Mittwoch, 10. April 2024
Erste Gelübde in Taizé
Ökumenische Brüder-Gemeinschaft vor 75 Jahren gegründet
Zu Ostern stand auf dem Hügel von Taizé ein stilles Jubiläum an. Am Ostersonntag vor 75 Jahren, am 17. April 1949, legten die ersten sieben Brüder ihre Gelübde für ein lebenslanges Engagement ab. Erst 20 Jahre später, ebenfalls am Ostersonntag (6. April 1969), wurde dann erstmals ein Katholik aufgenommen.
Die Jahrzehnte bis zu diesem Punkt gehören wohl zu den spannendsten spirituellen Reisen des 20. Jahrhunderts. Im Zweiten Weltkrieg sucht der junge Schweizer Theologe Roger Schutz einen Ort, um in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben und zugleich Kriegsflüchtlingen helfen zu können. Im Sommer 1940 findet er in der Nähe des einstigen Reformklosters Cluny das verfallene Weindorf Taizé. Mit geliehenem Geld kauft er eines der Natursteinhäuser im Ort.
Hier, nahe der Demarkationslinie zwischen dem nazibesetzten Frankreich und dem sogenannten freien Vichy-Frankreich, versteckt Roger jüdische und politische Flüchtlinge, die in die Schweiz wollen. 1941 formuliert er eine erste Ordnung für ein künftiges gemeinschaftliches Leben in Taizé. Doch 1942 wird Roger denunziert und muss zunächst in die Schweiz zurückkehren.
Im Oktober 1944 kehrt er mit seinen beiden protestantischen Gefährten Max Thurian und Pierre Souvairan nach Taizé zurück – um für immer zu bleiben. Die Brüder kümmern sich nun um deutsche Kriegsgefangene aus der Umgebung und teilen ihre Mahlzeiten mit ihnen. Für französische Kriegswaisen mieten die Brüder zwei weitere Häuser an. Die Mutterrolle übernimmt Rogers jüngste Schwester Genevieve Schutz-Marsauche (1912 bis 2007). Sie liegt heute, nahe ihrem Bruder, vor der romanischen Kirche des Dorfes begraben – jener damals lange verlassenen katholischen Kirche, die die protestantischen Brüder gerne zum Gebet genutzt hätten – doch der Bischof von Autun erhebt Einspruch gegen solch „nichtkatholisches Tun“.
1948 kommt die Lösung von unerwarteter Seite: Der Vatikanbotschafter in Frankreich, Erzbischof Angelo Giuseppe Roncalli – der spätere Konzilspapst Johannes XXIII. –, zeigt sich beeindruckt von der Spiritualität der protestantischen Brüder. Er macht die katholische Pfarrkirche zur Simultankirche – und erlaubt ihnen damit die Nutzung.
Schon in den 40er Jahren gibt es erste Aufenthalte von Jugendlichen auf dem Hügel. Und über die ersten Jahre ist ein Entschluss in den Männern auf dem Hügel gereift: Am Ostersonntag 1949, dem 17. April, legen die ersten sieben Brüder in der Dorfkirche ihr Gelübde für ein lebenslanges Engagement ab. Weitere folgen bald. Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam umfasst das Gelübde. Alle Kandidaten kommen aus Kirchen der Reformation; eine Bindung auf Lebenszeit ist ihnen eigentlich fremd. Doch sind sie zusammen einen ungewöhnlichen geistlichen Weg gegangen.
Vor 55 Jahren drängt der junge katholische Arzt Jean-Paul aus Belgien darauf, als Bruder in Taizé aufgenommen zu werden. Er verwirft alle alternativen Modelle, die ihm der ökumenisch umsichtige Frère Roger zunächst anbietet. Mit einer aus katholisch-kirchenrechtlicher Sicht eher unbestimmten Erlaubnis des befreundeten Pariser Erzbischofs Francois Marty macht Taizé am Ende den großen Schritt: Jean-Paul tritt am Ostersonntag 1969 in die Gemeinschaft ein; weitere folgen kurz darauf. 1972 legt Jean-Paul als Frère Ghislain die Gelübde ab. Aus der evangelischen Brüdergemeinschaft ist die erste ökumenische Ordensgemeinschaft der Kirchengeschichte geworden. (kna)