Redaktion der pilger

Donnerstag, 25. Juli 2019

Frei sein – sich freuen – hören

Kohelet, der Gottsucher – Zweifel als Ausdrucksform des Glaubens - Gedanken zum Lukas-Evangelium 12, 13-21 von Diplom-Theologe Thomas Bettinger

gleich im ersten Satz: „Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch“. Im Buch Kohelet taucht dieses Wort immer wieder auf, wie ein Refrain. Selbst das Schlusswort lautet: „Das ist alles Windhauch“. Kohelets Grundaussage ist erschütternd: „alles unter der Sonne ist nichts, absurd, zwecklos, hoffnungslos, unverständlich, alles verweht und vergeht“. Alles Tun ist letztlich vergeblich, Recht und Gerechtigkeit eine Fiktion: Den Ungerechten geht es gut, die Gerechten leiden. Kohelet gibt der Resignation, dem Zweifel eine Stimme. Wie die Gottesanklage Ijobs stellt der Autor alles in Frage, nur eines nicht: Die Existenz Gottes, des Schöpfers. Ein umstrittenes, aber auch modernes Buch, das uns herausfordert, Gott neu zu denken.

Im folgenden Abschnitt zeigt Kohelet am Beispiel des Besitzes auf, wie „alles Windhauch“ ist. Ich kann mich abmühen, was bleibt mir? Meinen erworbenen Reichtum erbt ein anderer, der sich nicht dafür abgemüht hat. Was ich mir sonst geschaffen habe, auch mit Intellekt und Geist, was bleibt mir davon? Die Tage bestehen aus Schmerzen, Sorgen und Ärger, selbst in der Nacht finde ich keine Ruhe. „Alles ist Windhauch“, alles ist völlig sinnlos.

Weiter zeigt Kohelet, wie der Mensch seinem Schicksal ausgeliefert ist, wie die theologische Lehre, dass es dem Guten gut, dem Bösen schlecht ergeht, einfach nicht stimmt: „Es gibt gesetzestreue Menschen, denen es so ergeht, als hätten sie wie Gesetzesbrecher gehandelt; und es gibt Gesetzesbrecher, denen es so ergeht, als hätten sie wie Gesetzestreue gehandelt. Ich schloss daraus, dass auch dies Windhauch ist“ (Koh 8, 14). 

Was bleibt dann noch von Gott, von meiner Beziehung zu ihm? Zerbricht alles? Der Hebräer konnte Leben und Welt nicht denken ohne Gott. Alles, was geschieht, ist auf Gott den Schöpfer zurückzuführen. Kohelet lässt Gott nicht los. Oder ist es umgekehrt? Kohelets Zweifel an Gott ist seine Form des Glaubens. Sein Gottesbild „funktioniert“ nicht mehr. Er will verstehen, er will Antworten wie Ijob, dass das Leben eben nicht Windhauch, nicht Nichts, nicht eine Absurdität ist. Drei Überlegungen sind mir dabei hilfreich.

Kohelets Kritik am Umgang mit dem materiellen Reichtum ist kompromisslos: Besitz schafft nicht Sinn, Raffgier zerstört, schafft Unheil. „Wer das Geld liebt, bekommt vom Geld nie genug; wer den Luxus liebt, hat nie genug Einnahmen … Süß ist der Schlaf des Arbeiters, ob er wenig oder viel zu essen hat. Dem Reichen raubt sein voller Bauch die Ruhe des Schlafs“ (Koh 5, 9–11). Kohelets Kritik ist eine Kritik der Konsumgesellschaft. Er ruft uns zu: Lasst euch nicht vom Reichtum dieser Welt täuschen und binden! Daraus erwächst kein Leben! Ich sehe darin die Aufforderung zu einer Haltung innerer und äußerer Freiheit: Besitzlosigkeit macht frei. Das Armutsgelübde im Mönchtum ist auch für uns Laien ein „Lebenszeichen“.

Eine zweite Überlegung: Kohelet fordert auf, das Leben zu genießen: Freue dich am Guten in der Welt: „Da pries ich die Freude; denn es gibt für den Menschen kein Glück unter der Sonne, es sei denn, er isst und trinkt und freut sich. Das soll ihn begleiten bei seiner Arbeit während der Lebenstage, die Gott ihm unter der Sonne geschenkt hat“ (Koh 8, 15). Kohelet spricht ein uneingeschränktes Ja zu Schöpfung und Leben. In den Gütern dieser Welt zeigt sich etwas von der Güte des Lebens, in der Gott wohlwollend den Menschen zugewandt ist. Sich dankbar dieser Güte zu öffnen, ist gläubige Grundhaltung, in der sich Lebenssinn und Lebensfülle ereignen können: ein Ja zum Gott, der ein Freund des Lebens ist.

Ein dritter Punkt: Kein Zweifel, für den Prediger Kohelet ist Gott da. Aber dieser Gott ist ihm „fragwürdig“ geworden, dunkel, fremd, abgründig in seiner Abwesenheit. Im ersten Buch der Könige begegnet der Prophet Elija Gott am Berg Horeb. Er erfährt Gott nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer: „Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein GesGesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle“ (1 Kön 19, 11–13). Gott in einem „sanften, leisen Säuseln“. Martin Buber übersetzte diese Stelle mit „eine Stimme verschwebenden Schweigens“.
Was, wenn Gott im „Windhauch“ wäre? Dann wäre das fünfmalige „Windhauch“ am Anfang des Buches eine fast nicht wahrnehmbare, voll Ehrfurcht gehauchte Anrufung Gottes. Vielleicht müssen wir neu das Hören lernen – im Atem der Stille.


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