„Meine Tochter möchte zum Ethikunterricht wechseln ...“

Eine Anfrage per E-Mail

„... meine 12-jährige Tochter trägt sich momentan mit dem Gedanken, vom katholischen Religionsunterricht ab der 7. Klasse Gymnasium in den Ethikunterricht zu wechseln. Insbesondere der sehr trockene Lehrstoff und ihre persönlichen Erlebnisse in den für sie ‚altmodischen und langweiligen‘ Gottesdiensten sind die Argumente, die sie anführt. Da ich als Vater hierfür durchaus Verständnis habe und die Ansichten zum Großteil auch so teile, möchte ich aber gerne Ihrer Institution die Möglichkeit geben, sie/uns vom Gegenteil zu überzeugen …“

Unsere Antwort

„Sehr geehrter Herr N., liebe Schülerin!

Es freut mich, dass Sie uns eine Mail schreiben, um die sehr persönliche Entscheidung, die Sie gemeinsam treffen möchten, auf eine breitere Grundlage an Argumenten zu stellen. ...

Ich spreche jetzt am besten dich als Schülerin an, weil es schon jetzt schon um deine Haltung zu dieser Frage geht, auch wenn du erst in zwei Jahren allein entscheiden kannst, ob du lieber den Ethikunterricht besuchst.

Was für dich gegen den Religionsunterricht spricht, sind Wahrnehmungen: trockener Stoff und langweilige Gottesdienste. Gegen Wahrnehmungen kann man nicht argumentieren, denn wer sie macht, nimmt sie für wahr. Nur ob beides gegen den Religionsunterricht spricht, kann man sich schon fragen. Das merkt man, wenn man die Argumentation auf andere Fächer überträgt. Wenn ich den Stoff im Mathe trocken finde, wäre es dann besser, ich hätte keinen Matheunterricht? Wenn ich langweilige Konzerte erlebt habe, spricht das gegen Musikunterricht an der Schule?

Was unterscheidet den Religions- vom Ethikunterricht? Was die Inhalte betrifft, erstaunlich wenig: Es geht in beiden Fächern um die Grundfragen des Lebens, um das, worauf es letztlich ankommt (Sinn, Glück, ...), um ethische Fragen, um Leben und Tod – und um die Vielfalt der Antworten, die Menschen darauf geben: im Kontext verschiedener Religionen und außerhalb der Religionen. Andere Überzeugungen sollte man möglichst authentisch also im Religions- wie auch im Ethikunterricht kennenlernen.

Die Besonderheit des Religionsunterrichts liegt darin, dass er voraussetzt, dass Lehrer/-in und Schüler/-innen eine gemeinsame Grundlage teilen, also in diesem Fall: katholisch sind. Die Idee ist, dass dann eine andere Herangehensweise an die wichtigen Menschheitsfragen möglich ist, die ich vorhin aufgezählt habe. Die gemeinsame Grundlage sind ähnliche Erfahrungen: Feste im Lebenslauf und im Jahreskreis, Lieder, Geschichten und Bilder, Ideen und Vorstellungen. Das ist ein bisschen so, als würde man dieselbe Sprache sprechen: Weil man nicht ständig übersetzen muss und sich in der Muttersprache einfach besser ausdrücken kann, kann man leichter über die Dinge sprechen, die einem wirklich wichtig sind.

Das hat nicht den Zweck, das Katholisch-Sein zu zementieren (ein solcher Unterricht hätte in unserem staatlichen Schulsystem nichts verloren!), sondern eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Standpunkt zu ermöglichen. Es gibt ja genug, was am Christentum auf den ersten Blick fragwürdig ist. Ein paar Beispiele: ‚Die Welt ist doch nicht in sechs Tagen entstanden – glauben Christen das etwa?‘ ‚Wieso vertritt die katholische Kirche die Unauflöslichkeit der Ehe, das ist doch unbarmherzig!‘ ‚Auferstehung der Toten – wäre ja schön, aber kann man das als moderner Mensch glauben?‘ Wenn man zu solchen Fragen eine begründete eigene (!) Meinung entwickeln möchte, ist ein guter Religionsunterricht schon hilfreich. Ethikunterricht geht da – das meine ich zumindest – nicht tief genug.

Weil es um eine begründete und kritische Haltung zu den eigenen Überzeugungen geht, ist der Religionsunterricht auch dem Staat wichtig. Denn wir brauchen in unserem Land Menschen, die nicht blind glauben, sondern die ihre Überzeugungen reflektiert vertreten und so auch (das hoffe ich zumindest) eher zu Toleranz fähig sind. (Es wird deshalb auch von den großen Kirchen in Deutschland begrüßt, wenn es islamischen Religionsunterricht gibt.)

Wenn dir also dein eigenes Christin-Sein irgendwie wichtig ist oder wenn du zumindest neugierig bist, besser zu verstehen, was es heißt, Christin zu sein, dann macht es schon Sinn, den Religionsunterricht zu besuchen. Was es für gute Gründe gibt, Christin zu sein, dazu ließe sich viel sagen. Aber dazu werden Sie, Herr N., Ihrer Tochter selbst etwas sagen und vorleben können, was mehr zählt, als ich hier schreiben könnte. Hier sollte es ja um den Religionsunterricht gehen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen beiden helfen, Ihre Entscheidung zu treffen.

Mit herzlichen Grüßen
Bernhard Kaas“

Bernhard Kaas

Referent für Gymnasien und IGS

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