Redaktion der pilger

Mittwoch, 31. Juli 2024

Genie mit Manien

Anton Bruckner gilt als Meister der Romantik. Der fromme Mann vom Land wurde Zeit seines Lebens von Selbstzweifeln geplagt. (Foto: Wikipedia Commons/gemeinfrei)

Vor 200 Jahren wurde Anton Bruckner geboren. Sein Erfolg stellte sich erst spät ein.

Dem lieben Gott“ steht als Widmung über der unvollendeten Neunten Sinfonie, mit der Buckner vom Leben Abschied nahm: unirdische Klänge von Sehnsucht und Hoffnung. Nach dem düsteren, mit einem unentrinnbaren Schicksal beladenen Streichertremolo des Anfangs folgt ein gewaltiger Fortissimo-Ausbruch des ganzen Orchesters, als stürze die Menschheit vor dem richtenden Gott auf die Knie. Und dann ein wunderbar leichtes Totentanz-Scherzo jenseits aller Erdenschwere. Der Komponist strahlender Messen und inniger Marienmotetten gilt als liebenswürdig-schrulliger alter Herr, demütig ohne alle Künstlerallüren, als großes Kind, das die Kraft seiner Tonsprache aus unbefangener Gläubigkeit und eisernem Gottvertrauen gewonnen haben muss. Anton Bruckner: vorwärtsdrängendes Genie und im Grunde ein schlichter, fröhlicher Dorfmusikant bis an sein seliges Ende.

Aber die an barocke Liturgien erinnernden Choräle, die er in seine Sinfonien einfügt und mitten in den profanen Werken zitiert, drücken nach Bruckners eigenen Worten seine Dankbarkeit für die „Errettung vom Wahnsinn“ aus. 1867 fiel er in eine Nervenkrise, in der Klinik stufte man ihn als ernsten Fall ein. Zeitlebens litt er an quälenden Minderwertigkeitsgefühlen und Zwangsneurosen. Noch als musikalische Berühmtheit benahm er sich schrecklich ungeschickt, arrangierte die Uraufführungen seiner genialen Werke am völlig falschen Ort, mit schlecht vorbereiteten Ensembles, die von seiner Musik nichts hielten. Er ließ sich von verständnislosen Kritikern zu Umarbeitungen seiner Werke bewegen, statt ihnen selbstbewusst entgegen zu treten. Er warb Jahr um Jahr ebenso aufdringlich wie verblendet um die Hand schöner, reicher Mädchen, ohne zu begreifen, dass er sie mit seinen Dorfmanieren und seinem skurrilen Gehabe abschrecken musste.

Pionier der Moderne

Anton Bruckner, das lebendige Rätsel. Der schüchterne Dorfschullehrer, der sich nach jahrzehntelanger Bedenkzeit endlich ans Komponieren wagte und sinfonische Ungetüme von unerhört neuem Klang schuf. Bruckner, dem zu Lebzeiten nur wenige anhingen, den die meisten als technisch hervorragenden Organisten, aber dilettantischen Kompositeur irgendwo zwischen Wagner und Schubert einstuften.

Bruckner, ein Wegbereiter der musikalischen Moderne, einer, den man lange Zeit nicht ernst nahm und der in seinen besten Momenten fähig war, den Spott seiner Gegner mit lässiger Selbstironie zu parieren: „Gut is schon, aber es is halt net von mir!“, scherzte er über das dahinjagende Trompetenmotiv im Scherzo seiner Siebenten Sinfonie. „Die Melodie hat immer ein Hahn g‘sungen, der neben meim Haus aufm Misthaufen g‘hockt is!“.

Im Dörfchen Ansfelden, in idyllischer oberösterreichischer Obst- und Gartenlandschaft, kam Anton Bruckner am 4. September 1824 zur Welt. Er sollte Dorfschulmeister werden wie der Vater und der Großvater. Nach dem Tod des Vaters hatte der Tonerl zwar einen Kostplatz als Sängerknabe im Augustiner-Chorherrenstift St. Florian bekommen. Doch den 17-Jährigen schickte man als Schulgehilfen ins kleine Windhaag.

Zum Glück versetzte ihn der einfühlsame Abt von St. Florian nach Kronsdorf, wo die Leute aufgeschlossener waren und ganz in der Nähe, in Enns, ein tüchtiger Chorleiter amtierte, der ihm Unterricht in Kompositionslehre erteilte. Als Hilfslehrer nach St. Florian zurückgekehrt, wurde Bruckner bald zum provisorischen Stiftsorganisten ernannt, bewarb sich in devoten Briefen um eine Stelle als Kanzleischreiber, legte dann doch in Linz die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen ab – und hätte sich dann wieder fast nicht getraut, als die Stelle des Linzer Domorganisten frei wurde.

Nun endlich hängte Bruckner den Lehrerberuf an den Nagel und widmete sich ganz der Musik. Er lernte, büffelte den „Strengen Satz“, komponierte Messen, Lieder für Männerchor – und dann endlich Sinfonien, die immer gewaltiger und farbkräftiger wurden, die er aber mit unfehlbarem Talent dem falschen Publikum zur falschen Zeit vorstellte. Noch 1877, als die „Dritte“ in Wien Premiere hatte, zeigten die Musiker deutlich, wie wenig sie von der Sinfonie angetan waren.

Als Bruckner trotz seines Ungeschicks 1868 die Professur für Generalbass, Kontrapunkt und Orgel am Wiener Konservatorium und später auch noch eine Lektorenstelle für Musiktheorie an der Universität bekam, nahm er das nicht etwa als Bestätigung seines Könnens.

Späte Anerkennung

Und doch verbreitete sich in Europa allmählich die Kunde von einem österreichischen Professor, der eine stürmische Musik von ganz neuer Art schuf. 1885, Bruckner war fast 60 Jahre alt, begann mit der Münchner Aufführung seiner Siebenten Sinfonie ein später Siegeszug. Das Werk war in Hamburg und Graz zu hören, in New York, Chicago, Boston, Amsterdam. Bruckner war nun endlich auch in Wien anerkannt. Kaiser Franz Joseph wies ihm generös eine mietfreie Wohnung im Belvedere zu. Hier starb Anton Bruckner am 11. Oktober 1896 im Alter von 72 Jahren. (Christian Feldmann)

Hinweis: Das Anton-Bruckner-Museum im österreichischen Ansfelden (Augustinerstraße 15) bietet in seiner Ausstellung einen akustischen Rundgang durch Anton Bruckners Lebensstationen. Es ist von Mittwoch bis Sonntag (und feiertags) von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Infos unter www.landesmuseum.at

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