Donnerstag, 09. September 2010
Es geht um einen Nachdenkprozess
Zum Thema Sarrazin
Die Äußerungen des ehemaligen Berliner Finanzsenators und heutigen Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin (SPD) im Zusammenhang mit seiner Buchveröffentlichung haben in Teilen der Kirche Empörung und Kritik hervorgerufen. Dabei werden nicht nur seine Zuspitzungen („Juden-Gen“) scharf verurteilt, auch seine Analysen zur Integrationspolitik stoßen weithin auf deutliche Ablehnung. Sarrazin ist jedoch kein „Brandstifter“, wie ihn manche jetzt nennen.
ZdK-Präsident Alois Glück wirft Sarrazin vor, die Diskussion zu polarisieren. „Jeder realistisch denkende Beobachter weiß, dass es gravierende Integrationsprobleme insbesondere bei einem Teil der Migranten muslimischen Glaubens gibt, die aus wenig entwickelten Gegenden kommen. Dies ist kein Tabu, das durch Provokationen erst aufgebrochen werden müsste.“ Richtig merkt Glück an, dass Sarrazin mit seinen Zuspitzungen ein Wegbereiter rechtspopulistischer und rechtsradikaler Strömungen werden könnte.
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle. Zu Sarrazins Einschätzung, gerade muslimische Einwanderer seien nicht an Eingliederung interessiert, sagte der Bischof, Pauschalaussagen über die Integrationsbereitschaft von Migranten seien nicht seriös und verfehlten die Wirklichkeit. Viele Migranten seien an besserer Eingliederung interessiert, andere wiederum nicht. Starke Bildungsferne verschärfe die Probleme. „Aber bildungsferne Deutsche sind oft auch nicht gut integriert“, so Trelle. „Sollte Herr Sarrazin jedoch der Meinung sein, die zu uns gekommenen Zuwanderer seien prinzipiell weniger intelligent, so hält eine solche These wissenschaftlicher Betrachtung kaum stand“, macht der Bischof klar.
Sich über Sarrazin zu entrüsten, ihn rauszuschmeißen und dann zur Tagesordnung überzugehen, wäre fatal, so betont der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick ganz richtig. Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für die Weltkirche fordert stattdessen ein Nachdenken und Handeln im Sinn einer gemeinwohlorientierten Integration. Und nur darum kann es gehen. Wenn Sarrazin mit seinen provokanten Äußerungen einen solchen Prozess fördert, dann haben sie noch etwas
Gutes.
(Norbert Rönn)