Redaktion der pilger

Mittwoch, 12. Juli 2023

Nichts als die Wahrheit

Das Gleichnis vom Sämann, Darstellung im „Hortus Deliciarum“, deutsch „Garten der Köstlichkeiten“, von Herrad von Landsberg um das Jahr 1180.

Wir müssen die eigene Hartherzigkeit überwinden

Wir kennen das Gleichnis vom Sämann. Tausendmal gehört, auch seine Auslegung kennen wir: Der Samen fällt auf Boden, der ihn nicht aufnimmt oder nur kurzfristig aufblühen lässt, der ihn erstickt oder eben reiche Frucht bringt, „hundertfach, sechzigfach, dreißigfach“. Es ist das Gleichnis vom Hören, Verstehen und Fruchtbringen. Jesus deutet es im dritten Teil unserer Perikope selbst: Es geht um das Tun, das den Glauben beglaubigt und ihn in der Welt wirksam werden lässt.

Ich verbeiße mich in den zweiten Teil unserer Lesung. Jesus erklärt seinen Jüngerinnen und Jüngern, warum er in Gleichnissen, in Bildreden zu den Menschen spricht: „…, weil sie sehen und doch nicht sehen, und hören und doch nicht hören und nicht verstehen.“ Er zitiert den Propheten Jesaja (Jes 6,9f), der von Jahweh den Auftrag erhält, das Herz des Volkes zu „verfetten“, seine Ohren und Augen zu verkleben, damit es nicht hört und nicht sieht und nicht zur Einsicht kommt. Die Verstocktheit, die Hartherzigkeit der Menschen wird hier auf Gott selbst zurückgeführt.

In unserer Lesung ist der Akzent anders gesetzt, hier ist es eher eine Feststellung: „Mit ihren Ohren hören sie schwer und ihre Augen verschließen sie, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihren Ohren nicht hören und mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht kommen und sich bekehren und ich sie heile.“ Hier geht es um die gewollte, schuldhafte Verstockung, um inneren Selbstverschluss. Hier ist das Nichtsehen, das Nichthören ein Nichtwollen, das aus dem eigenen Herzen kommt. Jesus sagt zu den Jüngern, dass viele Propheten und Gerechte des Ersten Bundes sich danach gesehnt haben „zu sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“ Umso größer ist die Schuld der nichthörenden und nichtsehenden Menge, denn sie könnten hören und sehen, wonach die Gerechten und Heiligen sich ausgestreckt haben.

Einem solchen verstockten Herzen kann Jesus nur ein „durch die Sinnbilder abgeschwächtes Licht geben: ein Halbdunkel“, das einen Weg andeutet, einen Weg ins volle Licht. Es ist Aufforderung, zu bitten: „Bittet, dann wird euch gegeben“ (Mt 7,7): hören, sehen, verstehen, Zugang zum Licht, zur Wahrheit, zum Leben.

Verstocktheit, verhärtete Herzen – spricht Jesus hier nicht auch von uns? Verschließe ich mich nicht auch aus Angst, meine eigene identitätsstiftende Erzählung, mein „Narrativ“, aufgeben und in die metánoia, die Umkehr gehen zu müssen? Jesu Aufforderung „Das Reich Gottes ist nahe, kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15) meint einen umstürzenden Lebenswandel, der mich zu einem neuen Menschen machen will.

Im Alltag sieht mein Nichthören und Nichtsehen so aus: Abschalten, wenn ich was nicht hören und nicht sehen will, bevor mir Hören und Sehen vergeht, meine kleine Welt ins Wanken gerät, meine Weltanschauung, mein Glaube gefährliche Risse erhält. Lesen Sie auch nur das, was Sie bestätigt und nicht kritisch in Frage stellt? Oder tummeln Sie sich in den Blasen der Social media, wo man sich gegenseitig auf die Schultern klopft, sich wahnwitzigste Verschwörungsmythen und -theorien erzählt?

Der Wahrheit standzuhalten, verlangt Mut. Wenn ich die Nachrichten schaue oder höre, habe ich oft den Eindruck, dass viele Menschen die Lüge geradezu lieben. Und die Lüge gebiert Hass. Ein Hass, der sich in den Medien austobt und oft schon zu Mord und Totschlag geführt hat. Viele Menschen verweigern sich der Wirklichkeit, verweigern sich der Wahrheit. Sie verweigern sich dem Wandel ihrer Welt, ihres Selbst.

Jesu Weise, in Gleichnissen zu reden, ist dagegen ein Aufruf zur Wahrheit. Er richtet sie gerade an die „Verstockten“. Jesus gibt sie nicht auf. „Die Wahrheit ist zumutbar“ (Ingeborg Bachmann), die Wahrheit über die eigene Existenz, das Leben, das Universum – über Gott. „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32) ist der frohmachende Kern des Evangeliums. Sie ruft ins Leben, hier und jetzt – und über den Tod hinaus.

Jesus sieht die Menschen realistisch und illusionslos. Er weiß, wozu sie fähig sind in ihrer Gier, aus Hass, Eifersucht und Neid, in ihrer Lust an Gewalt und Zerstörung. Unsere Welt stöhnt unter der Last der Menschen. Und dennoch: Gott liebt den Menschen, er hat ihn „nur wenig geringer gemacht als Gott“ (Ps 8,6). Er liebt ihn so sehr, dass er in Jesus Christus selbst Mensch wurde, damit wir Mensch werden. Wer hört, sich mutig der Wahrheit stellt, ist dazu fähig und beglaubigt das mit seinem Leben.

Für Jesus sind die Jüngerinnen und Jünger solche Menschen, auch wenn sie noch lange brauchten, vor allem die Erfahrung des Kreuzes, um ihn und seine Botschaft zu verstehen. Sie haben den Samen des Evangeliums ausgeworfen. Sie haben hundertfach Frucht getragen. Jetzt ist es an uns, zu hören und zu verstehen und Frucht zu bringen, damit die Generationen nach uns noch glauben können. (Thomas Bettinger)

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