Liturgisches Jahrbuch 2/2019
Inhalt der Ausgabe 2/2019
Editorial
ZU DIESEM HEFT
Stefan Gärtner
Liturgische Räume als historische Lernorte – am Beispiel der niederländischen Kirchengeschichte der Neuzeit
Philipp Weiß
Anglikanische Liturgie – zwischen Reformation und Reaktion? Wie die Kirche von England mit Rom brach und eine Via media einschlug
Martin Fischer
Liturgie und Sprache. Bericht über die AKL-Junior-Tagung vom 14. bis 17. Februar 2019 in Freiburg i. Breisgau
Buchbesprechungen
Editorial 2/2019: ZU DIESEM HEFT
Dass der Gottesdienst der Kirche einem steten Wandel unterworfen ist und immer wieder der Erneuerung und auch der Reform bedarf, ist eine Binsenweisheit. Sie erweist sich unter denen gegenwärtigen Herausforderungen der Kirche in unserer Gesellschaft einmal mehr als berechtigt. Man muss dazu nicht erst auf die aktuellen, vor allem für die Opfer schmerzhaften Ereignisse und Skandale der verschiedenen Formen von Missbrauch in der Kirche aufmerksam machen und auf den „Klerikalismus“ als zugrundeliegendes strukturelles Problem verweisen. Längst sind darüber hinaus tiefgreifende Entwicklungen einzubeziehen, die die unausweichlichen Veränderungen für die Kirche und damit auch für ihren Gottesdienst anzeigen. Die kürzlich veröffentlichte Studie von Wirtschafts- und Finanzfachleuten der Universität Freiburg geht davon aus, dass beide großen christlichen Kirchen in den nächsten 40 Jahren nachhaltig Mitglieder verlieren. So werde sich die Zahl im Jahre 2060 um rund die Hälfte verringern, von heute 44,8 auf 22,7 Millionen Christen. Hinzu kommen weiter nachlassende Kirchenbindungen, veränderte Glaubenseinstellungen, Zweifel an einem Reformwillen der Kirche, Unverständnis gegenüber pastoralen Neustrukturierungen und anderes mehr.
Es kann kein Zweifel bestehen, dass sich die angedeuteten Wandlungen auch auf die Feier der Liturgie auswirken und weiter auswirken werden. Ein Symptom zeigt sich in fast allen Diözesen bei der Frage, welche Kirchbauten weiterhin Orte der gemeindlichen Versammlung zum Gottesdienst bleiben können und sollen. In nicht wenigen Gemeinden regt sich verständlicherweise Widerstand, wenn Bistumsleitungen entscheiden, eine Kirche zu schließen und sie zu profanieren. In zum Teil sehr kreativen Lösungen suchen manche Verantwortliche die Schließung und Umnutzung ihrer Kirche zu verhindern. Dennoch werden weiterhin Kirchbauten nicht mehr für den Gottesdienst zur Verfügung stehen. Und man darf annehmen, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen wird.
Bekanntlich sind diese Prozesse in den Niederlanden schon weit vorangeschritten. Hier hat es in den vergangenen zwanzig Jahren, so Paul Post, geradezu einen „wahren Kahlschlag“1 in der Schließung und Umnutzung von Kirchen gegeben. Wie geht man mit diesen Entwicklungen in unserem Nachbarland um? Gibt es unter den veränderten Bedingungen Möglichkeiten, dass Kirchbauten weiterhin sichtbare Zeichen der Christentumsgeschichte bleiben können? Stefan Gärtner, Assistant Professor für Praktische Theologie an der Universität Tilburg, wirbt im ersten Beitrag dieses Heftes dafür, Kirchen als „liturgie- und kirchengeschichtliche Lernorte“ zu verstehen und in ihnen Zugänge zur Geschichte der Liturgie zu entdecken. Er wählt exemplarisch Kirchbauten aus der Zeit vom 17. bis zum 20. Jahrhundert aus und zeigt an ihnen, wie sich hier paradigmatisch Kirchen- und Liturgiegeschichte des niederländischen Katholizismus ablesen lässt. Die Beispiele zeugen von der bleibenden Wertschätzung und Weiternutzung von Kirchen ebenso wie vom Wandel des gottesdienstlichen Raumes und seiner neuen Gestalt.
Wie unter den massiven geistesgeschichtlichen Veränderungen, die mit den reformatorischen Ideen im 16. Jahrhundert zutage traten, Gottesdienst erneuert wurde, stellt Philipp Weiß, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Liturgiewissenschaft der Universität Bonn, dar. Er geht den historischen Entwicklungen in England im Reformationszeitalter nach und beleuchtet die Reform der anglikanischen Liturgie, die stets eng mit den politischen und sozialen Veränderungen einherging. So kann er deutlich machen, dass die Reformation in England vor allem national bestimmt war und damit zu einer erneuerten Liturgie führte, die einen Mittelweg einschlug zwischen Katholizismus und Protestantismus.
Fragen der Reform berühren auch die sprachlichen Dimensionen des Gottesdienstes. Schon das sich stets wandelnde Sprachempfinden muss Auswirkungen auf die volkssprachliche Gestalt der Liturgie haben. Biblisch geprägte Sprache, nonverbale Sprache, sprachtheoretische Modelle, Übersetzungsprinzipien und andere Fragen standen denn auch im Zentrum der diesjährigen Tagung der AKL-Junior, über die, das Heft beschließend, Martin Fischer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Universität München, berichtet.
1 Hier zit. nach Stefan Gärtner, Liturgische Räume als historische Lernorte – am Beispiel der niederländischen Kirchengeschichte der Neuzeit, in diesem Heft (65–82, hier 79).