Dienstag, 16. Juli 2024
Nachfahren der Attentäter des 20. Juli 1944: Heute Haltung zeigen
Ihre Vorfahren wollten Adolf Hitler töten, dafür zahlten sie mit dem Leben. 80 Jahre danach appellieren die Nachfahren der Attentäter vom 20. Juli 1944 an die junge Generation heute, damit es nie wieder so weit kommt.
"Nie wieder" und "Wehret den Anfängen" - so und ähnlich rufen Nachfahren von Widerstandskämpfern aus der Nazi-Zeit dazu auf, sich heute gegen Hass, Hetze und Extremismus zu engagieren. 80 Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 werde dies immer wichtiger, sagte Anton Wirmer der "Bild am Sonntag". Sein Vater Josef hätte Justizminister werden sollen nach einem erfolgreichen Umsturz.
"Fast 80 Jahre lang war Frieden, und wir haben gedacht, das würde immer so weitergehen", fügte er hinzu: "Jetzt merken wir, es kann auch anders sein. Und wir spüren, dass wir etwas tun müssen, damit es so bleibt und sich nicht wieder Unrecht und Gesetzlosigkeit breit machen."
"Es geht um Haltung, damals wie heute", ergänzte Axel Smend. Sein Vater Günther wurde 1944 für die Beteiligung am Attentat zum Tode verurteilt und gehenkt: "Wenn einem etwas nicht passt, dann kann man sich engagieren, in Schulen, Gemeinden, politischen Zirkeln."
Es sei wichtig, dass auch heutige Generationen "vielleicht ein paar Vorbilder finden und sich mit dem Thema Widerstand und Gewissen intensiv auseinandersetzen", erklärte Helmtrud von Hagens. Ihr Vater Albrecht hatte den Sprengsatz bis zum 20. Juli unter seinem Bett versteckt, bevor Claus Schenk Graf von Stauffenberg ihn im Beisein Hitlers zündete. In den Schulen müsse wieder mehr daran erinnert werden, forderte von Hagens: "Darüber wird zu wenig geredet. Denn es ist existenziell wichtig, gerade für die heutige Generation."
Der älteste noch lebende Nachfahre der Widerständler vom 20. Juli ist der 95-jährige Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld. Auch sein Vater Ulrich wurde damals hingerichtet. "Das Erstarken einer neuen rechtspopulistischen Gruppierung beunruhigt mich", erklärte der Sohn: "Doch mir scheint, als wüssten die anderen Parteien nicht, wie man mit der AfD umgehen soll. Ihnen fehlt eine klare Linie im Umgang - und es wird zu wenig getan, um die Populisten kleinzuhalten."
Pfarrer Carl Goerdeler, dessen gleichnamiger Großvater nach einem erfolgreichen Putsch Reichskanzler werden sollte, ergänzte, sein Großvater habe immer an Europa gedacht: "Nie wieder Krieg gegeneinander! Dann hat er gekämpft für die Grundrechte. Für ihn war das ganz wichtig. Er sagte: Nichts ist schlimmer, als wenn nur eine Gruppe allein über ein Volk bestimmen will. Es müssen Grundrechte her. Eine gute Verfassung - und die muss eingehalten werden. Insofern war das Gesamte nicht vergebens." (Gottfried Bohl/kna)
Stichwort: Das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944
Am 20. Juli 1944 scheiterte das Attentat auf Adolf Hitler. An diesem Tag zündete Claus Graf Schenk von Stauffenberg eine Bombe im "Führerhauptquartier". Der 36-jährige Offizier stellte bei einer Besprechung in Hitlers ostpreußischem Hauptquartier "Wolfsschanze" eine Aktenmappe mit dem Sprengsatz am Kartentisch ab. Die Explosion verletzte die meisten Teilnehmer, doch der Diktator kam mit ein paar Kratzern davon.
Der geplante Staatsstreich einer Gruppe von Wehrmachtsoffizieren war der letzte von mehr als 20 Versuchen, Hitler zu töten und den verbrecherischen Krieg und die Gewaltherrschaft in Deutschland von innen her zu beenden. Noch am Abend des 20. Juli wurden Stauffenberg und seine engsten Mitarbeiter im des Berliner Bendlerblocks erschossen.
Die Beteiligten im Hintergrund der Verschwörung stammten aus vielen Schichten der Bevölkerung. Insbesondere gab es vielfältige Kontakte zum Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke. Dort war auch ein Regierungsprogramm ausgearbeitet und die personelle Besetzung einer neuen deutschen Regierung diskutiert worden.
Das gescheiterte Attentat löste eine brutale Terrorwelle aus. Die Spitzen des Widerstands wurden hingerichtet. Viele ihrer Angehörigen, Freunde und Mitstreiter kamen in Sippenhaft. Zahlreiche wählten den Freitod. Die Prozesse vor dem "Volksgerichtshof" dauerten bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes. Angesichts der prekären militärischen Lage verstanden die meisten Deutschen den Staatsstreich als Verrat. Unter den im Zusammenhang mit den Umsturzplänen Hingerichteten waren 19 Generäle, 26 Oberste, zwei Botschafter, sieben Diplomaten, ein Minister, drei Staatssekretäre sowie der Chef der Reichskriminalpolizei, mehrere Ober-, Polizei- und Regierungspräsidenten, aber auch Theologen beider Kirchen.
Mehrere andere Versuche, Hitler zu beseitigen, waren zuvor fehl geschlagen: 1943 beispielsweise versuchte der Offizier Henning von Tresckow, Hitler durch eine Sprengladung in dessen Flugzeug zu töten, der Zünder war jedoch defekt. Im November 1939 scheiterte ein Bombenanschlag des Tischlers Johann Georg Elser im Münchner Bürgerbräukeller, weil Hitler den Saal früher als geplant verließ.(kna)