Mittwoch, 17. Juli 2024
Immer wieder Überraschendes und Unbekanntes
Anlässliches des Todes- und Gedenktages am 9. August: Edith Stein über die richtige Ordnung des Staates
Wer sich eingehend mit der heiligen Edith Stein (1891 bis 1942) befasst, deren Fest die Kirche am 9. August begeht, trifft immer wieder auf Seiten ihrer Persönlichkeit, die mehr oder weniger unbekannt sind. Das gilt zum Beispiel für ihr politisches Denken. Als Philosophin phänomenologischer Prägung konnte sie die „Erscheinungen“ gesellschaftlicher Vollzüge nicht übersehen: Sie ging auf sie ein, im philosophischen Nachdenken, aber auch im konkreten Mitwirken. Sie übernahm Verantwortung.
So unterbricht Edith Stein 1915, als ihre Kommilitonen an der Front im Ersten Weltkrieg waren, ihr Studium und leistet selbstverständlich Dienst im Seuchenlazarett in Mährisch-Weißkirchen. Und nach dem Krieg 1918 setzt sie sich für einen demokratischen Neuanfang in Deutschland ein: Sie tritt in Breslau in die „Deutsche Demokratische Partei“ ein, in der sie sich besonders für die Rechte der Frauen engagiert. Wichtig sind ihr dabei, wie sie schreibt, der „Glaube an das Volk“, also eine gewisse demokratische Prägung, der „innere Frieden“, die „volle soziale Gerechtigkeit“ sowie eine „internationale Rechtsordnung für den Frieden der Menschheit“. Das ist auch heute grundlegend.
Aufmerksam verfolgt Edith Stein die Bemühungen der Weimarer Republik. Dabei nahm sie auch ihren (anerzogenen) preußischen Patriotismus zurück, ohne jedoch ihre „affektive Bindung an das eigene Vaterland“ aufzugeben. „Einseitige Sichtweisen, wie sie oft politische Urteile prägen“, hatte sie ohnehin immer schon abgelehnt. Doch angesichts der radikalen Interessengruppen und ihrer gegensätzlichen politischen Auffassungen sieht sie den Staat in seiner Existenz gefährdet. So fordert sie letztendlich eine grundlegende Staatstheorie als Leit-Ideal und einen Staat, der durch das Recht geordnet und durch die Kraft der Vernunft zugunsten der Volksgemeinschaft getragen ist.
Dies lässt Edith Stein dann, mit ihren eigenen politischen Erfahrungen, einfließen in ihre Schrift „Eine Untersuchung über den Staat“, die zwischen 1920 und 1924 entstand und 1925 veröffentlicht wurde. 1922 konvertierte sie und wurde getauft, von 1923 an arbeitete sie als Lehrerin in Speyer.
Natürlich muss gerade diese Untersuchung unter dem Vorbehalt der Zeit, der philosophischen und der staatsrechtlichen Voraussetzungen gelesen werden. Dennoch: Edith Stein sieht den Staat als soziales Gebilde, in das Menschen als freie Personen integriert sind und in dem eine Mehrheit von ihnen repräsentiert und regiert. Der Geist des Staates ergibt sich aus dem Ethos des Volkes und ist nicht von einer Idee oder gar Ideologie bestimmt. Seine Rechtsgrundlage ist das „ewige Recht“ oder „Naturrecht“, wozu auch die Grundwerte gehören, mit Religion als unverzichtbarem Bestandteil. So kann Edith Stein mit dieser Untersuchung gerade auch heute wichtige Anstöße geben bei der Suche nach einer Grundlage des Staates sowie nach einer Verknüpfung verschiedener kultureller Werte miteinander, von individueller Freiheit und gerechter Gemeinschaft in Staat und Gesellschaft.
Gerade bei den heutigen multikulturellen, multireligiösen, auch a-religiösen Gesellschaften ist das unabdingbar: für unseren deutschen Staat, für die europäische Staatengemeinschaft sowie für die globale Gemeinschaft der Menschheit: Sie können nicht sein ohne feste Fundierung durch Grundwerte. Edith Stein würde heute in alledem gewiss von dem jüdisch-christlichen Werte-Fundament sprechen. (KLaus Haarlammert)