Dienstag, 04. April 2023

Aufarbeitung, Prävention und Intervention bei sexueller Gewalt

Auch der Betroffenenbeirat im Bistum präsentierte bei dem Vernetzungstreffen auf einer Stellwand die Schwerpunkte seiner Arbeit. 

Vernetzungstreffen verschiedener Akteure im Bistum Speyer

Speyer/Ludwigshafen. Im Bistum Speyer setzen sich viele haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende, unabhängige und bischöfliche Gremien mit dem Thema des sexualisierten Machtmissbrauchs auseinander. Sie alle widmen ihre Arbeit der Prävention, Intervention und Aufarbeitung von Gewalt und Missbrauch. Diese verschiedenen Akteure haben sich erstmals zu einem ganztägigen Vernetzungstreffen eingefunden um miteinander ins Gespräch zu kommen. „Dieser Tag war für uns geprägt von einem gegenseitigen Kennenlernen und produktiven Austausch“, sagte Generalvikar Markus Magin, der zu dem Treffen im Pesch-Haus in Ludwigshafen eingeladen hatte. „Ziel war es, sich gegenseitig in der Arbeit zu stärken, durch Vernetzung noch effektiver arbeiten zu können und auch zu erkennen, wo vielleicht noch zusätzlicher Handlungsbedarf besteht“, so Magin.

Koordinationsstelle Prävention – Interventionsstelle – Netzwerk Prävention
Unmittelbar im Auftrag des Bistums tätig sind die Koordinationsstelle Prävention und die Interventionsstelle, die jeweils mit hauptamtlichen Mitarbeitern besetzt sind. Die Aufgabe der Koordinierungsstelle Prävention besteht beispielsweise im Bereich Schulungen und Erstellung von Materialien. Auch die Interventionsstelle ist eine Einrichtung des Bistums, in der eine Juristin und ein Psychologe tätig sind. Hier erhalten Betroffene Unterstützung insbesondere bei der Beantragung von Entschädigung. Alle dort gemeldeten Fälle werden umgehend zur Anzeige gebracht. Ebenfalls seitens des Bistums wurde das Netzwerk Prävention ins Leben gerufen. Hier sind Mitarbeiter des Bistums vertreten, die aus verschiedenen Abteilungen und Berufsgruppen kommen. Sie alle wurden zur Fachkraft Prävention ausgebildet und sollen als Multiplikatoren fungieren, etwa indem sie ihre Leitungen und Kolleginnen und Kollegen in diesem Bereich unterstützen. Konkret geht es zum Beispiel um die Entwicklung und Umsetzung sogenannter „Institutioneller Schutzkonzepte“, die für verschiedene Bereiche jeweils individuell erarbeitet werden müssen. Alle diese Einrichtungen wurden vom Generalvikar des Bistums ins Leben gerufen und haben ihre Grundlagen in Rechtsbeschlüssen des Bistums.

Unabhängige Ansprechpartner und Gremien
Unabhängig, das heißt ohne Anstellung beim Bistum und ohne Weisungsgebundenheit agieren die Unabhängige Ansprechperson, die Unabhängige Aufarbeitungskommission und der Betroffenenbeirat. Alle Personen in diesen Funktionen und Gremien engagieren sich ehrenamtlich. Die unabhängige Ansprechperson Dorothea Küppers-Lehmann steht als Erstansprechpartnerin für Betroffene zur Verfügung und unterstützt diese in dem Umfang, der jeweils gewünscht wird.

Die unabhängige Aufarbeitungskommission hat als Gremium die Aufgabe, die Erfassung von Tatsachen, Ursachen und Folgen von sexuellem Missbrauch offen zu legen und draus Schlussfolgerungen für den Schutz von Kindern zu ziehen. Sie sucht auch nach systemischen Ursachen, welche Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche ermöglicht haben.

Der Betroffenenbeirat besteht aus Menschen, die selbst Opfer sexueller Gewalt geworden sind und sich heute dafür einsetzen, dass ihr Schicksal anderen Menschen erspart bleibt. Gleichzeitig unterstützen sie Betroffene mit einem Lotsendienst und zeigen Möglichkeiten der Bewältigung und der Entschädigung auf. Insbesondere unterstützten die Betroffenen die übrigen Akteure, in dem sie ihre Erfahrungen einbringen und Täterstrategien offenlegen.

Beraterstab für Fragen sexuellen Missbrauchs und Prävention
Als Schnittstelle zwischen den verschiedenen Akteuren fungiert der Beraterstab für Fragen sexuellen Missbrauchs und Prävention. In ihm sind sowohl Vertreter unabhängiger Gremien als auch Mitarbeiter des Bistums vertreten. Ziel für dieses Gremium ist es beispielsweise, Handlungsleitfäden zu erstellen, die den Umgang mit dem Gedenken an verstorbene Beschuldigte regeln sollen oder auch die Erstellung von Konzepten für die Aufarbeitung, wenn in Pfarreien konkrete Fälle bekannt werden.

Interdisziplinär angelegte Aufarbeitungsstudie
Die Historikerin Prof. Dr. Sylvia Schraut, welche die Aufarbeitungsstudie leitet, die die Unabhängige Aufarbeitungskommission für das Bistum Speyer in Auftrag gegeben hat, stellte den wissenschaftlichen Ansatz der interdisziplinär angelegten Aufarbeitungsstudie vor. Anders als bei juristischen Studien, wo der Fokus auf dem Umgang der Amtsträger mit Missbrauchsfällen, liegt hier das Interesse vor allem an der Untersuchung von Strukturen und Verhaltensweisen, welche Missbrauch ermöglicht haben. Die entscheidende Frage hierzu sei: Wie konnte das geschehen und was können wir tun, damit es zukünftig nicht mehr geschehen kann?

Kommunikation verstärken - Vernetzung intensivieren
Viel zitiert war an diesem Tag der Satz von Dorothea Küppers-Lehmann „Was man nicht denken kann, das kann man auch nicht sehen“. Gemeinsames Anliegen aller Anwesenden war es „sehen zu lernen“ beziehungsweise andere dabei zu unterstützen. Zu den Erkenntnissen gehörte, wie viele Menschen bereits in den Bereichen, Prävention, Aufarbeitung und Intervention tätig sind und sich dort engagieren. Einstimmig war der Wunsch, die Kommunikation zwischen den Akteuren zu verstärken und die Vernetzung zu intensivieren.

Text/Foto: Friederike Walter