Das Lager Bretzenheim-Winzenheim (PWTE A6)
Offizielle Bezeichnung: Prisoner of War Temporary Enclosure A6
Geplante Kapazität: 100.000
Existenzdauer: Ende April 1945 bis 10. Juli 1945 unter amerikanischer Aufsicht, danach bis zum 31. Dezember 1948 unter französischer Kontrolle.Ansprechpartner vor Ort: Dokumentationszentrum und Ausstellung Kriegsgefangenenlager Bretzenheim bei Bad Kreuznach „Altes Amtshaus“ | Große Straße 12 | 55559 Bretzenheim/Nahe. Ansprechpartnerin im Projekt: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. / Landesverband Rheinland-Pfalz | Katharina Kreuzarek M.A. | Telefon: +49 (0) 6131 – 220229 | E‑Mail
Aufbau und Struktur des Lagers
Zwischen Bretzenheim und Winzenheim – beide Namen werden in den Quellen für dieses Lager genannt – wurde von den US-Truppen im April 1945 eines der größten und das am längsten bestehende Kriegsgefangenenlager errichtet. Auf etwa vier Quadratkilometern wurden nur wenige Meter von der heutigen Bundesstraße 48 zwischen Bad Kreuznach und Bretzenheim, an Bretzenheim vorbei bis Langenlonsheim mit hohem Stacheldraht unter freiem Himmel 24 Cages eingeteilt, Wachtürme, Tore und eine innere Lagerstraße gebaut und Gräben für Wasserleitungen gezogen. Das Lager war für 100.000 Gefangene ausgelegt, jedoch mussten zeitweise bis zu 110.000 Gefangene dort untergebracht werden. Beim Bau der Gebäu-de für die Verwaltung, die Lagerkommandantur, die deutsche Lagerpolizei und die Küchen wurden auch Kriegsgefangene aus dem nahen Lager in Bad Kreuznach eingesetzt.
Die ersten Kriegsgefangenen wurden ab Mitte April 1945 auf die Äcker von Bretzenheim gebracht. Viele weitere Transporte kamen am Bahnhof in Bad Kreuznach, an der Bahnstrecke zwischen Bingerbrück und Bretzenheim an. Bis in das Lager mussten die Gefangenen zu Fuß gehen. Von Rüdesheim am Rhein liefen Gefangene ca. 14 Kilometer über eine Pontonbrücke bis in das Lager; andere wurden mit LKW direkt gebracht. Dies geschah, obwohl das Lager selbst noch nicht fertig errichtet war. Die oberirdischen Wasserleitungen vom Guldenbach und der Nahe funktionierten zum Beispiel erst im Laufe der ersten Maihälfte. Dies führte zu zunächst völlig unzureichenden hygienischen Bedingungen im Lager und erschwerte auch die Versorgung mit Trinkwasser.
In Bretzenheim waren alle Waffengattungen der deutschen Wehrmacht, SS-Angehörige und auch uniformierte oder anderweitig verdächtige Zivilisten interniert. Im dortigen Lager wurde ein eigener Bereich für jugendliche Gefangene, SS-Angehörige, für Soldaten und Offiziere sowie für Wehrmachtsangehörige der verschiedenen Nationen eingerichtet, die auf deutscher Seite gekämpft hatten, wie etwa Holländer, Österreicher, Ungarn und andere. Die gefangen genommenen Frauen wurden ebenfalls separiert und später in Zelten untergebracht. Genaue Größenangaben sind für die verschiedenen Gruppen nicht bekannt. Als höchste Anzahl weiblicher Kriegsgefangener sind für den 21. Juni 1945 1091 Frauen in Bretzenheim nachgewiesen.
Lebensbedingungen im Kriegsgefangenenlager Bretzenheim
Alle Gefangenen in Bretzenheim litten wie in den anderen Rheinwiesenlagern unter den katastrophalen Bedingungen. Körperlich und seelisch erschöpft versuchten sie, die Zeit zu überstehen. Die Versorgung mit Lebensmitteln war nicht ausreichend, erst Mitte Mai wurde zum Beispiel das erste Brot in Bretzenheim ausgegeben. Die Internierten wurden krank, da sie unter freiem Himmel schutzlos der Witterung ausgesetzt waren. Als Toiletten standen ihnen nur Gruben (Latrinengräben) zur Verfügung. Wasser zum Trinken und Waschen erhielten sie in den ersten Wochen mit einem Tankwagen aus den nahen Flüssen, nachdem es stark gechlort worden war. Die Gefangenen mussten lange anstehen, um ihren Durst stillen zu können. Besonders in den heißen Sommermonaten war dies eine Qual.
Einige der Kriegsgefangenen wurden für Arbeitskommandos ausgewählt. Dies beendete das belastende Nichtstun, brachte die sehr begehrte doppelte Essensration ein und erlaubte den Kontakt zu deutschen Zivilisten außerhalb des Lagers. Zunächst wurden die Gefangenen beim weiteren Aufbau des Lagers eingesetzt, später auch in den Weinbergen der Umgebung oder es handelte sich um Dienste für die amerikanischen Einheiten. Immer wieder wird berichtet, dass Lebensmittel, Holz und andere benötigte Dinge wie Pappe zum Auskleiden der Erdlöcher in das Lager geschmuggelt werden konnten. Eine andere Möglichkeit der Versorgung war der Schwarzhandel mit den amerikanischen Wachleuten aber auch mit anderen deutschen Gefangenen.
Offiziell herrschte Postsperre, die in Bretzenheim allerdings durch den Briefschmuggel eines ortansässigen Bauern gelegentlich umgangen wurde. Der Mann durfte in das Lager kommen, um Gras für seine Tiere zu mähen, und nahm dabei Schreiben der Gefangenen an. Generell gab es in Bretzenheim offenbar mehr Kontakt zu der Bevölkerung in der nahen Umgebung als in anderen, strenger abgeriegelten Lagern. So sind auch weitere Interaktionen mit Bauern an den Lagergrenzen belegt. Offenbar versuchten unter anderem auch Familienangehörige der Gefangenen, als Landarbeiter verkleidet, mit ihren Ehemännern, Söhnen oder Brüdern zu sprechen. Bereits auf dem Fußmarsch vom Bahnhof zum Lager versuchten die Bewohner der umliegenden Dörfer zudem, den Gefangenen Lebensmittel zuzustecken, obwohl das von amerikanischen Soldaten unterbunden wurde und von offizieller Seite sogar verboten war. Für den 6. Mai 1945 berichten dennoch ehemalige Gefangene etwa von einer Art ‚Völkerwanderung‘, bei der zahlreiche Bürger aus der Umgebung Lebens mittel in das Lager brachten. Die überlieferten Reaktionen von amerikanischen Soldaten in Bretzenheim sind vielfältig: Manche ließen die Übergabe an den Zäunen zu oder riefen gar einzelne Gefangene an den Zaun, wenn diese etwas erhalten sollten. Sie setzten sich dabei über das zu Anfang herrschende Kontaktverbot zwischen Bewachern und Gefangenen hinweg. Andere verhafteten oder verjagten die Überbringer und ein Mann wurde sogar erschossen. Auffällig ist, dass speziell dunkelhäutige amerikanische Wachposten von den Kriegsgefangenen in Bretzenheim als besonders freundlich beschrieben wurden. Nach der Übernahme des Lagers am 10. Juli 1945 durch die französische Militärregierung, befahl diese, dass der Kreis Bad Kreuznach für die Lebensmittelversorgung in den Kriegsgefangenenlagern – und damit auch für die Verpflegung und Unterbringung der französischen Wachmannschaften – sorgen müsse.
Obwohl die Lager zu diesem Zeitpunkt bereits stark verkleinert waren, stellte dies eine große Herausforderung für die Bevölkerung im Umkreis dar. Da Frankreich stark durch den Krieg zerstört und durch die deutsche Besatzung ausgeplündert worden war, konnte es die Verpflegung der Männer nicht sicherstellen. Im Oktober 1945 schickte die amerikanische Militärregierung daher weitere Lebensmittelrationen nach Bretzenheim.
Die Kriegsgefangenen versuchten auch in Bretzenheim Struktur in den eintönigen Alltag zu bringen und Abwechslungen zu schaffen: Es gab Gottesdienste und Bibelstunden, es haben sich Gedichte aus Bretzenheim erhalten und die Gefangenen bildeten offenbar besonders viele Chöre, so dass ihr Gesang bis in die Nachbardörfer zu hören gewesen sein soll. Aber auch Konzerte mit professionellen Sängern, die sich unter den Gefangenen fanden, wurden im Lager organisiert, die dann in den verschiedenen Campteilen auftraten. Einige Gefangene gründeten unter dem Musikclown Fypsilon, d.i. Fritz Schuler, im Lager die Künstlergruppe „Die Optimisten“.
Besonders der lehmige Boden machte den Bretzenheimer Gefangenen nach starken Regenfällen in der ersten Woche im Mai zu schaffen. Erst nach der Übernahme des Lagers durch die französischen Streitkräfte im Juli 1945 konnten für alle Gefangene Zelte zur Verfügung gestellt werden. Zur medizinischen Versorgung wurde ein Lazarettzelt errichtet, das Platz für mehrere Hundert Patienten bot. Allerdings stand kaum ausreichend Medizin und technisches Gerät zur Verfügung. Besonders schlimme Fälle wurden daher in Lazarette und Krankenhäuser der Umgebung gebracht, wie etwa nach Bad Kreuznach oder Idstein. Verlässliche Todeszahlen gibt es für das Kriegsgefangenenlager Bretzenheim
während der amerikanischen Zeit nicht, geschätzt 3.500 bis 4.500 Gefangene sollen dort gestorben sein. Die Toten des Lagers wurden auf den Soldatenfriedhöfen in Bad Kreuznach (‚Galgenberg‘) und nahe Stromberg bestattet. Heute liegen sie nach einer Umbettung in den 1950er Jahren auf dem „Ehrenfriedhof Lohrerwald“ bei Bad Kreuznach, bei Koblenz und in Pfaffenheck.
Bretzenheim als französisches Durchgangslager
Am 10. Juli 1945 übernahmen die französischen Streitkräfte die Führung des Lagers und benannten es in Dépôt de transit No. 1 (‚Durchgangslanger Nr. 1‘) um. Die Amerikaner übergaben das Lager Bretzenheim und die zu diesem Zeitpunkt 17.200 Gefangenen zusammen mit den Lagern Sinzig, Siershahn, Andernach, Dietersheim, Koblenz, Hechtsheim und Diez an die Franzosen. Zahlreiche Gefangene waren bereits in zwei großen Wellen von der amerikanischen Lagerverwaltung entlassen oder in andere Lager verlegt worden; weitere folgten auf Befehl der französischen Lagerleitung. Besonders Jugendliche, Frauen, Alte und Kriegsversehrte konnten so auf französische Entscheidung hin wieder in ihre Heimat zurückkehren. Die meisten der arbeitsfähigen Männer wurden aber von Bretzenheim aus nach Frankreich zu Reparationsarbeiten geschickt. Einige hatten sich auch für die Fremdenlegion gemeldet, die in Bretzenheim ein Werbungsbüro unterhielt. So sank die Zahl der Gefangenen immer weiter und die französische Leitung konnte das Lager von ehemals über 20 Cages auf neun verkleinern. Flächen, die nicht mehr benötigt wurden, konnten an die Bauern zurückgegeben werden.
Ausgebaute Baracke im Lager Bretzenheim, nach 1946, Quelle: Dokumentationszentrum Bretzenheim.
Nach der Übergabe an die französische Militärverwaltung wurde das Lager ausgebaut: Sanitäre Anlagen wurden eingerichtet und weitere Feldküchen organisiert. Alle Gefangenen erhielten bis Ende September 1945 Zelte und ab November 1945 wurden Baracken aufgestellt. Desweiteren entstanden eine Kapelle, ein Versammlungsraum, ein Sportplatz und ein Schwimmbecken, das 1947 gebaut wurde. Eine Lagernormalität setzte langsam ein, was sich auch am Ausbau des Bildungsangebots in Bretzenheim zeigte.Unterrichtsgruppen wurden gegründet, die Fortbildungsmöglichkeiten in den verschiedensten Bereichen (Sprachen, Naturwissenschaften, Technik, Handwerk etc.) anboten. Die Gefangenen durften auch kleine Gärten anlegen, in denen sie Gemüse anbauten.
Im Oktober 1945 waren nur noch wenige Hundert Gefangene im Lager Bretzenheim untergebracht. Bis zu seiner Auflösung am 31. Dezember 1948 wurde Bretzenheim als Durchgangslager für alle diejenigen deutschen Kriegsgefangenen benutzt, die entweder noch nach Frankreich zum Arbeitseinsatz abkommandiert waren oder aus Frankreich zur endgültigen Entlassung in das Lager überstellt worden waren. Unter anderem wurden auch Kriegsgefangene, die zuvor in den USA, Großbritannien, der Sowjetunion und anderen Ländern interniert gewesen waren, nach Bretzenheim gebracht. Dort erhielten sie dann ihre Entlassungsscheine. Nach Angaben des Dokumentationszentrums Bretzenheim sollen über 750.000 Kriegsgefangene das Lager durchlaufen haben.
Erinnerung an das Lager
Das Kriegsgefangenlager in Bretzenheim gilt heute als eines der am besten erforschten Rheinwiesenlager, wie zahlreiche Publikationen von Erinnerungsberichten bis hin zu wissenschaftlichen Texten belegen.
Heute erinnert in Bretzenheim auf dem sogenannten ‚Feld des Jammers‘ ein 1966 eingeweihtes Mahnmal, das auf Initiative der lokalen Bevölkerung, des Verbands der Heimkehrer und ehemaliger Kriegsgefangener eingerichtet wurde, an das Lager. Eine 1985 eingerichtete Sammel- und Registrierstelle für Dokumente und Informationen zum Kriegsgefangenenlager entwickelte sich bis heute zum „Dokumentationszentrum Kriegsgefangenenlager“ bei der Ortsgemeinde Bretzenheim mit einer ständigen Ausstellung. Zudem finden dort regelmäßig Gedenkveranstaltungen statt.