Donnerstag, 18. November 2010
Streit um Kirchenfinanzen
Kritiker reiben sich an „Privilegien“ während Bischöfe von einer Kampagne sprechen
Die Gelegenheit ist günstig: Bund, Länder und Gemeinden sitzen auf Schuldenbergen und stehen vor einschneidenden Sparmaßnahmen. Gleichzeitig weht den Kirchen durch den Missbrauchsskandal und die Säkularisierung in der öffentlichen Meinung ein scharfer Wind ins Gesicht. Schon im Sommer hatten insbesondere FDP-Politiker deshalb eine Diskussion über historisch bedingte Staatsleistungen entfacht. Am 15. November forderte jetzt auch der neu gegründete Koordinierungsrat säkularer Organisationen (KORSO) die Streichung dieser Leistungen, die auf rund 460 Millionen Euro jährlich geschätzt werden.
Argumentationshilfe bekommt KORSO von einem gleichzeitig vorgestellten „Violettbuch Kirchenfinanzen“. In ihm wirft der bekennende Atheist Carsten Frerk Katholiken und Protestanten vor, sie hätten vom Staat massive Privilegien ergattert und lebten zu einem hohen Anteil von staatlichen Geldern. Die Kirchen erhielten jährlich rund 19 Milliarden Euro vom Staat, mehr als das Doppelte der eigenen Kirchensteuer.
Die Deutsche Bischofskonferenz sprach am 15. November von einer Kampagne. „Die katholische Kirche finanziert sich ganz überwiegend aus der Kirchensteuer“, heißt es darin. Weil der Staat aber auf Werteeinstellungen und Grundhaltungen seiner Bürger angewiesen sei, liege es in seinem Interesse, solche Kräfte zu stärken, die Überzeugungen und Wertebindungen vermitteln.
Dass die Kirchen Privilegien im finanziellen Bereich genössen, weist die Bischofskonferenz ebenso wie die evangelische Kirche zurück. Als „Körperschaften öffentlichen Rechts“ seien die katholischen Bistümer ebenso wie Industrie- und Handelskammern, Gemeinden oder der Bund für Geistesfreiheit in Bayern von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit. Dass der Staat die Kirchensteuer einzieht, bringe auch ihm finanzielle Vorteile und reduziere die Kosten der Finanzverwaltung, heißt es weiter. „Die Kirche zahlt dem Staat im Gegenzug zwischen zwei und vier Prozent des Steueraufkommens.“
Auch beim Thema Subventionen weisen Bischofskonferenz und Caritasverband eine Privilegierung zurück: Viele soziale Dienstleistungen, etwa bei Kindertagesstätten oder Hilfen für Obdachlose, könnten nur mit Hilfe eines kirchlichen Eigenanteils durchgeführt werden. Zudem mobilisierten die Kirchen ehrenamtliche Arbeit und Spenden. „Diese Leistungen entlasten den Staat erheblich und stellen eine beachtliche Leistung dar.“
Was die von KORSO angeprangerten historisch bedingten Staatsleistungen angeht, haben beide Kirchen in den vergangenen Monaten Gesprächsbereitschaft signalisiert. „Darüber können wir gerne reden“, sagte beispielsweise der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider. Die Staatsleistungen seien aber keine Almosen, sie seien gesetzlich geregelt.
Hinweis: Auf ihrer Homepage (www.dbk.de/themen/kirchenfinanzierung) hat die Bischofskonferenz ein umfangreiches Thesenpapier zum Thema Kirche und Geld veröffentlicht.
Stichwort: Kirchenfinanzierung
In Deutschland haben die Kirchen das von der Verfassung gesicherte Recht, von ihren Mitgliedern Kirchensteuern zu erheben. Die Steuer ist die wichtigste Finanzquelle zur Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben. Die Höhe richtet sich in der Regel nach der Einkommenssteuer. Im Jahr 2009 betrug das Kirchensteueraufkommen der katholischen Kirche in Deutschland 4,9 Milliarden Euro, das der evangelischen Kirche 4,4 Milliarden Euro. Die Kirchensteuer wird aus Kostengründen vom Staat eingezogen; er erhält für diesen Dienst zwei bis vier Prozent des Aufkommens.
Neben den Kirchensteuern beziehen die Kirchen Finanzleistungen des Staates, die teilweise historische Wurzeln haben. Sogenannte altrechtliche Staatsleistungen umfassen unter anderem Pauschalen für die Gehälter von Bischöfen und Domherren. Davon zu unterscheiden sind freiwillige Fördermaßnahmen, zu denen etwa Zuschüsse im Alten-, Sozial- und Jugendbereich sowie des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen gehören.