Redaktion der pilger

Donnerstag, 25. April 2024

In Deutschlands Dschungel

Ein Dschungel in weiß und grün: In der ausgedehnten Hördter Rheinaue in der Südpfalz blüht nun der Bärlauch. (Foto: der pilger/hm)

Die wenigen natürlichen Auwälder sind Horte der Artenvielfalt

Sie halten das Grundwasser sauber, nehmen Hochwasser auf, speichern Treibhausgase und bieten Lebensraum für seltene Arten: Auwälder haben wichtige Funktionen im Ökosystem. Und die verwunschenen Landschaften sind auch einfach schön – besonders jetzt im Frühling.

Zwischen den Flussarmen des Altrheins duftet der Bärlauch, der Eisvogel jagt, Hirschkäfer vermehren sich im Totholz der Eichen und der Drosselrohrsänger füttert im Röhricht bald Kuckucks Kinder. Im Sommer quaken Grünfrösche, Libellen und Schmetterlinge fliegen, Orchideen erblühen. Im hessischen Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblauchsaue kann sich der Auwald ohne forstlichen Einfluss entwickeln, teils schon seit Jahrzehnten. Am Altrhein kam es in den 1980ern zu einem Dammbruch, der sich als Segen für den angrenzenden Auwald erwiesen hat.

„Aue“, abgeleitet vom lateinischen Wort „Aqua“ (Wasser), meint „Wässriges“. Auwälder sind Überschwemmungswälder und brauchen zu- und abfließendes Flusswasser. Sie filtern das schlammige Wasser und halten Nährstoffe zurück, binden Kohlenstoff, puffern Hochwasser ab, indem sie es aufnehmen. Sie bieten vielfältige ökologische Nischen für Vögel wie Blaukehlchen und Beutelmeise, auch Laichgründe für Amphibien. Auenwälder sind selbst amphibische Landschaften zwischen Land und Wasser, mit Lianen wie Hopfen und Waldrebe.

Flora und Fauna verändern sich
Doch auch die vielfältige Lebenswelt des Altrhein-Dschungels nordöstlich von Worms verändert sich mit der Klimaerwärmung. „Die Bienenfresser haben sich vermehrt, auch die mediterrane Gottesanbeterin. Dafür gibt es weniger Schwarzmilane, weil mehr Uhus brüten, nämlich acht bis zehn Paare, die es auf junge Greifvögel abgesehen haben“, erklärt Ralph Baumgärtel, Leiter des dortigen Umweltbildungszentrums. „Unser Arten-Inventar ändert sich, aber Tigermücken sind bei uns noch nicht nachgewiesen“, sagt er. Die Esche, der häufigste Baum der höher gelegenen und daher wasserärmeren Hartholz-Auen, fällt zu fast hundert Prozent aus, denn die Eschentriebe sterben an einem asiatischen Pilz.
Auch in der Hartholzaue von Leipzig, einer der größten in Europa, sterben die Eschen. Dafür wachsen junge Ulmen, ältere sind von einem anderen Pilz befallen. Von den standorttypischen Bäumen gehe es aber den Eichen am schlechtesten, erklärt René Sievert vom Regionalverband Leipzig des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu): „Die Dürre vergangener Jahre hat ihnen zugesetzt. Auch Borkenkäfer haben sie befallen.“ Der Erhaltungszustand des Auwaldes sei schlecht. Er trockne immer mehr aus. Deshalb setzt sich der Nabu für eine Revitalisierung des Leipziger Auwaldes ein, der sich vom Süden in den Nordwesten der Stadt zieht und früher regelmäßig von den Flüssen Pleiße, Weiße Elster und Luppe überflutet wurde. Mittlerweile wurde damit begonnen, Deiche zu schlitzen, die südliche Aue wurde auf diese Weise geflutet, wie Sievert erklärt. „Für eine Revitalisierung müssen wir die Deiche abtragen“, sagt Sievert.

Deutschlandweit existiert nur noch ein Drittel der ursprünglichen Auwälder. Und nur noch ein Prozent davon ist nach einer Schätzung des Bundesamts für Naturschutz als „natürlich“ zu bezeichnen.

Gerade Flüsse für die Schiffe
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden Flüsse im Dienst des Schiffsverkehrs begradigt. Bauingenieur Johann Gottfried Tulla hatte beispielsweise schon 1817 die Regulierung des Oberrheins eingeleitet. Der schneller fließende Fluss vertieft sein Bett und entzieht damit den Auen das lebensnotwendige Wasser.

Barbara Stammel, Vegetationsökologin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Professorin für biologische Vielfalt an der Uni Erfurt, kennt noch intakte Auwälder an der Elbe bei Dessau und an der Donau bei Neuburg, wo sie an einem Flutungsprojekt mitwirkt. Will man die Auen renaturieren, um ihre Ökosystemleistung zu erhalten, ist das Konfliktpotenzial hoch. Bauern beispielsweise müssten Grund und Boden abgeben. „Aber warum sollen die Landwirte für die Gesellschaft zahlen?“, fragt Stammel und gibt sogleich die Antwort: „Das ist nur mit finanzieller Entschädigung möglich.“ Viele Interessen müssten zusammen gebracht werden. Deshalb dauere eine Renaturierung so lange. (Claudia Schülke/epd)

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