Redaktion der pilger

Donnerstag, 15. Juli 2010

Das Eine bedingt das Andere

Zum Lukas-Evangelium 10, 38–42: Wofür musste die kleine Geschichte der Begegnung Jesu mit den beiden Schwestern Maria und Marta nicht alles herhalten? Den einen diente sie als Beleg dafür, dass ein kontemplatives, dem Studium und Gebet gewidmetes Leben aus christlicher Perspektive höher zu werten sei als Haushalts- und Handarbeit. Andere verleitete sie schlicht dazu, unterschiedliche Lebensmodelle von Frauen gegeneinander auszuspielen.

So wurde das Modell der berufstätigen, lernenden oder studierenden Frau (gern auch mal als „Karrierefrau“ abgestempelt) gegen jenes der Hausfrau und Mutter in Stellung gebracht.

Diese Schlachten scheinen angesichts vielfältig aufgefächerter Lebens- und Arbeitsmodelle inzwischen geschlagen und überholt zu sein. Dennoch hinterlässt der Text des Evangelisten Lukas bis heute einen unangenehmen Beigeschmack, nicht zuletzt für all jene Frauen (und Männer), die sich aus welchen Gründen auch immer für die häusliche Arbeit entschieden haben. Haben sie damit in den Augen Jesu nicht doch das Schlechtere gewählt? Eine scheinbar gewagte Aussage von jemandem, der sich nach Ausweis der Evangelien im Übrigen oft und gern einladen und bewirten ließ.

Doch gibt unser Text die Grundlage für solche Grabenkämpfe überhaupt her? Tatsache ist, dass Gastfreundschaft im Umfeld Jesu einen hohen Stellenwert einnahm, ja, dass die tatkräftige Sorge um das Wohl des Nächsten sogar ein wesentliches Kriterium für das Reich Gottes darstellte. Lukas stellt nicht umsonst unserer Geschichte die Erzählung vom barmherzigen Samariter voran (Lukas-Evangelium 10,25–37). Schwer vorstellbar also, dass er nur wenige Sätze später in der Äußerung Jesu die aufopfernde Sorge der Marta disqualifizieren will. Wichtiger vielleicht noch: Die entscheidende Frage, die zum Gleichnis vom Samariter führte, klingt dem Leser auch an dieser Stelle noch im Ohr: Was muss ich eigentlich tun, um das ewige Leben zu bekommen? 

Sollte sie auch über unserer Geschichte stehen, dann müssten wir sie in der Tat mit anderen Augen lesen. Das konkrete Tun der Nächstenliebe, geschildert am Beispiel des Samariters, ist das eine. Es wird von Marta vorbildlich praktiziert. Doch allein darin erschöpft sich der Anspruch an einen Jünger oder eine Jüngerin Jesu noch nicht. Das Hören und Bedenken der frohen Botschaft sind hier unabdingbar, ja gewissermaßen die Voraussetzung für alles andere. Ist es doch die innere Verbindung von der erfahrenen Frohbotschaft und daraus hervorgehenden Taten der Nächstenliebe, die den Jesusjünger vom ebenfalls human und sozial handelnden Nichtgläubigen unterscheiden sollten. 

Ins Haus der Marta kommt Jesus auch nicht als irgendwer. Für Lukas ist er derjenige, der die Botschaft vom nahen Gottesreich in letzter Autorität überbringt und auslegt. Seinen Besuch, so legt unsere Stelle nahe, nutzt er folglich auch zu Lehre und Predigt. Maria, die ihm dabei aufmerksam lauschend zu Füßen sitzt, hat dies verstanden. Ganz im Sinne des Predigers Kohelet, der davon spricht, dass alles seine bestimmte Zeit habe, hat sie die Chance erfasst. Genau jetzt nämlich, in diesem Moment ist die Zeit und die Gelegenheit, das Wort Gottes zu hören und zu meditieren. In der Figur der Maria schildert Lukas uns also so etwas wie das Ideal des Jüngers oder der Jüngerin Jesu. Damit freilich wird das soziale Tun der Marta mitnichten zu einem minderwertigen Dienst. Er ist notwendig, sogar lebensnotwendig, doch kann und darf er im Sinne der Jesusgemeinde nie abgekoppelt und isoliert stehen vom Wort der Schrift. Es kommt zuerst. Dies scheint der sanfte Vorwurf zu sein, den Jesus Marta in unserer Szene macht. 

So gibt uns der Text auch nur wenig her als Bestätigung angeblich weiblicher oder männlicher Lebensmodelle. Ganz im Gegenteil, ist er doch ein Beispiel dafür, dass in der Jesusgemeinde die üblichen Rollenmuster der damaligen Gesellschaft bewusst überschritten wurden. Es ist eine Frau, die hier ihre gesellschaftlich zugewiesene Rolle verlässt, uns als Rabbinerschülerin vorgestellt und dafür ausdrücklich gelobt wird. In der ebenfalls Lukas zugeschriebenen Apostelgeschichte sind es dem gegenüber sieben Männer, die in der jungen Gemeinde zum caritativen „Dienst an den Tischen“ beauftragt werden (Apostelgeschichte 6,1–7). In diesem Sinne hebt unser Text übliche Rollenklischees eher auf und ist als Begründung in Geschlechterdiskussionen kaum zu gebrauchen.

Die Trennung von Verkündigungsdienst und caritativem Handeln ist aus praktischen Gründen im Übrigen schon sehr früh erfolgt (beschrieben in der Apostelgeschichte) und sie birgt stets die Gefahr, vor der Jesus hier mahnt: über der völligen Fixierung auf das eine das andere zu vergessen. Wo die innere Verbindung nämlich verloren geht, ist dies zum Nachteil für die Kirche. Beides gehört als organische Einheit untrennbar zusammen: Das Hören und Ergriffenwerden vom Wort Gottes in der Katechese sowie der Feier der Liturgie, das seinerseits wiederum konkrete Gestalt annimmt im sozialen und caritativen Tun. Oder anders gesagt: Die beglückende Erfahrung, von Gott geliebt und angenommen zu sein, die sich verlebendigt in der Liebe zum Anderen. (Pastoralreferent Martin Wolf, Leiter der Katholischen Hochschulgemeinde Kaiserslautern)

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