Donnerstag, 05. Mai 2011
Bitte um eine kleine Spende
Ausstellungen in zwei Trierer Museen zum Thema „Armut – Perspektiven in Kunst und Gesellschaft“. Ein Rundgang.
Die Bronzestatuette eines erbarmungswürdigen Bettlers, nackt und bucklig, empfängt den Besucher im Rheinischen Landesmuseum Trier. Und die lebensgroße Plastik eines Obdachlosen entlässt ihn aus dem Stadtmuseum Simeonstift. Beide Museen haben sich eines bislang vernachlässigten Themas angenommen. Mit mehr als 250 Gemälden, Grafiken, Fotografien und Skulpturen geben sie umfassend Auskunft über unterschiedliche Sichtweisen auf Armut und Arme von der Antike bis zur Gegenwart.
Aber wie wird „Armut“ überhaupt definiert? Absolute Armut bezeichnet ein Leben am Rande des Existenzminimums, einen Zustand größter Entbehrungen, der mit Verwahrlosung und Entwürdigung einhergeht. Relative Armut trifft auf diejenigen zu, deren Einkommen weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens in dem Land beträgt, in dem sie leben. Und das lag 2009 in der Bundesrepublik bei 30879 Euro brutto. Relative Armut behindert mangels Geld die Teilhabe bei sozialen und kulturellen Aktivitäten – etwa Vereine, Sportveranstaltungen oder der Kinobesuch.
Das Trierer Landesmuseum widmet sich den Armutsdarstellungen der griechisch-römischen Antike. Den von ihr nicht Betroffenen galt Armut damals als urkomisch. Der Staatsmann und Redner Cicero bekundete: „Missgestalt und körperliche Gebrechen bieten einen guten Stoff für Scherze.“ Statuetten und Plastiken stellen das Gegenteil zum wohlproportionierten Körperideal antiker Skulpturen dar: „Dickbauchzwerge“ mit entblößtem Unterleib, Fratzen oder die „Trunkene Alte“ sind zu sehen. Bettler und körperlich Versehrte traten auf Festen zur Belustigung des Publikums auf.
Herbert Uerlings, Initiator der beiden Ausstellungen und Sprecher des von der Universität Trier eingerichteten Sonderforschungsbereichs „Fremdheit und Armut“, erklärt: In der Antike sei Armut grundsätzlich negativ besetzt gewesen. Sie wurde den Armen selbst angelastet. „Ein Armer galt nicht als hilfsbedürftig oder bemitleidenswert.“ Besonders von Armut bedroht waren Alte, Witwen, Kranke und Tagelöhner, für die es weder staatliche noch private Fürsorgeeinrichtungen gab. Die Präsentation im Landesmuseum endet mit dem Abguss eines Sarkophags aus der Spätantike. Dessen Reliefs zeigen Jesus bei der Ausübung von guten Taten wie der Heilung des Lahmen. Ein Hinweis darauf, dass erst die christliche Idee der Nächstenliebe den Umgang mit den Armen und Schwachen veränderte.
Die christliche Armenfürsorge ist eine der Perspektiven, die das Trierer Stadtmuseum Simeonstift näher bringt. Almosengeben, Nächstenliebe und Barmherzigkeit waren im Mittelalter keine selbstlose Angelegenheit. Die Wohlhabenden bedurften der Armen, um das eigene Seelenheil zu retten. Herbert Uerlings: „So wie das Almosen dem Bettler hilft, kann der Gebende, der vom Empfänger als Gegenleistung ein Gebet erhoffen darf, auf Barmherzigkeit Gottes hoffen.“
Wer den Armen gibt, gibt Gott. Das signalisiert die ausgestellte Holzskulptur des „Liegenden Christus mit Opferstock“ aus dem 16. Jahrhundert. Wie Uerlings sagt, habe das Christentum mit dem Leitbild des ,armen Jesus' die Wertschätzung freiwilliger Armut und das karikative Handeln zu einem Mittelpunkt des Glaubens gemacht. Eine Personifikation freiwilliger Armut und Nächstenliebe ist Elisabeth von Thüringen.
Im Mittelalter galt die Armut gleichsam als Teil der von Gott gewollten Gesellschaftsordnung. In der Neuzeit aber setzte sich die Auffassung durch, dass sie ein durch den Staat zu beseitigendes Übel sei. Nicht zuletzt an der Lösung dieser Aufgabe bemisst sich bis heute die Qualität der Regierungskunst. Entscheidendes Kriterium zur Hilfe ist dabei nach wie vor die Frage, ob der Bittsteller arbeitsfähig ist. Entsprechend galt Armut als selbstverschuldet durch den Müßiggang. Früher wollte man dem durch „fürsorgliche Zwangsmaßnahmen“ abhelfen.
Zwar haben die Sozialwissenschaftler die Behauptung, Armut sei reines Selbstverschulden, längst widerlegt und mangelhaften Arbeitslohn, konjunkturelle Schwankungen und Wirtschaftskrisen als zentrale Ursachen benannt. Doch neuerdings greift wieder die Behauptung von der Selbstverschuldung um sich. Und mit ihr das Prinzip von Leistung und Gegenleistung, „eine Politik, die in Deutschland in der Formel vom ,Fördern und Fordern' ihren Ausdruck fand, welche die Debatten über die so genannten Hartz-IV-Reformen geprägt hat“, wie Herbert Uerlings urteilt.
Und so sitzt am Ende des Rundgangs im Stadtmuseum ganz aktuell und zeitgemäß ein Obdachloser, als habe man ihn aus der Fußgängerzone ins Museum geholt. Es ist eine Plastik von Albrecht Wild und heißt harmlos „Sitzender“. Fast zynisch mutet die Hilfsmaßnahme an, die der Künstler dem Obdachlosen zu dessen „Professionalisierung“ im Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit angedeihen lässt. Wild hat Bettelschilder mit Aufschriften wie „Bitte um eine kleine Spende“ gesammelt. Deren Texte lässt er neben dem „Sitzenden“ auf einem LED-Display wie Werbebotschaften als bunt leuchtende Laufschrift endlos abspulen.
(Veit-Mario Thiede)
Hinweis: Beide Ausstellungen sind bis 31. Juli in Trier im Rheinischen Landesmuseum (Weimarer Allee 1, Telefon 0651/97740) bzw. im Trierer Stadtmuseum Simeonstift, (Simeonstraße 60, Telefon 0651/7181459) zu sehen. Internet: www.armut-ausstellung.de