Zu den Kapiteln
Der gebürtige Rheinländer Gerhard Fieseler war ein berühmter Kunstflieger und Flugzeugkonstrukteur sowie Gründer und Inhaber der Fieseler Werke in Kassel.
Gerhard Fieseler kam am 15.4.1896 in Glesch (heute Stadt Bergheim) bei Köln zur Welt. Seine Mutter Katharina Fieseler geborene Marx (geboren 1875), gehörte zu den Ortsansässigen, sein Vater August Fieseler (1872-1959), stammte aus Remagen. Sechs Jahre nach Gerhards Geburt zog die Familie nach Bonn. Der Vater besaß dort eine Buchdruckerei, in welcher bereits der junge Fieseler gelegentlich mitarbeitete. Als ältestes von elf Kindern machte er nach Beendigung der Volksschule, der Marienschule an der Heerstraße, im Jahr 1910 eine Ausbildung im elterlichen Betrieb. Die Familie konnte es sich nicht leisten, den Sohn auf ein Gymnasium zu schicken. Fieseler interessierte sich bereits früh für die Fliegerei und las mit großem Interesse alles, was er an Literatur über Piloten und deren Flugversuche auftreiben konnte. Zudem bastelte er bereits mit zwölf Jahren eigene Modellflugzeuge, die er im Bonner Hofgarten fliegen ließ.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 sah sich der Achtzehnjährige seinem Traum, Flieger zu werden, ein Stück näher. Er meldete sich als Freiwilliger bei den Fliegerabteilungen in Berlin-Johannnisthal und auf dem Butzweiler Hof in Köln, wurde jedoch zunächst abgelehnt. Als er es erneut versuchte, schaffte es der junge Fieseler, nach der infanteristischen Ausbildung in den militärischen Flugdienst aufgenommen zu werden. Zu Beginn des Jahres 1915 startete er seine Ausbildung bei der Militärflugschule, die er erfolgreich absolvierte. An seinem Erfolg und seiner Begeisterung änderte auch ein Absturz nichts, der ihn längere Zeit ans Bett fesselte.
Seinen ersten Einsatz an der Front hatte Fieseler im Sommer 1916 als Beobachtungsflieger. Nach seiner Beförderung zum Unteroffizier wechselte er im Mai 1917 an die mazedonische Front, wo er als Jagdflieger eingesetzt wurde und 19 amtlich anerkannte Luftsiege errang, die nicht nur zu seiner Beförderung zum Offizier führten, sondern ihm auch den Namen „Tiger von Mazedonien" einbrachten. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete Fieseler vorübergehend in der Druckerei seines Vaters, bis er bald darauf in Eschweiler einen eigenen Druckereibetrieb gründete. Hier lernte er seine spätere Ehefrau Helene kennen. Aus der 1938 geschiedenen Ehe gingen zwei Kinder hervor, Sohn Manfred (gestorben 1944) und Tochter Katharina (1918/1919-1944).
Die Fliegerei fesselte ihn jedoch nach wie vor und ließ ihn vor allem die Entwicklungen des Kunstflugs gespannt weiterverfolgen. 1922 wurde das im Versailler Vertrag festgelegte Flugverbot für Deutschland aufgehoben. Drei Jahre später wagte es Fieseler, seiner Leidenschaft nachzugeben und die Buchdruckerei hinter sich zu lassen. Er verpachtete sein Geschäft in Eschweiler und verließ das heimatliche Rheinland, um in Kassel ansässig zu werden. Dort stieg er als Gesellschafter in die Flugzeugbaufirma „Raab-Katzenstein" ein, für welche er fortan vor allem als Fluglehrer arbeitete. Zu seinen Aufgaben gehörten daneben die Durchführung und Mitgestaltung von Flugtagen. Ein Jahr später kam es zwischen Fieseler und dem Werk zu Spannungen, in deren Folge Fieseler 1927 aus der Firma ausschied.
Für Fieseler begann nun ein neuer Abschnitt in seinen Leben. Die nächsten Jahre widmete er sich voller Leidenschaft dem Kunstflug, in dem er sich bald einen Namen machte. Seine Erfolge waren beachtlich. Mehrfach errang er den Titel eines deutschen Meisters, doch auch auf internationalen Wettbewerben machte er eine gute Figur. So wurde er nicht nur zweimal Europameister, sondern schaffte es 1934 sogar an die Weltspitze des Kunstflugs. Nach diesem Triumph beendete er seine Karriere als Kunstflieger, um sich fortan dem Flugzeugbau zu widmen. Das benötigte Kapital schöpfte er unter anderem aus den Einnahmen der Kunstfliegerei. Sein hohes Einkommen hatte ihm den Kauf einer Segelflugzeugfabrik bei Kassel ermöglicht. Am 1.4.1930 fand auf dieser Basis die Gründung der Fieseler Flugzeugwerke statt.
Nach seiner Weltmeisterschaft im Juni 1934 galt seine ganze Aufmerksamkeit dem Aufbau seiner Firma. Diese hatte nach ihrer Gründung zunächst mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen gehabt, da die Auftragslage schlecht war. Vor allem die Auflagen des Versailler Vertrages sorgten für technische Einschränkungen bei der Entwicklung von Flugzeugen innerhalb Deutschlands. Aufschwung erhielt die Luftfahrtindustrie nach Hitlers „Machtergreifung" im Jahr 1933. Das Reichsluftfahrtministerium beauftragte Fieseler bald danach mit der Entwicklung eines Flugzeuges für den Europa-Rundflug 1934; es folgte ein Serienauftrag für den Bau von Schulflugzeugen. Die Fieseler-Werke fassten langsam Fuß. Auf Wunsch des Reichsluftfahrtministeriums wurden sie in die „Fieseler-Flugzeugbaufirma GmbH" umgewandelt, die als Familienbetrieb von Fieseler selbst und seiner Frau geleitet wurden. 1936 gelang dem Unternehmen die Entwicklung der berühmten Fi 156, die als „Fieseler Storch" großes Aufsehen erregte. Das Flugzeug, das auf der Flugschau in Zürich der Öffentlichkeit präsentiert wurde, zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass es den Langsamflug beherrschte und auf kleinstem Raum starten oder landen konnte. Nach diesem Erfolg ging es mit dem Betrieb weiter bergauf. Die Produktionsfläche wurde erweitert und neue Facharbeiter wurden eingestellt. Diese Vergrößerung konnte jedoch nur durch staatliche Gelder finanziert werden, was zu einer Abtretung von Firmenanteilen an den Staat und somit zu einer Verzahnung mit dem NS-Regime führte. Bereits am 1.5.1933 war Gerhard Fieseler in die NSDAP eingetreten. Später begründete er dies mit der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Situation Deutschlands während der Weimarer Republik. Die Angst vor dem Kommunismus habe auch ihn dazu bewogen, Hitler den Vorzug zu geben. Darüber hinaus schloss er aus dem Ergebnis bei der Reichstagswahl im März 1933, dass das Volk hinter Hitler stand. Im Dezember 1937 erhielt Fieseler die beiden Ehrentitel des NSFK-Standartenführers sowie des Wehrwirtschaftsführers. Letztere waren meist Betriebsführer kriegswichtiger Unternehmen. Auch wenn Titel dieser Art ohne Einwilligung der Betroffenen verliehen wurden, stand Fieseler der Vergabe vermutlich nicht ablehnend gegenüber, waren sie doch Ausdruck der Anerkennung des Regimes für sein Engagement und seine Leistungen als Flugzeugbauer. Da er jedoch zu einem relativ frühen Zeitpunkt zum Wehrwirtschaftsführer ernannt wurde, lässt sich dadurch nicht automatisch auf eine Übereinstimmung mit der NS-Ideologie schließen. Die Fieseler-Werke fungierten fortan als bedeutender Rüstungskonzern für die deutsche Luftwaffe. Neben dem Bau von Jagdflugzeugen stand die Entwicklung und Produktion der so genannten V1-Rakete im Vordergrund. Obwohl sich Fieselers Einstellung zur NSDAP seit Kriegsbeginn wandelte, finden sich in seinen Reden an die Belegschaft aus dieser Zeit nationalistische Phrasen. Der Krieg wird gerechtfertigt, die Erfolge im Osten werden gelobt und die Leistungen Hitlers für das Volk anerkannt. Laut Fieseler wurde er sowohl zu diesen Texten als auch zur Einstellung von Zwangsarbeitern gezwungen. Er selbst trug kein Parteiabzeichen, legte die NSFK-Uniform nur selten an und hing keine Bilder von Nazigrößen im Haus auf. Auch gab es ihm zufolge keine Bevorzugung aufgrund der Parteimitgliedschaft. Ob dies jedoch ausreicht, um ihn als Gegner des Regimes auszuweisen, ist zweifelhaft. Als 1944 die Produktionsleistung deutlich hinter den Anforderungen der Luftwaffe zurück blieb, musste Fieseler letztlich seine Absetzung als Betriebsführer akzeptieren. Später gab er an, wegen bewusster Verzögerung der Produktion von Jagdflugzeugen abgelöst worden zu sein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Vermögen der Firma treuhändisch verwaltet und unter amerikanische Aufsicht gestellt. Fieseler musste sich aufgrund seiner Beteiligung an der NS-Rüstungsindustrie einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen. Er wurde vor Gericht freigesprochen und auch das Berufungsverfahren gegen ihn wurde eingestellt, so dass er seit Anfang 1950 seine Werke weiterführen konnte. Was seine Verbindung zum NS-Regime betrifft, lässt sich abschließend wohl sagen, dass er dem Nationalsozialismus anfangs aufgeschlossen gegenüber stand, da er Vorteile für die Industrie insgesamt und für den Flugzeugbau im Speziellen sah. Im Prinzip jedoch nicht übermäßig politisch engagiert, gehörte er kaum zu den Exponenten des Regimes. Nachdem er 1951 endgültig die Weiterführung seines Betriebs erreichen konnte, begann er mit der Produktion von Fenstern, Kleinmöbeln und Beleuchtungskörpern. Nebenbei führte er ein kleines Hotel. 1958 gab Fieseler jedoch seine Unternehmertätigkeit auf, 1966 folgte die Schließung des Hotels. Die GmbH wurde drei Jahre später in eine Personengesellschaft umgewandelt, deren Vermögen Gerhard Fieseler vollständig in seine 1979/1980 gegründete Stiftung einbrachte.
Fieseler starb am 1.9.1987 im Alter von 91 Jahren in Kassel. Seinem Wunsch gemäß wurde er auf dem dortigen Hauptfriedhof mit allen militärischen Ehren beigesetzt. In Bergheim-Glesch wurde eine Straße nach dem berühmten Sohn benannt.
Werke
Geflügelte Worte. Eine Plauderei über Fliegersprache, Kunstflug und Flugmotoren, Hamburg 1932.
Meine Bahn am Himmel: der Erbauer des Fieseler Storch und der V1 erzählt sein Leben, 2. Auflage, München 1982.
Weltmeisterschaft im Kunstflug, in: Starten und Fliegen. Jahrbuch der Luftfahrt und Flugtechnik 3 (1958), S. 76-84.
Literatur (Auswahl)
Cremer, Willem, Gerhard Fieseler, der „Storchenvater" aus Glesch, in: Geschichte in Bergheim 8 (1999), S. 162-170.
Schneider, Heinz-Dieter/Mückler, Jörg, Gerhard Fieselers Weg :vom Kunstflugweltmeister zum Rüstungsschmied, in: Flieger-Revue. Magazin für Luft- und Raumfahrt 57 (2009), S. 56-59.
Wiederhold, Thorsten, Gerhard Fieseler – eine Karriere. Ein Wirtschaftsführer im Dienste des Nationalsozialismus, Kassel 2003.
Wiederhold, Thorsten, Ein „nationalsozialistischer Musterbetrieb": die Gerhard Fieseler Werke, in: Schmidt-Osterberg, Susanne (Red.), Streifzüge durch 900 Jahre Ortsgeschichte. Crumbach und Ochshausen 1102-2002, Lohfelden 2001, S. 218-223.
Filmdokumentation
Kossin, Werner/Roth, Karl-Heinz/Rosen, Andreas, Gerhard Fieseler: sein Leben, seine Firma und kein Ende, 2006.
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Bokeloh, Vera, Gerhard Fieseler, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gerhard-fieseler-/DE-2086/lido/57c6ad252ee636.19870649 (abgerufen am 19.08.2024)