Freitag, 13. August 2010
Nicht zu Lasten der Benachteiligten
Kirchen mischen sich in die Debatte um den Umbau des Hartz-IV-Systems ein
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, fordert, höhere Hartz-IV-Sätze notfalls durch neue Schulden zu finanzieren. „Zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist, soweit erforderlich, eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Haushalte zu verantworten“, sagte der Freiburger Erzbischof in einem Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. Zunächst müsse aber versucht werden, an anderer Stelle zu sparen, ohne dass es zu sozialen Verwerfungen komme.
Beide Kirchen haben sich in die Debatte um den Umbau des Hartz-Systems eingemischt. Zollitsch und der evangelische württembergische Landesbischof Frank Otfried July forderten in Medienberichten die Bundesregierung auf, die Sätze für Langzeitarbeitslose spürbar zu erhöhen. Zollitsch verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die bisherigen Regelsätze im Februar für verfassungswidrig erklärte. „Ich warne vor sozialem Kahlschlag und fordere soziale Ausgewogenheit“, betonte er. Eine Anhebung des Regelsatzes sei ein wichtiger Schritt für ein menschenwürdiges Leben. July plädierte unter Berufung auf Experten der Diakonie dafür, die monatlichen Geldleistungen für Langzeitarbeitslose um 20 Prozent auf mehr als 400 Euro anzuheben. Um eine Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen, müssten die Hartz-IV-Sätze nach oben angepasst werden, sagte der evangelische Landesbischof.
Außerdem kritisierten beide Bischöfe die von Ursula von der Leyen geplanten Gutscheine für Kinder von Langzeitarbeitslosen. „Die soziale Ausgrenzung darf nicht noch verschärft werden“, sagte July. Alternativ schlug er vor, ein generelles Chipkartensystem für alle Kinder einzuführen, das Zugang zu Bildungsangeboten ermöglicht.
Die Regelsätze für Kinder müssten angehoben werden – das fordert auch der Deutsche Caritasverband. Dies sei logische Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsicherung. Der Deutsche Caritasverband hat die Kinderregelsätze entsprechend den vom Gericht aufgestellten Grundsätzen berechnet. Danach müssten die sie je nach Altersgruppe um 21 bis 42 Euro pro Monat erhöht werden. „Arme Familien brauchen eine bedarfsgerecht ermittelte Geldleistung mit Selbstbestimmung“, so Caritas-Generalsekretär Georg Cremer.
Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ingrid Fischbach (CDU), hält nichts davon, für höhere Hartz-IV-Sätze weitere Schulden zu machen. Mit Blick auf nachfolgende Generationen wäre dies „unchristlich“, sagte Fischbach der in Würzburg erscheinenden „Tagespost“.
Auch der Verband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung (KKV) wies den Schulden-Vorschlag von Erzbischof Zollitsch zurück. „Das ist ganz sicher der falsche Weg“, sagte der KKV-Bundesvorsitzende Bernd M. Wehner in Essen. Die sozialen Probleme von heute könnten nicht auf Kosten der künftigen Generationen gelöst werden. Wenn schon höhere Zahlungen erforderlich seien, dann müssten sie an anderen Stellen im Haushalt eingespart werden. Die Rücknahme der Kürzung der Mehrwertsteuer für Hotels sei nur eine von vielen Möglichkeiten.
Bildungsministerin Schavan verteidigte die Idee der Bildungsgutscheine. Mit dem Vorschlag reagiere man auf die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer besseren Bildungsteilhabe für diese Kinder. Zugleich sollten auch Bildungschancen all der benachteiligten Kinder verbessert werden, deren Eltern nicht Hartz IV beziehen. Dabei sei an lokale Bildungsbündnisse gedacht, die die Sorgen und Nöte vor Ort kennen und darauf reagieren können. Schavan deutete weiter an, dass die Regierung an einem Konzept arbeite, wonach die Bildungsgutscheine nicht auf die Regelsätze für Kinder angerechnet werden sollen. (kna/Rdaktion)