Samstag, 24. Februar 2024
Die Erde ist einfach zu langsam
Die Erde ist zu langsam. Sie schafft es einfach nicht, in 365 Tagen die Sonne zu umkreisen. Jedes Jahr verbummelt sie mehrere Stunden. Bei einer Strecke von 940 Millionen Kilometern und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 29 Kilometern pro Sekunde – oder 104 440 Stundenkilometern – ist das für sich gesehen doch entschuldbar.
Tatsächlich benötigt der Planet für eine vollständige Umrundung der Sonne, also für das sogenannte Sonnenjahr, im Mittel 365 Tage, fünf Stunden, 48 Minuten und 45 Sekunden. Auf lange Sicht aber würden sich die Jahreszeiten im 365-Tage-Kalender immer weiter verschieben. Also wird die Verspätung alle vier Jahre mit dem 29. Februar als Schalttag aufgeholt. Ende des Monats ist es wieder einmal soweit.
Bereits im dritten Jahrhundert vor Christus halfen ägyptische Astronomen der Erde erstmals auf die Sprünge und führten einen zusätzlichen Kalendertag ein. 45 vor Christus übernahm Julius Cäsar für das Römische Reich diese Regelung. Er ließ die Länge der einzelnen Monate offiziell festlegen und schrieb zugleich einen alle vier Jahre begangenen Schalttag fest. Die verbleibende kleine Restungenauigkeit von jährlich elf Minuten hatte der Imperator indes nicht im Blick mit seinem erst später als „Julianischer Kalender“ bezeichneten Regelwerk. Und so wuchs dieser winzige Fehler, den die Menschen fortan jährlich machten, immer weiter an. Etwa alle 128 Jahre summierte sich der Elf-Minuten-Fehler auf einen vollen Tag. Und dies führte schließlich dazu, dass sich im 16. Jahrhundert Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winteranfang um mehr als zehn Tage nach vorne verschoben hatten. Die Abweichungen zwischen Kalendertagen und den natürlichen Jahreszeiten wurde immer deutlicher. Bis heute hätten sich die Abweichungen auf 13 Tage addiert. Im 22. Jahrhundert würden es dann zwei volle Wochen sein.
Papst Gregor XIII. brachte Abhilfe. Er konnte dabei auf Vorschläge von Theologen und Mathematikern wie Nikolaus von Kues, Nikolaus Kopernikus oder Christophorus Clavius zurückgreifen. Gregor, auf den die Gründung der Vatikanischen Sternwarte und die Neugründung der Päpstlichen Universität (später „Gregoriana“) zurückgeht, wählte eine Radikallösung: Zehn Tage oder 240 Stunden fielen schlichtweg unter den Tisch. Auf Donnerstag, 4. Oktober 1582, folgte unmittelbar Freitag, 15. Oktober 1582. Obendrein wurde im Gregorianischen Kalender, der bis heute gilt und der weltweit gebräuchlichste Kalender ist, die Schalttagsregelungen weiter präzisiert, um künftige Restungenauigkeiten zu vermeiden: So blieb weiterhin jedes vierte Jahr grundsätzlich ein Schaltjahr. Der Extra-Tag fällt allerdings dann aus, wenn die Jahreszahl durch 100, aber nicht durch 400 teilbar ist. Durch diese Finesse hat nun jeder 400-Jahre-Zyklus nicht mehr 100 Schaltjahre, sondern nur noch 97. Oder am Beispiel ausgeführt: Das Jahr 1900 war kein Schaltjahr, das Jahr 2000 aber schon.
Mit dem Trick nähert sich der menschengemachte Kalender der astronomischen Wirklichkeit von 365,24219 Tagen des Sonnenjahres an. Zu 100 Prozent kommt die Regelung des Gregorianischen Kalenders jedoch nicht hin: Er geht von einer Jahreslänge von 365,2425 Tagen aus. Eine heute immer noch bestehende Abweichung zwischen kalendarischer Festlegung und Realität macht 27 Sekunden pro Jahr aus. Aber erst nach 3 200 Jahren wird sich dieser Fehler auf einen vollen Tag addiert haben. Von der Einführung des neuen Kalenders im Jahr 1582 an wird dieser ganze Tag also im Jahr 4782 nach Christus erreicht. Somit ist die Behebung der Abweichung nun wirklich Zukunftsmusik.
1582 stand Papst Gregor jedenfalls an der Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts. Was allerdings nicht alle anerkennen wollten. Zunächst verfluchten die Protestanten Gregors Reform als „trojanisches Pferd“, das die jungen evangelischen Kirchen unter päpstliche Knechtschaft zwingen solle. Erst im 18. Jahrhundert setzte sich bei ihnen der Gregorianische Kalender durch. Die orthodoxe Christenheit tut sich immer noch schwer mit der mehr als 400 Jahre alten Reform. Erst als sich in den Ländern der Orthodoxie der neue Kalender für die bürgerliche Zeitrechnung durchsetzte, versuchten die Ostkirchen 1923 eine Reform des Julianischen Kalenders. Das Projekt endete in einer Spaltung: Einige Kirchen, etwa in Griechenland, Polen und den USA, befürworteten die Reform, andere wie die Russisch-Orthodoxen lehnen sie bis heute ab. Die Orthodoxe Kirche der Ukraine führte 2023 indes den neujulianischen Kalender ein, der sich dem bei uns gebräuchlichen stark annähert.
Unverändertes Pech haben indes weiterhin die Menschen, die an einem 29. Februar geboren sind. Denn sie können ihren Geburtstag streng genommen nur alle vier Jahre – oder alle 1 461 Tage – feiern. Dies betrifft in Deutschland geschätzte 55 000 Schalttagsgeburtstagskinder. Vielleicht lassen sie sich aber von ihren mehr oder weniger berühmten historischen wie aktuellen „Leidensgenossen“ trösten: So wurde Renaissancepapst Paul III. am 29. Februar 1468 geboren, 400 Jahre später Opernkomponist Gioacchino Rossini, am 29. Februar 1784 der Münchner Maler und Architekt Leo von Klenze sowie am 29. Februar 1988 die Moderatorin Lena Gercke oder Fußballweltmeister Benedikt Höwedes. Das außergewöhnliche Datum scheint ihren Karrieren keinen Abbruch getan zu haben. Und dass sie ihres seltenen „echten“ Geburtstags wegen in Tränen ausgebrochen wären, ist ebenfalls nicht überliefert. Geregelt ist, dass in Deutschland offiziell der 1. März als Geburtstag in Nichtschaltjahren angesehen wird, festgelegt ist das im Bürgerlichen Gesetzbuch. Volljährig sind an einem 29. Februar geborene Teenager übrigens mit Ende des 28. Februar. Das gibt einen Hinweis, ab wann Schalttagskindern zum Geburtstag gratuliert werden kann.
Dass ausgerechnet der Februar – und nicht etwa der Dezember – regelmäßig alle vier Jahre zum Schaltmonat wird, hat seinen Grund im Römischen Reich noch aus der Zeit vor Julius Cäsar: Damals begann ein Jahr mit dem Frühlingsmonat Martius, den wir heute als März kennen.
(Volker Hasenauer-kna/Hubert Mathes)