Donnerstag, 19. Mai 2011
Wer glaubt, den verwirrt nichts
Der Weg ins wahre Leben ist Jesus Christus – Gedanken von Diplom-Theologe Klaus Haarlammert zum Fünften Sonntag der Osterzeit – Johannes-Evangelium 14, 1–12
Manchmal fallen Worte in einen ein, dass das Herz auf einmal bis zum Halse schlägt. Solche Worte brechen innen etwas auf, was so lange schon furchtbar lähmte, alles wirkliche Leben erstarren ließ. Solche Worte sind wie „die Axt für das gefrorene Meer in uns“ (Franz Kafka). Gewiss schon oft hatte ich diese Worte Jesu gelesen oder gehört. Aber sie waren wohl an mir abgeperlt wie Wassertropfen, sind nicht hängen geblieben, nicht eingedrungen. Einmal jedoch war dieser Augenblick, ich erinnere mich noch genau: ich war elend dran, alles schien zerbrochen, zerstört … Und genau da kamen diese Worte, atemberaubend schön wie aus den düsteren Wolken gefallen: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich!“ Und: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“.
Wieder und wieder las ich diese Worte und die anderen Worte, die dabei stehen, und ich sah: das ist nicht Menschenwort, sondern Gotteswort; denn Jesus spricht ja aus der Einheit mit dem Vater und in der absoluten Vollmacht Gottes. „Ich bin“, das erinnert an die Offenbarung Gottes ganz zu Anfang, als er sich zu erkennen gibt: „Ich bin der ‚Ich bin da'“. Und wie Gott da ist: Ich sehe euer Elend, höre eure Klage, kenne euer Leid. Und ich bin „herabgestiegen“, euch davon frei zu machen, euch zu retten … (Buch Exodus 3,14.7–8). Dieses „Ich bin“ Gottes ist das „Ich bin“ des Erbarmens, der Liebe, der Erlösung, des Lebens. Die dichteste „Wesensbestimmung“ Gottes formuliert Johannes in diesem einen Satz: „Gott ist die Liebe“ (erster Johannesbrief 4,16). Alle Worte, die von Gott her mit „ich bin“ beginnen, sagen: „Ich bin die Liebe“. Alles andere ist Entfaltung daraus.
Jesus sagt „Ich bin“ so viele Male, und „malt“ es aus in wunderbaren, ergreifenden Bildern: Tür, Hirte, Licht, Brot, Weinstock, Auferstehung. All das hat den einen Grundklang: „Ich bin die Liebe“, und der ist von Gott, aus Gottes Wesen klingt er hinüber in unser Leben; er durchtönt uns ganz und gar, und geht von uns hinaus – „personare“ heißt das lateinische Wort dafür, wir sind „Person“ von Gott her, und „Persönlichkeit“ werden wir nicht aus eigener Leistung, sondern wenn wir den Grundklang Gottes in uns klingen und aus uns „hinaustönen“ lassen: wenn wir durch die Tür hindurchgehen, wenn wir dem Licht folgen, wenn wir das Brot zu uns nehmen (sein Fleisch essen und sein Blut trinken), wenn wir an ihn glauben und in ihm bleiben … Dies alles beschreibt und umfasst ja der eine Begriff „glauben“, der sich zusammensetzt aus erkennen (biblisch: lieben), annehmen (in uns hinein nehmen), bleiben (uns in ihm festmachen): „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (erster Johannesbrief 4,16).
Deshalb ruft ja Jesus hier so eindringlich nach glauben und erkennen: Glaubt an Gott, glaubt an mich, glaubt mir doch, wenn ihr glaubt … Und: wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen; schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen … Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen … Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist … Und in diesem großen Zusammenhang spricht Jesus unzählige Male immer auch von der Liebe: „Wie mich der Vater geliebt, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ (Johannes-Evangelium 15,9). Wenn wir einmal das Wort „glauben“ in der biblischen Sprache buchstabieren, treffen wir auf „lieben“: vom hebräischen aman (Leben in Gott „bleibend“ verwurzeln) zum griechischen pisteuein (der Treue Gottes vertrauen) bis hin zum lateinischen credere (sein Herz geben); all dies kann nur in Liebe geschehen; so steckt in unserem Wort „glauben“ auch endlich die Wurzel „lieb“ (entfaltet in den Worten mit dem selben Sinn, genährt aus dieser einen Wurzel „Ich bin die Liebe“ – geloben, verloben und anverloben, verwurzeln, verankern, vertrauen und anvertrauen, verlieben, lieben und anverlieben).
„Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich.“ Diese Worte Jesu gehen mir – hoffentlich! – nie mehr aus. So oft danach noch ist mein Leben – bin ich selbst – in einige arge Turbulenzen geraten; „Lösungen“ drängten sich allenthalben auf, verlockende „Auswege“ – aber für mich gibt es keine „Auswege“, sondern nur den Weg, der Jesus Christus selbst ist: der Weg in Wahrheit zum Leben: zu seinem Vater, zu Gott, der die Liebe ist. Nein, wer an ihn glaubt, den verwirrt nichts.