Donnerstag, 21. Dezember 2023
Feinde sollen zu Freunden werden
In Begegnungen wachsen Achtung und Freundschaft
Wir haben gerade Weihnachten mit bitterem Beigeschmack gefeiert: In der Heimat Jesu herrscht Krieg. Engelchöre und Lobgesänge auf Gott können sich im Moment weder die Menschen in Israel noch im Westjordanland und schon gar nicht im Gazastreifen vorstellen – auch nicht die Christinnen und Christen, die in diesen Gebieten leben.
Ein Ort, der die Zerrissenheit des Heiligen Landes widerspiegelt, ist die Stelle, an der die christlichen Pilger die Taufe Jesu verortet haben: Sie liegt im Westjordanland, nahe Jericho, und gehört zu den palästinensischen Autonomiegebieten, die vom israelischen Militär verwaltet werden. Das ist an der ständigen Präsenz von israelischen Soldaten deutlich zur erkennen.
Der Jordan bildet die Grenze zu Jordanien, sie verläuft mitten durch den Fluss und ist – zumindest an dieser Stelle – durch einen Holzbalken markiert. Von beiden Seiten der Grenze führen Treppenstufen bis in den Fluss hinein, damit die Pilger die Taufe Jesu dort nachvollziehen können. Auf beiden Seiten gibt es auch eine Art Kapelle zur Feier eines Gottesdienstes. An diesem Ort wurde Jesus als Sohn Gottes vorgestellt. Von Gott persönlich.
Zunächst hatte Jesus sich – wie viele andere Juden zur damaligen Zeit – zu Johannes begeben, um sich taufen zu lassen. Johannes war ein Bußprediger. Er rief zur Umkehr. Er rief dazu auf, sein Leben zu ändern. Es kamen Menschen zu ihm, in dem Bewusstsein, in ihrem Leben etwas falsch gemacht zu haben. Gesündigt zu haben. Die Taufe sollte diese Sünden löschen und einen Neu-Anfang ermöglichen.
Vielleicht ist Jesus mit der gleichen Absicht zu Johannes gekommen. Vielleicht war er sich bis zu diesem Moment noch gar nicht im Klaren über seine Mission. Vielleicht wird ihm in der Begegnung mit Johannes erst klar, wer er selbst ist: der Sohn Gottes. Der Retter, auf den das Volk Israel gewartet hatte. Derjenige, mit dem das Reich Gottes den Menschen nahe kommt.
Jesus erlebt bei seiner Taufe etwas völlig anderes als die übrigen Täuflinge. Er wird sich seiner einzigartigen Beziehung zu Gott bewusst. Wahrscheinlich erkennt er in diesem Moment seinen Auftrag, den Menschen die Frohe Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden. Der Geist Gottes kommt auf ihn herab und wird ihn von jetzt an antreiben.
Wenn die Bibel davon spricht, dass der „Himmel aufreißt“, dann meint sie, dass die Grenze zwischen Gott und Mensch ein bisschen durchlässiger geworden ist. Durch Jesus wird Gott für alle Menschen erfahrbar. Es beginnt eine neue Zeit: Das Reich Gottes ist angebrochen.
Dass seine Vollendung noch aussteht, erleben wir fast täglich. Aber besonders tragisch ist es in dem Land, in dem Jesus seine Nähe verkündigt hat. Seit dem 7. Oktober starben nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen Tausende Kinder – zuerst durch den Terror der Hamas, jetzt durch die Bomben der israelischen Armee. Wie lange er dauern wird, ob er auf das Westjordanland oder sogar Israel übergreifen wird: wir wissen es nicht.
Kann es nicht für uns ein Sinnbild sein, dass Jesus in einem Grenzgebiet als der Sohn Gottes vorgestellt wird? Ruft er nicht dadurch dazu auf, Grenzen zu überwinden? Dabei darf es keine einseitige Solidarität geben – weder mit Israel, noch mit den Palästinensern. Unsere Solidarität gilt den leidenden Menschen auf beiden Seiten. Und sie brauchten nichts dringender als ein Schweigen der Waffen und einen Plan für einen dauerhaften und gerechten Frieden.
Viele von uns pflegen Kontakte nach Israel und Palästina: Städtepartnerschaften, Schulpartnerschaften, der Weltgebetstag der Frauen, Besuche im Heiligen Land. Bleiben wir mit ihnen im Dialog! Als ich vor einigen Jahren an einer Reise „Auf den Spuren Jesu“ teilgenommen habe, habe ich erlebt, wie gut sich unsere jüdische Reiseleiterin mit ihrem palästinensischen Kollegen, der uns durch das Westjordanland führte, verstand. Wo sich die Menschen begegnen, miteinander sprechen und zusammen arbeiten, kann Feindschaft überwunden werden.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass an dem Ort der Taufe Jesu eines Tages nicht mehr die Soldaten das Auffälligste sein werden, sondern die weißen Tauben, die sich dort frühmorgendlich einfinden.
(Monika Bossung-Winkler)