Mittwoch, 10. Juli 2024
Seelsorge kurz vor Mitternacht
Joachim Lauer ist Pastoralreferent der Pfarrei Dudenhofen und Mitarbeiter im Bischöflichen Ordinariat Speyer. Ein paar Mal im Jahr schlüpft er Sonntagnacht in die Rolle des Radioseelsorgers beim BigFM Night Talk. Was die Hörer zu bestimmten Themen bewegt, ist jedes mal eine Überraschung für ihn und BigFM Moderatorin Claudia Formella.
Die riesigen Großraumbüros im Mediapark in Mannheim sind dunkel und menschenleer. Tagsüber herrscht hier emsiger Betrieb. In diesen Räumen werden die Sendungen von Radio Regenbogen, RPR1, BigFM und Rock-FM vorbereitet und in den daran anschließenden Studios ausgestrahlt. Nun zur späten Stunde sind nur noch zwei der kleinen Studios hell. Aus dem einen wird das aktuelle Programm gesendet, im anderen bereiten sich Moderatorin Claudia Formella und Seelsorger Joachim Lauer auf ihre Sendung vor. Viel Platz ist nicht in dem Studio, das mit einer schalldichten Fensterwand von den Büros abgetrennt ist. Ein großer Tisch mit viel Technik und vier Arbeitsplätzen drumherum mit Bildschirmen, Mikrofonen und Kopfhörer steht in der Mitte. Bespannte Wände mit FM Logo schlucken den Schall, damit es nicht hallt. Claudia Formella hebt die Hand, zeigt drei, dann zwei dann einen Finger, das rote Licht am Mikro springt an und BigFM Night Talk ist on Air.
Jeden Sonntag von 22.30 Uhr bis Mitternacht wird die Kirchensendung ausgestrahlt. Dann hat Moderatorin Claudia Formella abwechselnd einen katholischen oder evangelischen Seelsorger zu Gast. Zusammen sprechen sie mit Hörern über ein vorgegebenes Thema. Die Seelsorger kommen aus dem Großraum Mannheim und wechseln sich ab. Am 23. Juni ist Joachim Lauer aus Harthausen für die katholische Kirche am Start. Er ist mit einer halben Stelle als Pastoralreferent in der Pfarrei Heilige Hildegard Dudenhofen tätig. Die zweite halbe Stelle ist in der neu gegründeten Abteilung Innovation und Transformation verortet, die zum Ziel hat, andere Formen von Kirche zu entwickeln. „Wir überlegen uns, wie wir unterwegs sein wollen, dass wir auch in Zukunft als Kirche noch relevant sind und wie wir das Evangelium zeitgemäß verkünden können“, erklärt er. Sein Einsatz als Seelsorger im Radio rührt zwar nicht direkt daher, passt aber eigentlich ganz gut in dieses Betätigungsfeld. Im Frühjahr 2023 war Joachim Lauer zum ersten Mal im „Night Talk“ zu hören. Aus den ursprünglich mal angedachten zwei bis drei Einsätzen im Jahr sind deutlich mehr geworden.
Zweimal im Jahr werden die Themen in Moderationskonferenzen besprochen und geplant. Dieses Mal geht es um „Let it be – Loslassen“, denn der 23. Juni ist „Tag des Loslassens“. Vorbereiten auf ein Thema könne man sich nur bedingt, erklärt er, denn man wisse im Vorfeld ja nicht, was den Zuhörern vor dem Radio dazu auf dem Herzen liegt. „Hier könnte es um Tod oder Verlassen werden gehen“, mutmaßt er kurz vor der Sendung. „Mir geht es darum, den Leuten zu vermitteln: Hier ist einer, der hört Euch zu.“ Hörern, die sich gerade in einer schwierigen Situation befinden, was angesichts des heutigen Themas durchaus denkbar ist, möchte er eine Idee vermitteln, wie es weiter gehen kann. Doch weder er noch Claudia Formella wissen, welche Richtung die Gespräche in der Sendung nehmen werden, die gerade beginnt. Die Moderatorin stellt das Thema vor, fragt Joachim Lauer, was ihm denn dazu einfällt. Loslassen könne man zum Beispiel Dinge, die man im Kopf hat, das sei sehr entspannend, schlägt Joachim Lauer vor. Claudia Formella stellt Überlegungen an, warum manche Menschen Angst haben, etwas loszulassen und andere das ganz gut schaffen. Die beiden erzählen auch von ihren eigenen Erfahrungen. Joachim Lauer, der alles aufhebt, weil man es ja vielleicht noch einmal brauchen könnte. Claudia Formella, die sich nicht von Lieblingsstücken aus dem Kleiderschrank trennen kann, obwohl sie längst nicht mehr passen, und die sich fragt, was sie mit den großen Fotokalendern machen soll, die sie jedes Jahr von „Schatzi“ geschenkt bekommt.
Der Anfang ist gemacht, jetzt läuft Musik, Formella und Lauer nehmen die Kopfhörer ab und warten, was sich tut. In der Zwischenzeit nimmt Silian Bozkurt draußen vor dem Studio die ersten Anrufe entgegen. Seine Aufgabe ist es, kurze Infos über den Anrufer auf den Bildschirm ins Studio zu schicken und Anrufer auszusortieren, die es nicht ernst meinen. Viele der Anrufer sind Stammhörer, die schon zur „Night Talk Familie“ gehören. Während die Musik im Hintergrund läuft – die Playlist ist vorgegeben und kann nicht verändert werden – spricht Claudia Formella mit ihnen, lässt sich kurz schildern, was sie sagen möchten und nimmt sie dann auf Sendung.
Martina ist eine dieser Stammhörerin. „Mir fällt es leicht, loszulassen“, erklärt sie und empfiehlt auch Claudia Formella, sich von Dingen zu trennen, die sie nicht mehr braucht. „Lieber langsam anfangen, loszulassen, als später auf einmal alles wegwerfen zu müssen“, ist ihr Rat. Denn das hat sie bei einer Nachbarin erlebt und das sei furchtbar gewesen. Joachim Lauer will wissen, wie sie sich denn von den Dingen, die sie ins Sozialkaufhaus gibt, verabschiedet. Martina erzählt von schönem Geschirr, das sie gewaschen und in einen Korb gestellt hat. „Ich habe gesagt, du hast mir gute Dienste geleistet, jetzt kann sich ein anderer freuen.“ Von ihren Kalendern könne sich Claudia ruhig trennen, rät Martina weiter, denn die schönen Erlebnisse würden in ihrer Erinnerung weiterleben.
Hörerin Niusha erzählt im Gespräch mit Joachim Lauer, wie wichtig sie es findet, auch immaterielle Dinge loszulassen, mit belastenden Situationen aus der Vergangenheit abzuschließen. Man könne mit Freunden darüber reden, aber letztlich müsse man es mit sich selbst ausmachen, stellt sie fest. Sie nehme das Gute mit und lasse das Negative los. „Man kann das trainieren. Man muss es angehen, Verdrängen hilft nicht“, weiß sie. Manchmal helfe es auch, umzuprogrammieren. Sie erzählt von einem Song, bei dem immer negative Gefühle in ihr hoch kamen. Ihr Mann sei mit ihr zu einem wunderschönen Tulpenfeld gefahren, habe das Lied abgespielt, das seit dem positive Gefühle bei ihr auslöst.
Joachim Lauer und Claudia Formella sprechen noch mit weiteren Hörern. Die Sendung vergeht wie im Flug. Sie ist anders gelaufen, als sie vermutet haben. Krisensituationen sind nicht zur Sprache gekommen, stattdessen gab es wertvolle Ratschläge an die Moderatoren. Die beiden sind zufrieden und freuen sich auf das nächste Mal. Joachim Lauer ist im Oktober wieder an der Reihe.(Christine Kraus)