Freitag, 19. Mai 2023
Kunst und ein Natur-Paradies
Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte feiert 150-jähriges Bestehen
Grauer Qualm steigt schon lange nicht mehr aus den Schornsteinen. Seit 1986 sind die Hochöfen der Völklinger Hütte im Saarland stillgelegt. Lediglich 2019 qualmten die Schornsteine noch einmal – mit rotem Rauch zur Eröffnung der fünften Urban Art Biennale. Denn aus dem produzierenden Eisenhüttenwerk ist längst eine geölte Kunst- und Kulturmaschine geworden.
„Das Schönste ist, wenn die Menschen, die zu uns kommen, bei ihrem Besuch erfahren, dass diese einst so unerbittliche Industriemaschinerie ein überaus lebendiger Organismus von und für Kunst, Kultur und Natur geworden ist, der ihnen weit mehr bieten kann als ein herkömmlicher musealer Raum“, sagt der Generaldirektor Ralf Beil.
Angefangen hat alles vor 150 Jahren. Hütteningenieur Julius Buch gründete 1873 ein „Puddel- und Walzwerk“, das aber schon nach sechs Jahren schließen musste. 1881 kaufte Carl Röchling das Stahlwerk, und der erste Hochofen startete 1883 mit der Arbeit. Das Gelände wurde regelmäßig durch neue Bauten erweitert. Die Röchling‘schen Eisen- und Stahlwerke entwickelten sich zum größten Eisenträgerhersteller in Deutschland. „Hier wurden die Brückenträger der Gründerzeit, die Stahlhelme des Ersten Weltkriegs, die Granaten des Zweiten Weltkriegs und auch das Wirtschaftswunder produziert“, sagt Beil.
Zur Geschichte des heutigen Weltkulturerbes gehört auch die Zwangsarbeit in den beiden Weltkriegen. Die Historikerin Inge Plettenberg hat in ihrer Forschung rund 12 000 ausländische Arbeitskräfte zwischen 1940 und dem 30. November 1944 in der Völklinger Hütte gezählt. „Nicht jede ausländische Arbeitskraft war ein Zwangsarbeiter, aber die Grenzen sind fließend für sogenannte Angehörige von Feindstaaten“, sagt sie. Seit 2018 erinnert eine Installation des französischen Künstlers Christian Boltanski dauerhaft an die Zwangsarbeiter. Inmitten von metallenen Aktenschränken in der historischen Sinteranlage der Hütte bilden schwarze Hosen und Jacken einen Kleiderberg.
„Die Völklinger Hütte ist mit der deutschen und europäischen Geschichte in all ihren Verwerfungen verbunden“, betont Generaldirektor Beil. Das Jubiläum sei eine passende Gelegenheit, „die ganze Bedeutungsfülle und Intensität, die die Hütte in sich birgt, vor Augen und Ohren zu führen“.
Zurzeit laufen bereits die Videoausstellung „When we are gone“ von Julian Rosefeldt und die Comic-Schau „The Story of Planet A“ von Jens Harder über 14 Milliarden Jahre Erdgeschichte. Dazu kommen im Sommer unter anderem eine neue Ausstellung zu Rohstoff-, Menschen- und Produktionsströmen sowie die Multimediainstallation „We All (Except the Others)“ von Rémy Markowitsch, welche Schlüsselthemen aus der Geschichte der Völklinger Hütte aufgreift. Im Herbst folgt dann die Schau „Der Deutsche Film. 1895 bis Heute“. Für den 12. Mai ist ein Jubiläums-Festakt geplant, gefolgt von einem Festwochenende bei freiem Eintritt.
Seit 1994 ist die Völklinger Hütte Weltkulturerbe. Der Vorgänger Beils, Meinrad Maria Grewenig, hat mit dem Team des früheren Eisenhüttenwerks den Kulturort über die Grenzen des Saarlands hinaus bekannt gemacht.
Industrie, Kultur, Geschichte, Kunst und Natur sind die Schwerpunkte des Weltkultur- erbes. Neben Ausstellungen gibt es immer wieder Theateraufführungen. Besucher können historische Anlagen besichtigen, aber auch das sogenannte Paradies entdecken: Dort erobert die Natur einen Teil des Geländes zurück. Fester Bestandteil ist auch die Urban Art Biennale, die 2024 bereits zum siebten Mal urbane Kunst wie Sprayarbeiten und Plakate präsentiert. (epd)