Sonntag, 01. Oktober 2023
„Häuser der Stille im Getriebe der Welt“
Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann predigt zum 962. Jahrestag der Weihe der romanischen Kathedrale in Speyer
Speyer. Aus Anlass des 962. Jahrestages der Domweihe feierte Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann am Sonntag, 1. Oktober, im Speyerer Dom ein festliches Pontifikalamt. Der Gottesdienst wurde zeitgleich auf den Social Media Kanälen von Bistum, Dom und Dommusik übertragen. Im Zentrum der Predigt stand die Betrachtung der Bedeutung von Stille als Voraussetzung für die Möglichkeit, zu sich selbst zu kommen und andere Menschen wahrzunehmen. Den Dom würdigte der Bischof als „großen Zeuge des Glaubens, der uns zusammenruft“.
In seiner Begrüßung wandte sich Bischof Wiesemann an die Gläubigen, welche den Gottesdienst im Dom oder an den Bildschirmen mitfeierten. Seine Predigt begann er mit dem Hinweis auf die an diesem Tag in Rom beginnenden Weltsynode. In einer ökumenischen Vigilfeier am Abend zuvor habe Papst Franziskus auf die Bedeutung der Stille hingewiesen, welche die Voraussetzung für die Fruchtbarkeit einer solchen Versammlung sei. Der Papst benannte die Stille als etwas Wesentliches, dass zu unserem Christsein gehöre. Darin enthalten sei das Hören auf Gott, nicht auf das Geschwätz umher. Bischof Wiesemann stellte die Frage, ob damit die kritischen Stimmen innerhalb der Kirche in eine Grabesstille zurückverwiesen werden sollten. Aus seiner Sicht sei dies jedoch weder gemeint noch könne es gewollt sein. Stille sei ganz im Gegenteil die Voraussetzung für die Wahrnehmung des anderen. Jeder kenne Situationen, in denen man in nächtlicher Stille auf einmal sensibel werde für ganz neue Geräusche. Erst aus der Stille könnten Klang und auch das Wort erwachsen. In einer laut und unzufrieden gewordenen Gesellschaft werde das Hören aufeinander immer mehr zur Herausforderung, so der Bischof. Ganz frei aufeinander hören zu können sei jedoch notwendig, damit Dialog möglich werde. „Resonanzen hört man nur in Räumen der Stille“, sagte Wiesemann. „In der wirklichen Stille wird alles erst hörbar“ - und werde auch der wahrgenommen, der sonst überhört bleibe und keine laute Lobby habe.
Stille sei jedoch auch die Voraussetzung für das Wahrnehmen des eigenen Selbst, sagte Bischof Wiesemann in seiner Predigt. Als Beispiel nannte er die Schilderung des französischen Geschäftsmannes Philippe Pozzo di Borgo, der nach einem Unfall ins Koma fiel. Bekannt geworden war sein Schicksal durch den Kinofilm „Ziemlich beste Freunde“, der von der Freundschaft des Geschäftsmannes mit seinem algerischen Pfleger Abdel Yasmin Sellou erzählt. In seiner Autobiografie schildert di Borgo, wie er aus dem Koma aufwacht und in eine unglaubliche Stille hineinkommt. In dieser Stille sei er radikal zu sich selbst gekommen und sei am Ende zu dem Kind geworden, als das er auf die Welt gekommen sei. In dieser innersten Einsamkeit des Ichs entdecke man das Kind wieder, das man von Anfang an ist, sagte Bischof Wiesemann. In der Erkenntnis, dass wir Kinder Gottes sein dürfen, liege eine tiefe Gemeinsamkeit. Und in der Besinnung auf das nackte Dasein erwachse die Fähigkeit zur Empathie und einem tiefen Gefühl der Liebe zu anderen. Dieses Empfinden sei nicht an soziale Bande oder weltanschauliche Gemeinsamkeiten geknüpft und befähige daher zum Mitfühlen auch ganz fremder Schicksale. Daher seien Kirche als Räume der Stille so wichtig.
Ein Hinweis auf die Bedeutung der Stille entnahm der Bischof einer Schriftlesung dieser Woche aus dem Propheten Haggai. Dieser sagt zu den Menschen, die nach dem Exil ihr Leben wiederaufbauen: Merkt ihr nicht, wie es euch ergeht? Ihr arbeitet bis zum Umfallen, ihr werdet immer abgehetzter, immer lauter und findet nicht mehr in die Gemeinschaft. Der Prophet erinnert an das Fehlen eines Ortes, wo die Menschen inmitten des Getriebes zu sich selbst kommen können, das Fehlen des Tempels. Für Bischof Wiesemann meint das das Fehlen eines Hauses für Stille im Getriebe der Welt, „die Stille, in der Gott im heiligen Haus wohnt“. Diese Möglichkeit zur Stille sei jedoch von eminenter Wichtigkeit.
In seinen Schlussworten bat Bischof Wiesemann die Gläubigen um das Gebet für die Synode, „damit aus der Stille Frucht wachsen kann“. Er wünsche sich die Synode als einen Ort, wo man aufeinander höre, aber auch mutig Positionen aus aller Welt hinausrufe. In diesem Zusammenhang erinnerte er an Weihbischof Ernst Gutting, dessen Todestag sich am Tag der Domweihe zum zehnten Mal jährte. Er würdigte Guttings mutiges Glaubenszeugnis und seinen besonderen Einsatz für die Frauen in der Kirche.
Die musikalische Gestaltung des 962. Domweihfestes übernahm die Capella Spirensis der Dommusik Speyer unter der Leitung von Domkapellmeister Markus Melchiori. Es erklang unter anderem die „Mass for five voices“ des englischen Renaissance-Komponisten William Byrd, der vor 400 Jahren starb. Ebenso kamen die Motette „Domine Deus in simplicitate“ von Giovanni Pierluigi da Palestrina und Werke der Gregorianik zu Gehör. Die Orgel spielte Domorganist Markus Eichenlaub.
Als weiteren Gottesdienst feierte Bischof Wiesemann am Festtag der Domweihe um 16:30 Uhr eine Pontifikalvesper im Dom. In diesem Gottesdienst wurde Thomas Ott als neuer Domvikar in sein Amt eingeführt. Musikalisch wurde die Vesper von der Schola Cantorum Saliensis unter der Leitung von Christoph Keggenhoff und von Domorganist Markus Eichenlaub gestaltet.
Text: Domkapitel Speyer, Foto: Klaus Landry
Diese Meldung und weitere Nachrichten des Bistums wurde veröffentlicht auf der Internetseite www.dom-zu-speyer.de