Redaktion der pilger

Mittwoch, 19. Oktober 2022

Größe in Demut

Das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner: Gemälde an einem Beichtstuhl in der früheren Stiftskirche St. Margarethen in Waldkirch. Die Kirche wurde zwischen 1732 und 1734 in barockem Stil errichtet und ausgeschmückt. (Foto: Wikimedia Commons/gemeinfrei)

Vom Zöllner lernen wir für unseren Glauben

Jesus kehrt die Verhältnisse um. Nicht nur jene seiner Zeit. Da gibt es etwa die Pharisäer, die (vermeintlich) vorbildlich leben und auch nicht vergessen, das kundzutun, die aber auch gerne austeilen, Kritik üben und sich über andere erheben. Ein typisches Exemplar zeigt sich uns im Sonntagsevangelium. Der Pharisäer im Gleichnis richtet seinen Fokus auf andere Menschen, die aus seiner Sicht weit unter ihm stehen: Räuber, Betrüger, Ehebrecher. Der Zöllner, der sich gerade ebenfalls im Tempel aufhält, kommt wie gerufen, seine Selbstgefälligkeit zu zelebrieren.

Wäre er andernorts einem Römer, einem Samariter, gar einem Heiden oder sonst einem Menschen begegnet, der nicht in sein religiöses Weltbild passt, würde er diesen ebenso verurteilt haben.

Interessant ist es, wie er dabei vorgeht: Es dankt Gott dafür, nicht wie diese zu sein. Damit wertet er sie ab und rückt sich selbst ins rechte Licht. Genau das spricht Jesus an, wenn er sagt, dass der Pharisäer nicht gerechtfertigt nach Hause geht, denn er maßt sich die Perspektive, das Urteil Gottes an - und das gleich zweifach: Einmal, indem er klarstellt, wie Gott über diverse andere zu denken habe, zum anderen, indem er offenlegt, wie Gott über ihn denken müsse. Er spricht gut vernehmlich ein selbstgefälliges Gebet, das den als unwürdig Genannten und wohl auch den Ohren Gottes Schmerzen bereiten muss - so jedenfalls deute ich die Reaktion Jesu.

Dann verweist der Pharisäer noch auf seine Leistungen: Er fastet und spendet – wie es gefordert ist. Das mag sehr lobenswert sein, aber die dahinterstehende Haltung wiegt schwerer. Sein Tun rechtfertigt aus seiner Sicht den Hochmut, sich über andere zu stellen und zu wissen, wie Gott die Welt sehen müsse. Rechtfertigung (von Gott her) geschieht nach dem Verständnis Jesu aber nicht durch Taten, mit denen jemand sich brüstet, sondern setzt bei der inneren Haltung, der Motivation eines Menschen an. Wer sich auf seine Beziehung zu Gott beruft, um sich über andere zu erheben, ist auf dem Holzweg. Gerade über solche schüttelt Jesus den Kopf.

Auf was kommt es ihm an? Blicken wir auf den Zöllner: Ein Mensch, der von der jüdischen Bevölkerung als Kollaborateur der Römer verurteilt wurde. Jemand also, der von der Gruppe, zu der er eigentlich gehört, niedergemacht wird. Von seinem Handeln her ist er schuldig. Doch Jesus sieht auch hier in die Tiefe, in die Seele des Menschen. Was dieser Mann gegenüber sich selbst, gegenüber anderen und gegenüber Gott empfindet, kommt in einem einzigen Satz zum Ausdruck: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Hinzu kommt seine körperliche Haltung: Demütig gebeugt steht er ganz hinten im Tempel.  
Während der Pharisäer sich selbst als gerecht bezeichnet, nennt sich der Zöllner einen Sünder. Das würde der Pharisäer sofort unterschreiben und auch Jesus widerspricht dem nicht. Entscheidend ist aber, dass dieser sündige Mensch sich nicht anmaßt, an die Stelle Gottes zu treten. Rechtfertigung zuzusprechen, obliegt allein IHM (womit Jesus indirekt zeigt, auf wessen Seite er steht, welchen Anspruch er hat). Wir Menschen dürfen und sollen als Sünder die Gnade Gottes erbitten. Das Selbstlob des überheblichen Pharisäers braucht hingegen von Gott nichts weiter als die Bestätigung seiner vermeintlichen Gottgefälligkeit, die er sich aber schon selbst bescheinigt.

Wir sollten uns fragen, an wessen Seite wir uns im Tempel stellen. Ob wir uns nach vorne  begeben und uns brüsten, was wir leisten und wie dankbar wir sind, nicht wie andere zu sein, (auf die wir damit herabblicken)? Oder stellen wir uns hinten zum Zöllner, halten inne, beugen uns nieder, schlagen uns angesichts des eigenen Schuldempfindens an die Brust, bevor wir leise Gott um sein Erbarmen bitten? Der Unterschied liegt darin, dass das Gebet des Pharisäers im Grunde genommen ein Monolog ist, Selbstbeweihräucherung. Das Gebet des Zöllners hingegen richtet sich voller Ehrfurcht an Gott, dem gegenüber er sich nicht einmal traut, die Augen zu erheben.    

Das Gleichnis reagiert nach den Anfangsworten auf jene, die meinen, ihre Frömmigkeit ließe sich mit der Verachtung anderer vereinbaren oder könne sich gar auf deren Kosten speisen. Daher halte ich das Evangelium nach wie vor für sehr aktuell. Was ‚Frommsein‘ ist, zeigt sich nicht im Wettbewerb mit anderen. Es kommt nicht darauf an, was wir vorzuzeigen haben, wen wir übertrumpfen können, sondern darauf, was wir ersehnen und erhoffen. Auch wenn unsere Welt darauf fixiert ist, was jemand zu bieten hat (eine Logik, die immer nur auf Kosten anderer greift), so gilt im religiösen Glauben, dass wahre Größe in der Demut liegt. Das Urteil über Menschen (auch über mich selbst) bleibt allein IHM überlassen.

In Fragen der Religion kann der Pharisäer von dem Zöllner viel lernen. Ich glaube, das können wir alle. (Stefan Seckinger)

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