Montag, 11. März 2024
„Menschen werden oft schwer verwundet“
Inge Tempelmann hat ein Buch über „geistlichen Missbrauch“ geschrieben – Am 20. März ist sie bei der kfd zu Gast
„Geistlicher Missbrauch – Ursachen, Ausprägungen, Folgen – und Konsequenzen für die kfd als katholischer Frauenverband“ lautet der Titel einer Veranstaltung, zu der die Katholische Frauengemeinschaft (kfd) im Bistum Speyer am Mittwoch, 20. März, ins Kloster Neustadt einlädt. Referentin des Abends ist Inge Tempelmann, M.A. Religion und Psychotherapie, Supervisorin, Coach, Lebensberaterin sowie Fachberaterin für Psychotraumatologie. „der pilger“ hat sie zum Thema befragt.
Frau Tempelmann, was bedeutet eigentlich „geistlicher Missbrauch“?
Geistlicher (oder auch religiöser/spiritueller) Missbrauch beinhaltet schwerpunktmäßig drei große Bereiche: Es geht zum einen um Machtmissbrauch im frommen Gewand – also falscher Einsatz von Macht! Dann um das Untergraben spiritueller Autonomie durch direktives Vorgehen in der Begleitung von Menschen – nach dem Motto: Ich weiß, was gut für dich ist! – oder durch Lehre, die Menschen keinen Raum gibt für persönliche Glaubensentwicklung.Und um Vernachlässigung von Menschen, für die man von der Rolle her geistliche Verantwortung trägt, wodurch Menschen in ihrer spirituellen Not allein bleiben.
Sie haben 2007 ein Buch mit dem Titel „Geistlicher Missbrauch – Auswege aus frommer Gewalt. Ein Handbuch für Betroffene und Berater“ geschrieben und sich auch 2022 im Rahmen einer Masterarbeit mit dem Thema befasst. Woher kommt Ihr Interesse an diesen doch sehr bedrückenden Phänomen?
Ein solches Thema ist normalerweise sicher nicht Teil der eigenen Lebensplanung, sondern man wird darauf aufmerksam, wenn man es selbst erlebt. Das ist bei mir der Fall – sowohl in meiner Kindheit (damals hätte ich keine Worte dafür gehabt) und später in meinem jungen Erwachsenenleben in den 1990er Jahren. Damals stand ich vor der Entscheidung, wie intensiv ich mich damit befassen wollte. So weit, wie ich es für mich persönlich brauchte, oder intensiver, um es auch für andere unterstützend aufzubereiten. Ich wählte die zweite Version und war dann eine der ersten Stimmen im deutschsprachigen Raum zu diesem Thema. Ohne es zu planen, entstand ein Werk, das mit sechs Auflagen die Leserschaft erreichte und inzwischen als Klassiker gilt. Eine grundlegend neu überarbeitete Auflage wird voraussichtlich im August 2024 erscheinen.
Wo lässt sich „geistlicher Missbrauch“ bevorzugt beobachten?
Geistlich missbräuchliche Dynamiken können in allen Settings auftreten, in denen religiöse Inhalte eine Rolle spielen: in (neuen) religiösen Gemeinschaften, Kirchen und Gemeinden, in Werken und Organisationen, in Beziehungen (Familien, Ehe und Freundschaft), in geistlicher Begleitung und Therapie. Je nachdem, wie die Machtverhältnisse aussehen und wie mit Verantwortung umgegangen wird, kann jeder mit dem Thema in Berührung kommen.
Gibt es Menschen, die besonders gefährdet sind, Opfer von „geistlichem Missbrauch“ zu werden?
Das kann sehr unterschiedlich sein. Es kann mit dem eigenen „Gewordensein“ zusammenhängen, etwa wenn man bereits in der Vergangenheit Grenzüberschreitung und Missbrauch erlebt hat, so dass man auch im frommen Kontext solche Phänomene nicht als falsch wahrnehmen würde. Aber es kann auch Menschen treffen, die nichts dergleichen erfahren haben, beispielsweise solche mit großen geistlichen Idealen, die an sich wertvoll sind. Um dieser Ideale willen können sie jedoch bereit sein, sich ausnutzen und bevormunden zu lassen. Aber auch manipulative Einflüsse, die fromm kaschiert sind, spielen keine geringe Rolle, so dass Menschen den Missbrauch erst sehr spät oder auch nie erkennen. Dazu gäbe es noch viel zu sagen.
Am 20. März sind Sie bei der kfd im Kloster Neustadt zu Gast, um über das Thema zu referieren. Was erwartet die Teilnehmer, und welche Botschaft möchten Sie vermitteln?
Ich möchte mit den Teilnehmenden über das Phänomen des „geistlichen Missbrauchs“ nachdenken und erspüren, wo es gegebenenfalls auch in ihren Kontexten vorkommen kann oder bereits vorgekommen ist. Es geht darum, die Hintergründe und Folgen des Missbrauchs zu verstehen, und um Impulse, wie wir als Christenheit lernen können, sowohl im Blick auf die persönliche Spiritualität, aber auch in unserem Miteinander heilsam unterwegs zu sein. Letztlich geht es um einen verantwortlichen Umgang mit einem Phänomen, durch das Menschen – oft langfristig – schwer verwundet werden und durch das die Glaubwürdigkeit und Relevanz von Kirche und christlicher Gemeinschaft wirksam unterwandert wird. Ich möchte mit dieser Veranstaltung zu diesen Fragen Impulse vermitteln und Raum geben für die Auseinandersetzung mit einer leidvollen Thematik.
(Interview: Petra Derst)
Hinweis: Die Veranstaltung im Kloster Neustadt beginnt um 15 Uhr und endet um 16.30 Uhr. Die Teilnahme kostet zehn Euro; für Mitglieder ist sie kostenfrei. Anmeldung unter kfd@bistum-speyer.de oder über die Webseite www.kfd-speyer.de