Mittwoch, 19. Juli 2023
„Zahlenfetischismus“
Theologe Heiner Bielefeldt kritisiert Berichte zur Christenverfolgung
Bischof Bertram Meier ruft dazu auf, das Thema Christenverfolgung „nicht den Extremgruppen“ zu überlassen.
Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, dessen Verteidigung für die Kirchen ein Dauerauftrag ist – so drückte es der katholische Weltkirchebischof Bertram Meier jüngst aus. „Es ist nicht damit getan, ein Pflichtprogramm zu machen und einen Tag ein Eventfeuerwerk abzubrennen.“
Einen Teil dieser Pflichtschuldigkeit haben katholische und evangelische Kirche nun mit ihrem dritten ökumenischen Bericht der Religionsfreiheit weltweit wieder abgeleistet. Bei der Vorstellung des Berichts stand Meiers Aufruf im Vordergrund, den Teilaspekt der Christenverfolgung „aus der Tabuzone“ zu holen und „nicht den Extremgruppen“ zu überlassen. Wen er damit meinte, ließ der Bischof offen. Zu bemerken ist allerdings, dass sich mit der päpstlichen Stiftung „Kirche in Not“ und dem christlichen, Freikirchen nahe stehenden Hilfswerk „Open Doors“ gleich zwei Konkurrenten finden, die ebenfalls regelmäßig Berichte zur Christenverfolgung veröffentlichen.
Vermeintlich eindeutig
Meier betonte zwar, dass es mit „Kirche in Not“ eine enge Zusammenarbeit gebe, bezeichnete es aber als „schade“, dass das Thema in der katholischen Kirche praktisch exklusiv dem Hilfswerk vorbehalten bleibe. Zurückhaltender noch fiel die Reaktion zum Vergleich mit den „Open Doors“-Berichten aus. Deutlichere Rückschlüsse ließen hingegen die Äußerungen des Theologen Heiner Bielefeldt zu, der als maßgeblicher Autor des ökumenischen Berichts firmiert. Bielefeldt prangerte einen „Zahlenfetischismus“ an, wenn es um verfolgte Christen gehe. „Niemand kann seriöserweise sagen, wie viele Christen denn bedrängt werden, verfolgt werden“, sagte er dem Portal domradio.de.
Das kann auch ohne Namensnennung als Kritik an „Kirche in Not“ und „Open Doors“ verstanden werden, die Religionsfreiheit und Christenverfolgung mehr oder weniger ausführlich mit quantitativen Maßstäben messen. „Kirche in Not“ sprach in seinem jüngsten Bericht von rund vier Milliarden Menschen, die in Ländern lebten, in denen religiöse Minderheiten verfolgt würden. „Open Doors“ berichtete über 360 Millionen Christen, die weltweit verfolgt würden.
Die Zahlen von „Open Doors“ werden wegen ihrer vermeintlichen Aussagekraft nicht nur von diversen Medien teils unkommentiert übernommen. Parteien am rechten politischen Rand versuchen, das Thema Christenverfolgung für sich zu beanspruchen. Erst Anfang des Jahres scheiterte die AfD im Bundestag mit dem Antrag, den 15. Februar offiziell zum Internationalen Tag gegen Christenverfolgung zu erheben. In der Antragsbegründung berief sich die Partei auf die Zahlen von „Open Doors“. (Johannes Senk)