Mittwoch, 03. Juli 2024
Wo alle mitentscheiden
Können die Thomaschristen aus Indien uns ein Vorbild dafür sein, wie Macht in der Kirche geteilt wird?
Die katholische Kirche versucht gerade, synodaler zu werden – und merkt: Das ist gar nicht so leicht. Lernen kann sie vielleicht von den Thomaschristen, sagt Jyothish Joy. Der indische Priester erzählt, welche Erfahrungen seine Kirche mit Synodalität gemacht hat.
Wenn indische Priester nach Deutschland kommen, so lautet die übliche Einschätzung, müssen sie erst mal eine Menge lernen. Ganz falsch ist das nicht, bestätigt Jyothish Joy: „Die Sprache, die Liturgie, die Kultur – vieles ist schon sehr anders.“ Aber vielleicht könnten wir auch manches von seiner Kirche, den Thomaschristen, abschauen. Nein, nicht die Frömmigkeit, sondern die Synodalität. „In meiner Kirche gab es viele synodale Strukturen“, sagt er. Manche gibt es bis heute, andere müsse man wiederbeleben. Wie das gehen kann, ist Thema seiner Doktorarbeit.
Mit einer halben Stelle ist er jetzt Seelsorger in der katholischen Hochschulgemeinde Münster, mit der anderen halben Stelle promoviert er. Er habe in einer theologischen Zeitschrift gelesen, dass die römisch-katholische Kirche in Sachen Synodalität von den orientalischen Kirchen lernen könne: „Das hat mich interessiert.“
Allerdings liegt manches, was man lernen kann, recht weit zurück. „Besonders synodal ging es bei uns Thomaschristen zu, bevor wir latinisiert wurden“, sagt der Priester. Damals, bevor die Portugiesen Teile Indiens kolonisierten. Was bei den Thomaschristen durchaus auf einigen Widerstand stieß.
„Von jeder christlichen Familie wurde eine Person in die Versammlung entsendet“
„Unsere Kirche“, sagt Joy, „wurde zuvor wesentlich vom Palliyogam geleitet.“ Das Wort leitet sich ab von „Palli“ (Kirche) und „Yogam“ (Versammlung) und zeigt schon an, worum es damals ging: dass die Kirche keine Hierarchie von oben nach unten ist, sondern eine Versammlung von Gleichgestellten. „Wahrscheinlich haben wir die Idee von der südindischen hinduistischen Tempelkultur übernommen“, sagt Joy. Dort sei es üblich gewesen, dass eine gewählte Gruppe die Angelegenheiten des Tempels verwaltet. „Es heißt, die Thomaschristen seien ihrer Kultur nach Hindus“, sagt Joy und meint das sehr positiv. Damals gab es das Palliyogam auf drei Ebenen: Gemeinde, Region und Gesamtkirche. „Von jeder christlichen Familie wurde eine Person in die Versammlung entsendet“, sagt Joy. Meist sei das der oder die Älteste gewesen. „Es war ein wirkliches Entscheidungsgremium, in dem jedes Mitglied eine Stimme hatte. Niemand, auch kein Priester oder Bischof, konnte sich über die Beschlüsse hinwegsetzen.“ Das Palliyogam wählte auch diejenigen aus, die den priesterlichen Dienst übernehmen durften.
Als die portugiesischen römisch-katholischen Missionare auf die Thomaschristen stießen, schafften sie es teils, das römische hierarchische System einzupflanzen, teils stießen sie auf Widerstand. „Es ist ein Fall überliefert, dass im 17. Jahrhundert ein Palliyogam zwei Abgesandte nach Rom schickte, um in einem Konflikt zu vermitteln. Das Palliyogam schickte sie, nicht der Bischof.“ Heute, sagt Jyothish Joy, „ist das Palliyogam schwach geworden“. Überlebt habe es nur auf Pfarreiebene: „Da herrscht noch die Auffassung, dass Leute, die Gläubigen, die Pfarrei sind.“ Bei den nicht katholischen Teilen der Thomaschristen sehe man auch Nachteile des Palliyogams: „Es passiert dort immer wieder, dass mächtige Familien und auch mächtige Politiker Einfluss nehmen auf Entscheidungen. Das ist ein großes Problem.“
Was aber am Grundsatz nichts ändert. „Das Palliyogam ist eine gute Tradition und sollte wiederbelebt werden“, sagt Joy. Dazu möchte er mit seiner Doktorarbeit beitragen. Vielleicht kann er dann aber auch ein wenig von den Erfahrungen in Deutschland profitieren. „So wie hier die Hochschulgemeinde organisiert ist, der KHG-Rat mit seinen echten Entscheidungskompetenzen, das ist schon ziemlich gut“, sagt Joy. „Das erinnert schon an den Palliyogam von früher.“ (Susanne Haverkamp)