die DV sowie über E-Mails an Mitarbeitende in Pastoral, Verwaltung und in Gremien einen ersten Aufschlag gemacht haben. Ich fühle mich richtig erleichtert. Die ersten Reaktionen bewerte ich als sehr positiv, denn darin erkenne ich, wie konstruktiv mit unseren Vorschlägen umgegangen wird.

Warum ist es jetzt nötig, eine, wie es im Konzeptvorschlag heißt, „Standortneubestimmung“ vorzunehmen?
Markus Magin: Es sind deutlich wahrnehmbare Veränderungen und Herausforderungen in Gesellschaft und Kirche, die uns dazu zwingen: Gesellschaftlich etwa die spürbaren Folgen des selbstverursachten Klimawandels, die Zunahme von Flucht und Zuwanderung oder das Aufbrechen neuer Nationalismen und Erstarken extremistischer Parteien. Innerkirchlich sind die Beschleunigung des Rückgangs finanzieller und personeller Ressourcen und der Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust als Folge der Missbrauchskrise zu nennen. Konkret sehen wir in unserem Bistum pastorale, personelle, wirtschaftliche und verwaltungsorganisatorische Gründe für eine Neuausrichtung der Strukturen.

Welche Zahlen unterstreichen für Sie die Notwendigkeit zur Reform besonders deutlich?
Markus Magin: Zahlen aus dem Personalbereich. Haben wir heute noch 101 eigene Priester, werden es 2035 nur noch 53 sein. Für 70 Pfarreien! Gegenwärtig haben wir über alle Berufsgruppen hinweg 258 Seelsorgerinnen und Seelsorger – im Jahr 2035 werden das nur noch 133 Personen sein.  

Herr Dr. Kiefer, Sie haben an mehreren Strukturreformen im Bistum Speyer mitgewirkt, die letzte liegt gerade ein Jahrzehnt zurück. Auch die jetzt vorgeschlagene ist vermutlich nur ein Zwischenschritt, oder?
Thomas Kiefer: Bereits die Reform 2015 war von den Gemeinden als Nahraum kirchlichen Lebens auf die größere Pfarrei hin geweitet worden. Geleitet hatte uns das aus der Katholischen Soziallehre vertraute Prinzip der Subsidiarität – kurz zusammengefasst: So viel wie möglich auf der unteren Ebene ermöglichen und so viel wie nötig von oben unterstützen. In den Gemeinden wird also das unterstützt, was vor Ort von Ehrenamtlichen gewollt und gestemmt wird.

Jetzt gehen wir einen weiteren Schritt, indem ein Teil der pastoralen Verantwortung und Planung auf die höhere Ebene des Dekanats verlagert wird. Und wieder greift dabei das Prinzip der Subsidiarität: Die Gemeinden werden weiterhin nicht alleine gelassen, und die Pfarreien sorgen auch weiterhin für eine ortsnahe Umsetzung von Katechese, Liturgie und Caritas. Neu ist jetzt, dass nach unserem Vorschlag auf Dekanatsebene ein Team von Haupt- und Ehrenamtlichen berät, wie die Pfarreien am besten unterstützt und Pfarrei-übergreifende Schwerpunkte gesetzt und Dienste geleistet werden können.
Wie lange dieser Strukturvorschlag tragen wird, hängt von den gesellschaftlichen und kirchlichen Rahmenbedingungen ab, die sich gerade in der letzten Dekade in einem Ausmaß verändert haben, mit dem wir nicht rechnen konnten.

Markus Magin: Ich glaube, in dem jetzt vorgeschlagenen Konzept steckt die Chance, an der Kirche auf dem Hintergrund unserer Segensorte-Vision für die Zukunft weiterzubauen. Mit dem Konzept können wir auch in Zukunft unseren Auftrag von Jesus Christus her erfüllen.

Der Konzeptvorschlag erwägt auch eine Fusion bisheriger Pfarreien.
Thomas Kiefer: Ja, eine Zusammenlegung von Pfarreien soll und kann es dort geben, wo dies vor Ort als sinnvoll erachtet und gewünscht wird. In den Städten hingegen erscheint uns eine Zusammenlegung als sinnvoll. Dies soll unter Einbindung der Betroffenen zeitnah angegangen werden.

„Wir werden künftig weniger werden und weniger haben“, dieser markante Satz steht im Entwurf. Was bewegt diese Erkenntnis bei Haupt- und Ehrenamtlichen?
Markus Magin: Ich erlebe, dass viele das wahrnehmen – aber sie gestehen es sich nicht ein, aus Angst vor den Konsequenzen. Ich verstehe die Ängste und, dass viele verunsichert sind. Wir werden kleiner.
Die Bibel ermuntert uns hingegen, gerade das Kleine und Unscheinbare wertzuschätzen. Jesus stellt gerade das Kleine in den Mittelpunkt. In der Bibel lesen wir die Geschichte von David und Goliath, lesen das Gleichnis vom Senfkorn und davon, wie Jesus die Kinder zu sich ruft und ihnen Raum gibt. Ich sehe darin die Ermutigung: Wir können mit geringeren Mitteln arbeiten. Unser Auftrag liegt darin, mit dem was wir haben, die Botschaft Jesu zu verkündigen.

In den nächsten Jahren wird sich die Rolle vieler hauptamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ändern, wohin geht da die Reise?
Thomas Kiefer: Mit mir zusammen wurden im Jahr 1989 angehende Priester und Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten daraufhin ausgebildet, mit Menschen Gottesdienste zu feiern, Seelsorgegespräche zu führen, Katechese zu gestalten usw. Das gilt auch heute, da wir eine deutlich kleinere Zahl sind. Aber der Seelsorgeauftrag muss sich künftig in einem viel größeren Ausmaß an ehrenamtlich Engagierte richten, die wiederum in Eigenregie Wort-Gottes-Feiern vorstehen, Kommunionkatechese planen,  einen Krankenbesuchsdienst leiten oder Beerdigungsfeiern vorstehen. Seelsorge bedeutet dann: geistliche Stärkung, theologisch-fachliche Beratung und zugewandte würdigend-kritische Begleitung.

Markus Magin: Für die künftige Rolle der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge gilt: Es wird darum gehen, vom Leiten zum Begleiten zu kommen.

Was heißt das für Ehrenamtliche in Gemeinden und Pfarreien, in Verbänden und Gremien?
Thomas Kiefer: Erinnert sei hier an die Bibelstelle Matthäus 18,20: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind …“. Könnte das für die nächste Wegstrecke unserer Kirche im Bistum Speyer nicht heißen: Wo Gläubige diese Zusage sich von Gott ans Herz legen lassen, kann und wird auch künftig Kirche sein und lebendig bleiben. Dabei wird ehrlicherweise nicht alles, was es einmal gab, von Ehrenamtlichen getragen werden können. Von vielem wird man sich verabschieden müssen.
Aber, das ist meine persönliche Hoffnung, es darf auch Neues entstehen und ausprobiert werden. Es liegt meines Erachtens auf der Hand, dass mit den größer werdenden Räumen mehr Gestaltungsfreiheit verbunden sein wird.

Wird ein „ganz normaler Kirchgänger“ von den Reformen viel bemerken?
Markus Magin: Unmittelbar wird es ein Kirchgänger vielleicht dann bemerken, wenn er einer veränderten kirchlichen Verwaltung gegenübersteht. Oder – wenn es schwieriger wird, einen Priester oder anderen Seelsorger zu erreichen, weil es davon immer weniger gibt.

Thomas Kiefer: In der Homburger Pfarrei Heilig Kreuz haben wir dieses Jahr zum sogenannten „Homburger Leitungsmodell“ eine Umfrage gemacht. Das Ergebnis zeigt, dass die „normalen Kirchgänger“ nur sehr wenig von der dort vorgenommenen Strukturveränderung wahrgenommen haben. Wir können also davon ausgehen, dass solche Neuerungen erst dann registriert werden, wenn beispielsweise die Trauung nicht zum gewünschten Termin möglich ist oder wenn Ehrenamtliche den Sterbesegen spenden, weil kein Priester erreicht werden kann.
Solche Erfahrungen werden sich häufen, ganz gleich, für welche künftige Struktur wir uns entscheiden.

Hinsichtlich der Verwaltung sind ebenfalls Reformen geplant – aber erst später, warum?
Markus Magin: Die Verwaltung ist dazu da, die Seelsorge zu unterstützen. Daher klären wir zuerst, wie die Seelsorge aussieht. Dann steht erst die Frage an, welche Verwaltungsstrukturen es dazu künftig braucht.

Wie künftig die Dekanate mehr Bedeutung erhalten, so werden auch die Dekane eine neue Rolle bekommen?
Markus Magin: In unserem Vorschlag kommt dem Dekan eine Schlüsselrolle zu. Ohne Zweifel ist es eine enorme Anforderung, die an einen Dekan gestellt wird. Deshalb soll er in einem Team mit pastoraler und angemessener verwaltungsorganisatorischer Unterstützung arbeiten. Auch der Dekan soll, wie alle in der Seelsorge, nicht zum Einzelkämpfer werden. Ich traue es Priestern in unserem Bistum zu, eine solche Aufgabe zu übernehmen.

Ausdrücklich sind alle Gläubigen im Bistum zur Mitberatung eingeladen – wie kann dies erfolgen?
Markus Magin: Es besteht die Möglichkeit zur Teilnahme an Veranstaltungen zum Konzeptvorschlag in verschiedenen Zielgruppen, etwa für Pastoralteams, Kitas oder Regionalverwaltungen. Darüber hinaus erhoffe ich mir, dass Verantwortliche in ihren jeweiligen Bereichen das zum Thema machen; dass also in den Gremien der Pfarreien und Gemeinden über den Vorschlag gesprochen wird. Zusätzlich wird der ein oder andere Termin geplant, zu dem alle Interessierten eingeladen sind – vermutlich als Videokonferenz über das Internet. (Fragen: hm)

Artikel teilen:

Weitere Nachrichten

06.05.24
Redaktion der pilger
News-Feed (RSS) von der Zeitungsseite in die Webfamilie

Am 9. Mai wieder laufend Gutes tun

Landauer Hungermarsch an Christi Himmelfahrt für Projekte in mehreren afrikanischen...
06.05.24
Redaktion der pilger

Nach wie vor beliebt: der Muttertag

Muttchen, Erziehungsberechtigte, Mama oder Mutti: Für die Mutter gibt es viele...
06.05.24
Redaktion der pilger

Frischer Wind für eine 100-Jährige

Das Eröffnungskonzert für eine besondere Jubiläumsreihe haben am 21. April die...
06.05.24
Redaktion der pilger

Begegnung in Nardinis Namen

Wallfahrtstag am 11. Mai in Pirmasens versammelt viele Menschen und Institutionen
30.04.24
Redaktion der pilger
Pfarreien

Für ein wertschätzendes Miteinander

Das Bistum Speyer will mit einem Kommunikationsleitfaden eine Kultur des...
29.04.24
Redaktion der pilger

Eine Stimme für das Leben

Die Abtreibungsregeln sollen liberalisiert werden – eine Beraterin von Donum vitae...
29.04.24
Redaktion der pilger

Rosenberger Musiktage 2024

Seit 1997 eine feste Instanz und eines der renommiertesten Festivals geistlicher...
25.04.24
Redaktion der pilger

In Deutschlands Dschungel

Die wenigen natürlichen Auwälder sind Horte der Artenvielfalt
25.04.24
Redaktion der pilger

Von Aktionstagen bis zu Gottesdiensten

Die „Woche der Inklusion“ im Bistum Speyer findet vom 28. April bis 5. Mai statt –...
25.04.24
Redaktion der pilger

Zeitplan in weiten Teilen im Soll

Regionalverwaltungen hinken teilweise mit Jahresabschlüssen hinterher – Rückstände...
25.04.24
Redaktion der pilger

Philipps-Festwoche im Zellertal

Hauptwallfahrtstag am 5. Mai – Beginn mit Motorradsegnung am 27. April
25.04.24
Redaktion der pilger

Pilgern - das ist wichtig für eine gelungene Reise

Zahlreiche Menschen pilgern jedes Jahr an verschiedene Orte. Dabei gibt es...
18.04.24
Redaktion der pilger

Die Würde jedes Menschen

Die katholischen Bischöfe sehen die Liberalisierung von Abtreibungen in Deutschland...
18.04.24
Redaktion der pilger

Im siebten Himmel sein

Sprichwörter aus der Heiligen Schrift (7)
18.04.24
Redaktion der pilger
News-Feed (RSS) von der Zeitungsseite in die Webfamilie

Das Eheversprechen in Rom erneuern

Domkapitular Peter Schappert begleitet im September Reise für Ehejubilare in die...
18.04.24
Redaktion der pilger

Gemeinsam mehr erreichen

Kita St. Konrad in Speyer sammelt Spenden für Sanierung von Holz-Spielgeräten
18.04.24
Redaktion der pilger

Für die Zukunft gut aufgestellt

„Essen auf Rädern“: 35 Helfer und Fahrer engagieren sich in Bad Bergzabern
18.04.24
Redaktion der pilger

Informiert zu sein, hilft

Die Besucher beim Tag der Pflege in Limburgerhof hatten viele Fragen
18.04.24
Redaktion der pilger

„Wir machen Bildung für alle“

Heinrich Pesch Haus in Ludwigshafen feiert 50-jähriges Bestehen
11.04.24
Redaktion der pilger

Bischöfe fordern Bekenntnis zu "Projekt Europa"

Für ein freiheitliches und friedliches Europa treten im Vorfeld der Europawahlen am...
10.04.24
Redaktion der pilger

Reden statt schreien

Bei den anstehenden Wahlen droht ein Rechtsruck. Welche Rolle will da der...
10.04.24
Redaktion der pilger

Erste Gelübde in Taizé

Ökumenische Brüder-Gemeinschaft vor 75 Jahren gegründet
10.04.24
Redaktion der pilger
News-Feed (RSS) von der Zeitungsseite in die Webfamilie

Glücklich zu sein, ist eine Entscheidung

Angelika Rau hat einen Ratgeber für das Erreichen eines Gefühls geschrieben, nach...
03.04.24
Redaktion der pilger

Ein symbolträchtiger Exot im Garten

Gartenfans mit einem Faible zum Exotischen kennen und schätzen sie: Passionsblumen,...
03.04.24
Redaktion der pilger

Fest der Kinder und ihrer Familien

Die Erstkommunion soll für das Kind, aber auch für die ganze Familie ein...
26.03.24
Redaktion der pilger

Wenn der Palmhase ein Ei bringt

Den Osterhasen, der zu Ostern den Kindern gefärbte Eier und allerlei kleine...
26.03.24
Redaktion der pilger

Grenzstein, Feuer und Wein

Pfälzer Besonderheiten: Domnapf in Speyer – Kirchennapf in Lingenfeld
26.03.24
Redaktion der pilger

Solidarischer Glaube

Religiöse Menschen sind hilfsbereiter und spenden mehr als andere
26.03.24
Redaktion der pilger

Der Augenblick

Magdalenensekunden haben wir alle einmal
26.03.24
Redaktion der pilger

„Vom Hören zum Handeln“

Zweiter ökumenischer Werktag zur Zukunft der Kirche in Kaiserslautern
26.03.24
Redaktion der pilger

Mahlzeit in Gemeinschaft

Innenstadt: Abschluss der Winterhilfe-Essen – Fortführung ist für Herbst geplant
26.03.24
Redaktion der pilger

Auferstehung

Der Tod wurde ein für allemal besiegt, entmachtet
21.03.24
Redaktion der pilger

Die Glocken fliegen nach Rom

Von Gründonnerstag bis Ostern schweigen die Glocken
21.03.24
Redaktion der pilger

„Mein Herz ist traurig“

Zu Ostern reisen kaum Pilger und Touristen ins Heilige Land
21.03.24
Redaktion der pilger

Pflege fordert uns heraus

Viel Information und Austausch beim Tag der Pflege am 14. April in Limburgerhof
21.03.24
Redaktion der pilger

Hand in Hand für die Schöpfung

Ökumenischer Beirat „Kirche im Anthropozän“ will ökologisches Handeln stärker ins...
20.03.24
Redaktion der pilger

Alles zum Kreuz hinbringen

Pfarrei Germersheim: Persönliche Anliegen und Bitten erhalten einen besonderen Raum...
20.03.24
Redaktion der pilger

9331 Höhenmeter für Misereor und die Menschenrechte

Christoph Fuhrbach radelt 56 Runden hinauf zum Hambacher Schloss. Im Zusammenhang...
19.03.24
Redaktion der pilger
News-Feed (RSS) von der Zeitungsseite in die Webfamilie

Kirche in Harthausen wird für die Passion zum Kinosaal

Der Sender RTL bringt abermals die wichtigste Geschichte der Christenheit als...
19.03.24
Redaktion der pilger

Annehmen und Loslassen

In unserem letzten Loslassen wird Jesus Christus uns ein für allemal annehmen