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Das Licht als eine Wirklichkeit dieser Welt sichtbar, geradezu physisch erlebbar zu machen, war das große Thema seiner Kunst. Der Krefelder Künstler Adolf Luther wurde in den 1960er und 70er Jahren durch seine Glas- und Hohlspiegelobjekte sowie seine großen Architektur-Integrationen unter anderem in München (Olympiastadion), Rom (Goethe-Institut), Berlin (ICC), Düsseldorf (Tonhalle) international berühmt. Er gehörte zusammen mit den Künstlern der Düsseldorfer Zero-Gruppe zu einer europäischen Avantgardebewegung, die traditionelle Bildformen über Bord warf und mit neuen Techniken, Materialien und Themen wie Licht, Raum und Bewegung die Kunst revolutionierte. Seine Kunst war Vorbild für die gegenwärtige Lichtkunst.
Adolf Luther wurde am 25.4.1912 in Uerdingen (heute Stadt Krefeld) als Ältester von fünf Söhnen des Ehepaars Karl Luther (geboren 1880) und Elisabeth Luther, geborene Kremer (geboren 1885), geboren. 1914 zog die Familie nach Essen-Karnap. Die Eltern des Künstlers waren katholisch. Sie hatten beide einen praktischen Beruf erlernt, der Vater war Drogist in Uerdingen, die Mutter hatte eine Ausbildung als Köchin in einem renommierten Bonner Hotel absolviert. Beide wünschten, dass ihr Sohn einen soliden Beruf ergriffe. Er sollte zunächst Architekt werden, weil er so gut zeichnen konnte; schon als Vierjähriger konnte Luther ein Schiff perspektivisch zeichnen.
1928, im Alter von 16 Jahren verließ er mit dem Zeugnis der mittleren Reife die Schule, absolviert eine Lehrzeit zunächst in einem Architekturbüro, das jedoch in Folge der Rezession der Weltwirtschaftskrise schließen musste. Luther machte daraufhin eine Lehre in der Stadtverwaltung Essen, wo er es bis zum Stadtinspektor brachte. In dieser Zeit widmete er sich mit großem Interesse der Musik und entschloss sich 1935, auf dem Witte-Konservatorium in Essen Musik zu studieren. Mit dem Ziel Komponist zu werden, belegte er die Fächer Violine und Klavier, gab das Studium aber nach einiger Zeit wieder auf. „Ich war nicht besonders gut“, erzählte er rückblickend und zog die Konsequenz daraus. Er bewarb sich in Berlin um eine Sonderprüfung zur Erlangung der Hochschulreife und besuchte seit 1938 an der Universität Köln die Vorlesungen im Fach Jura.. Ein Jahr später brach der Zweite Weltkrieg aus und Luther wurde als Soldat an die Westfront nach Frankreich geschickt, zunächst auf die Kanalinseln Alderney und Guernsey, dann nach Paris. Er nahm einen Miniaturmalkasten und einen Zeichenblock mit und übte sich in seiner freien Zeit im Naturstudium. Beim Aquarellieren vor der Natur stieß er auf das Phänomen des Lichts und das Problem seiner bildnerischen Repräsentation. Luther verband mit dieser Naturerscheinung – die wir überall an der Küste beobachten können - so etwas wie ein Schlüsselerlebnis.„Ich ahnte hier“- so beschreibt er rückblickend, „zwei Qualitäten des Lichts, das aufgetroffene sichtbare und das unsichtbare Licht", das er als Bestandteil einer anderen Wirklichkeit vermutete, einer Wirklichkeit, die jenseits der sichtbaren, materiellen Welt existiert.
Während der Zeit auf Alderney, noch bevor er nach Paris abberufen wurde, konnte Luther noch einen mehrmonatigen Sonderurlaub einlegen, um in Bonn sein erstes juristisches Staatsexamen abzulegen. In Bonn wurde er auch 1943 zum Dr. jur. promoviert. Nach kurzer amerikanischen Gefangenschaft kehrte er nach dem Krieg nach Krefeld zurück. 1947 folgte das Referendariat beim Oberlandesgericht Düsseldorf. Von 1949 bis 1956 war er als Verwaltungsbeamter am Stadtrechtsamt der Stadt Krefeld tätig. Im Jahr 1956 wechselte er als Verwaltungsrichter zunächst nach Minden, nach einem halben Jahr an das Verwaltungsgericht Düsseldorf. In seiner freien Zeit malte er.
Mit schwarzen, pastosen „Materiebildern“, auf deren Oberfläche Licht in den reliefhaften Strukturen sichtbar wurde, gelang Luther Ende der 1950er Jahre der Einstieg in die Kunstszene. 1960 erhielt er seine erste Einzelausstellung in der Studiogalerie des Kaiser Wilhelm Museum Krefeld und in der Drian Gallery in London. Der 48-Jährige hatte inzwischen seinen Richterberuf (Ende 1957) aufgegeben, was seine künstlerische Entwicklung entscheidend vorantrieb. Sein künstlerisches Ziel war es, Licht mit den Mitteln der Kunst sichtbar zu machen.
Auf dem Wege verschiedener Entmaterialisierungsverfahren wie dem Zerschlagen von Glas hat Luther ein optimales Medium für das Licht gefunden. Glasbruchstücke und Scherben, zwischen zwei intakte Glasscheiben gefüllt und vor das Fenster gestellt, ließen Strahlung, Brechung und Reflexion des Lichts sichtbar werden. Aus dem Akt der Zerstörung ist eine neue Kunst hervorgegangen. Zu den „Lichtschleusen“ (1962) aus kaputtem Glas kamen später geschliffene Linsen, optisch hochwertige Materialien wie 1964 die Verwendung von Hohlspiegeln hinzu. Die Hohlspiegel ermöglichten ihm weitere Erkenntnisse über die Eigenschaften des Lichtes zu gewinnen. Durch die serielle Anordnung ihrer optischen Elemente wird das in der Physik bekannte Prinzip wirksam, dass sich die in den Hohlspiegeln einfallenden Bilder brechen und wieder nach vorn in den Raum projiziert werden, wo sie infolgedessen auf dem Kopf stehen als eine rein energetische Erscheinung im Raum. Es ist ein irritierend-faszinierendes Seh-Erlebnis für den Betrachter. Hier erscheint das materielle Bild transformiert in die reine Immaterialität projizierter, virtueller Vor-Bilder, die als lichthafte Phänomentalität im Raum sichtbar werden. 1969 erhält der Künstler im Museum Morsbroich in Leverkusen seine erste umfassende Museumsausstellung, wo neben seinen Glas-und Spiegelobjekten auch sein eindrucksvolles Environment der „Focussierende Raum" (1968) gezeigt wurde. Einzelausstellungen in renommierten Museen wie dem Essener Folkwangmuseum (1971), der Kunsthalle Basel (1973) der Kunsthalle Düsseldorf 1974, im Krefelder Museum Haus Lange (1977) folgten. Die 70er Jahre waren für den Lichtkünstler Adolf Luther das erfolgreichste Jahrzehnt seiner künstlerischen Karriere.
Dass der Raum nicht leer ist, sondern voller Licht, hat Luther mit seinen Spiegelobjekten beweisen wollen; das bezog sich 1976 dann auch auf den kosmischen Raum. In seinem Mondprojekt wollte er mittels eines Spiegelsatelliten auf den unbeleuchteten Teil des Mondes einen Lichtpunkt setzen, sichtbar für die ganze Welt. Das ursprüngliche Konzept sieht vor, einen Satelliten seitlich in eine Position zum Mond zu bringen, so dass das Sonnenlicht reflektiert und auf die Nachtseite des Mondes projiziert wird. Der kosmische Raum sollte hier als lichterfüllte Realität in Erfahrung gebracht werden. Wissenschaftler von der NASA bestätigten ihm, dass dieser utopische Entwurf durchaus realisierbar sei und es gab Anstrengungen, diese Idee für die Jahrtausendwende zu realisieren. Der finanzielle Aufwand war jedoch zu groß für dieses geplante Festival 2000 und das Projekt wartet bis heute auf seine Realisierung.
Luthers Lichtkonzept stieß seit den späten 1960er und 70er Jahren auch bei der zeitgenössischen Architektur auf großes Interesse. Die Ästhetik der Transparenz und Offenheit integrierte sich kongenial in die gläserne Architekturwelt der Bonner Republik als eine Eigenschaft des demokratischen Bauens. Er erhielt zahlreiche Aufträge für öffentliche Gebäude in der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland. Mit seinen Architekturintegrationen für das Bundeskanzleramt in Bonn, die Deutschen Botschaften in London und Brasilia, das Goethe-Institut in Rom, das Arbeitsamt in Nürnberg, aber auch für die Sparkassen in Wuppertal, Düsseldorf und Krefeld, die Universitäten in Bochum und Eichstätt, ist es ihm gelungen, das Wechselspiel zwischen dem transparenten Raum und der immateriellen Energie des Lichts eindrucksvoll zur Geltung zu bringen. Die Statik und Schwere der Architektur löst sich auf in eine atmosphärische Lichtbewegung. Die Architektur wird kinetisiert. In seiner Heimatstadt Krefeld ist die Linsen-Allee, eine Integration mit sich drehenden Steh-Linsen auf dem Ostwall zu einem Kennzeichen der Stadt geworden.
Dem Künstler wurden zahlreiche Ehrungen zuteil: 1979 verlieh ihm das Land Nordrhein-Westfalen den Professorentitel. 1982 erhielt er in Krefeld die Thorn-Prikker-Medaille, 1989 wurde er mit dem nordrhein-westfälischen Verdienstorden ausgezeichnet und 1990 mit der Ehrenbürgerwürde seiner Heimatstadt Krefeld.
Der zeitlebens unverheiratete Adolf Luther gründete 1989 - kurz seinem Tod am 20.9.1990 in Krefeld - eine private selbstständige Stiftung, in die er seine Werke und seine Sammlung einbrachte. Die Adolf-Luther-Stiftung für konkrete Kunst mit Sitz im ehemaligen Atelier- und Wohnhaus des Künstlers in Krefeld hat die Aufgabe übernommen, sein Werk durch Ausstellungen, Restaurierungen und wissenschaftliche Bearbeitung lebendig zu erhalten.
Literatur (Auswahl)
Adolf Luther. Eine ungewöhnliche Künstlerkarriere, aus Anlaß des 100jährigen Geburtstages, hg. Magdalena Broska, mit Textbeiträgen v. Klaus Honnef, Magdalena Broska u. Gesprächen der Herausgeberin mit Alicja Kwade u. Bernd Peters, Goch 2013.
Broska, Magdalena, Adolf Luther. Eine außergewöhnliche Künstlerkarriere, Goch 2013.
Gillo Dorfles, Adolf Luther, Katalog Galleria Ferrari 55, Verona 1964
Honisch, Dieter (Hg.), Adolf Luther, Licht und Materie. Eine Übersicht über das Lebenswerk mit Selbstzeugnissen des Künstlers, Recklinghausen 1978.
Kataloge
Katalog Adolf Luther - The Fascination of Light, mit einem Textbeitrag von Magdalena Broska, hg, Museum Herakleidon, Athen 2007.
Katalog Adolf Luther, Licht sehen, Kunst-Museum Ahlen, hg. v. Magdalena Broska u. Burkhard Leismann, Bielefeld 1996.
Katalog Adolf Luther und seine Sammlung. Eine Kunst außerhalb des Bildes..., hg. Magdalena Broska, Ostfildern 1993.
Katalog Adolf Luther, Licht + Materie, Retrospektive aus Anlaß des 75. Geburtstages, Kunsthalle Bremen, mit Textbeiträgen von Hugo Borger, Magdalena Broska, Bernhard Decker, Max Imdahl, Dieter Honisch, John Matheson und Siegfried Salzmann, Bremen 1987.
Katalog Adolf Luther, Die Wirklichkeit wahrscheinlicher machen, Werke 1942-1962, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf, mit einem Textbeitrag von Klaus Honnef und einem Gespräch zwischen Adolf Luther und Karl-Heinz Hering, Düsseldorf 1981.
Katalog Luther, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, mit Textbeiträgen von Max Imdahl, Jürgen Harten, John Matheson, Heiner Stachelhaus, Günther Uecker, Düsseldorf 1974.
Katalog Adolf Luther, Licht und Materie, Festschrift zum 60. Geburtstag, hrsg. von Heiner Stachelhaus, Galerie m, Bochum 1972.
Thomas, Karin, Kunst-Praxis heute, Köln 1972.
Katalog Luther, Licht und Materie, Folkwang Museum, Essen 1971 mit Textbeiträgen von Max Imdahl, Dieter Honisch, Adolf Luther, Frank Popper 1971.
Katalog Adolf Luther. 1958 - 1969, Städtisches Museum Schloß Morsbroich, Leverkusen mit Textbeiträgen von Günter Aust, Johannes Cladders, Gillo Dorfles, Adolf Luther, Frank Popper, Günther Uecker, Rolf Wedewer, Leverkusen 1971.
Katalog Adolf Luther, Licht und Materie, Text: Klaus Honnef, Gegenverkehr, Aachen Zentrum für aktuelle Kunst, Katalog 8/70, Aachen 1970.
Katalog Adolf Luther, Halfmannshof Gelsenkirchen mit Textbeiträgen von E.O.Glasmeier und Heiner Stachelhaus, Gelsenkirchen 1965.
Einzelausstellungen (Auswahl)
1960 - Krefeld, Kaiser-Wilhelm-Museum
1960 - London, Drian Gallery
1961 - Aschaffenburg, Galerie 59
1964 - Frankfurt a. M., Galerie Loehr
1965 - Gelsenkirchen, Halfsmannshof
1969 - Leverkusen, Städtisches Museum Schloss Morsbroich
1971 - Brüssel, Palais des Beaux Arts
1971 - Essen, Folkwang-Museum
1974 - Düsseldorf, Kunsthalle
1977 - Krefeld, Museum Haus Lange
1978 - Münster, Kunstverein
1979 - Bottrop, Josef-Albers- Museum
1981 - Düsseldorf, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen
1981 - München, Galerie Hermanns
1991 - Leverkusen, Museum Schloss Morsbroich
2009 - Hagen, Osthaus Museum Hagen, Adolf Luther "Licht sehen"
2010 - Krefeld, Museum Haus Lange, Adolf Luther, "Kunst, Wissenschaft, Technik"
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Broska, Magdalena, Adolf Luther, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/adolf-luther/DE-2086/lido/57c945e628c766.20491740 (abgerufen am 19.08.2024)