Redaktion der pilger

Mittwoch, 19. Juli 2023

Der Weizen und das Unkraut

„Unkraut“ mitten im Getreide. Doch sollten wir beides ruhig wachsen lassen. Wir sollten uns nicht in Diskussionen verausgaben, wie wir uns jetzt schon des „Unkrauts“ entledigen könnten. (Foto: A.Freund/AdobeStock.com)

Wir brauchen mit der Kirche viel Geduld und Liebe

„Mit dem Himmelreich ist es wie …“. „Himmelreich“, wörtlich „Herrschaft der Himmel“, meint den Herrschaftsbereich Gottes. Im 13. Kapitel seines Evangeliums hat Matthäus eine Reihe von Gleichnissen zu einer großen Rede Jesu zusammengestellt. Alle sechs Gleichnisse, die auf das am Anfang stehende Gleichnis vom Sämann folgen, beginnen mit dieser Wendung.

Über das Himmelreich kann man nur in Bildern sprechen. Es geht um so alltägliches Tun wie pflügen, säen, pflanzen, ernten, backen, essen. Es geht um das Unkraut im Weizen, um das Senfkorn und den Sauerteig, es geht um den Schatz im Acker des Bauern und die schöne Perle des Kaufmanns, es geht um das Fischernetz, in dem sich Fische aller Art fangen. Es geht Jesus um die Entdeckung der kleinen und großen Wunder Gottes in der Natur und im Leben der Menschen. Denn Natur und Mensch sind Gleichnis für das Reich Gottes.

Vom Unkraut im Weizen erzählt nur Matthäus. Wir begegnen dem Taumellolch (botanisch „Lolium temulentum“), auch Tollkorn genannt. Er war in den Ländern rund um das Mittelmeer weit verbreitet (früher auch bei uns). Er ist gefürchtet, weil er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Weizen hat und oft von einem Pilz befallen ist, der als Nervengift wirkt. Erst an der Frucht, den schwärzlichen Körnern, kann man ihn sicher erkennen. Er lässt sich in der Wachstums- phase nicht beseitigen, ohne dass der Weizen mit zerstört wird, da die Wurzeln beider Pflanzen ineinander verschlungen sind.

Jesus lässt den Gutsherrn an Stelle Gottes sagen: Lasst beides wachsen bis zur Ernte, dann kann man zuerst das Unkraut schneiden und danach den Weizen in die Scheune bringen.

Man hat dieses Gleichnis auf die Gemeinden hin gedeutet. Es gab zu allen Zeiten die Erfahrung, dass auch in den christlichen Gemeinden Men-schen leben, die nicht frei von Schuld sind. Und immer gab es Unglauben, Hass, Hochmut und Schuld in der Kirche. Aber Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, er lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte (Mt 5,45). Gott richtet erst am Ende. Ihm allein steht das letzte Urteil zu, sagt Jesus.

Es gab Gemeinden zur Zeit Jesu, die sich als heilige Gemeinden der Endzeit betrachteten, wie die Qumrangemeinde am Toten Meer. Aus Schriftfunden wissen wir, dass dort die Sünder ausgeschlossen wurden.

Jesus fügt sich nicht in dieses Modell sich absondernder Gemeinden ein. Auch er will das Gottesvolk sammeln, aber er schließt immer auch die Verachteten, die sozial Ausgestoßenen und Sünder mit ein.
Die im Text folgenden Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig erzählt Matthäus gemeinsam mit Lukas. Wie aus dem kleinen Senfkorn eine große Staude wird, in der die Vögel des Himmels nisten, so hat auch das Reich Gottes das gewaltige Potential, sehr groß zu werden. Es bricht unscheinbar im Alltag der Menschen an, dort wo die Menschen wohnen und arbeiten, lieben und leiden.

Das Gleichnis vom Sauerteig geht in die gleiche Richtung. Wie der Sauerteig seine große unaufhaltsame Kraft entfaltet, sobald er angesetzt ist, so entfaltet sich auch das Himmelreich unaufhaltsam in der Welt.
„Der Acker ist die Welt“ (Mt 13,38) Jeder von uns ist für ein Stück vom Acker verantwortlich. Langen Atem und Gottvertrauen braucht es in den vielen großen und kleinen Dingen unseres Lebens, damit das Gute letztendlich stärker ist als das Böse.

Das Himmelreich, das Reich Gottes ist in keiner Landkarte eingezeichnet. Es wird sichtbar in den Erfahrungen unseres Alltags, da, wo Menschen ihr Handeln an Gott orientieren: in der Erziehung junger Menschen, in der Begleitung seelisch Verwundeter, in der Pflege alter Menschen, im Kampf gegen Hunger und Armut, im Ringen um Gerechtigkeit und Frieden, auf dem langen Weg der Versöhnung – genau genommen im ganzen christlichen Alltag.

Denn wenn es auch offensichtlich in der Kirche Unkraut gibt, so darf doch weder unser Glaube noch unsere Liebe derart Anstoß daran nehmen, dass wir selbst die Kirche verlassen, weil wir Unkraut in ihr bemerken. Wir haben vielmehr darauf hinzuarbeiten, dass wir Weizen zu sein vermögen, damit wir die Frucht für unsere Mühe und Arbeit einheimsen, wenn einmal die Ernte in die Scheunen des Herrn geborgen werden soll. (Regina Mettlach)

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