Redaktion der pilger

Donnerstag, 10. August 2023

Ein System gerät ins Wanken

Zeit und Zuwendung: Freiwillige können in den Einrichtungen zusätzliche Angebote machen. (Foto: imago/phototek)

Bundesregierung plant drastische Kürzungen bei den Freiwilligendiensten

Ab 2025 könnte jede dritte Stelle bei Freiwilligendiensten wegfallen. Die Caritas und andere Träger warnen, das sei ein großer Verlust für junge Menschen, die Träger und Einrichtungen sowie für die Gesellschaft. Denn durch die Erfahrungen im Freiwilligenjahr wachse bei Jugendlichen das Verständnis für andere Lebenssituationen.

„Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Diesen Satz hört Michael Ziegler immer wieder, wenn er mit jungen Erwachsenen spricht, die sich für einen Freiwilligendienst entschieden haben. Er betreut jedes Jahr rund 350 bis 400 Freiwillige im Bistum Limburg. „Sie sagen, dass sie selbstsicherer geworden sind, sie haben das Gefühl, endlich etwas Sinnvolles getan zu haben“, sagt Ziegler.

Die Freiwilligen arbeiten für ein Jahr in Kindergärten, Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen, der Alten- oder Wohnungslosenhilfe und erhalten dafür im Bistum Limburg ein Taschengeld von 479 Euro monatlich. Deutschlandweit haben 2021/22 rund 111 000 junge Erwachsene ein Freiwilligenjahr absolviert.

Doch künftig drohen Stellen wegzufallen. Die Bundesregierung plant deutliche Kürzungen bei der Förderung der Freiwilligendienste. Die Mittel sollen von aktuell 207 Millionen Euro auf 134 Millionen Euro im Jahr 2025 verringert werden. Bei den Jugendfreiwilligendiensten soll es von 120 Millionen auf 80 Millionen zurückgehen.

Stellen fallen vor allem in kleineren Einrichtungen weg
„Diese Kürzungen können das ganze System ins Wanken bringen. Bewährte Strukturen werden hier in ihrer Existenz gefährdet“, sagt Karin Vorhoff, Leiterin des Referats Soziale Lebenslagen und Solidarität im Deutschen Caritasverband. Hier lege man „gerade massiv die Axt an“.

Ein Freiwilligendienst könne nur erfolgreich sein, wenn er gut begleitet werde, sagt sie. Die Freiwilligen treffen sich in Seminaren, werden intensiv betreut, haben Ansprechpartner. All das wird über Pauschalen finanziert. Gibt es künftig weniger Freiwillige, stehen den Einrichtungen weniger Mittel zur Verfügung. „Dennoch muss dem Dozierenden das gleiche Honorar und dieselbe oder gar gestiegene Raummiete gezahlt werden“, sagt Vorhoff. Sie befürchtet, dass bis 2025 jede dritte Stelle wegfallen könnte, vor allem in kleineren Einrichtungen.

Dabei profitieren vom Freiwilligendienst nicht nur die jungen Erwachsenen. Für die Einrichtungen „ist es eine fantastische Möglichkeit, Einblicke in unsere Arbeitsfelder zu geben“, sagt Vorhoff. So kann es gelingen, dringend benötigte Arbeitskräfte zu gewinnen. Außerdem sind zusätzliche Angebote möglich: Die jungen Menschen helfen bei der Förderung von Kindern oder verbringen Zeit mit Senioren – etwas, wofür die Mitarbeiter im regulären Alltag kaum Zeit haben.

Auch gesellschaftlich seien die Freiwilligendienste ein Gewinn, sagt Ziegler. „Durch die begleitende Bildungsarbeit kommen Jugendliche aus ganz unterschiedlichen Schulformen zusammen, die sonst nichts miteinander zu tun hätten.“ Er erinnert sich an einen Jugendlichen, der in der Wohnungslosenhilfe gearbeitet hat. „Er sagte, er werde nie mehr behaupten, es könne ihm nicht passieren, auf der Straße zu landen. Auch da wächst ein gegenseitiges Verständnis zwischen den sozialen Schichten“, sagt Ziegler.

Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, haben sich Freiwillige zusammengeschlossen und eine Petition gestartet. Sie fordern unter anderem eine Verdreifachung der Mittel durch Bund und Länder. Weil sie schon mehr als 100 000 Unterschriften gesammelt haben, muss sich nun der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags mit der Frage befassen. (Kerstin Ostendorf)

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