Jesus lernt den Glauben oder Die Erhörung der kanaanäischen Frau
Zum zweiten Mal werden einer Evangelien-Perikope zwei einander gegenüber liegende Miniaturen gewidmet.
Auf dem ersten Bild kommt die heidnische Frau von links bittend auf Jesus zu. Es ist viel Raum zwischen ihr und Jesus, der wie von den Jüngern abgeschirmt erscheint. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit den Pharisäern ist er ins benachbarte heidnische Ausland ausgewichen. Im Lehrgespräch mit den Jüngern setzt er seinen Weg fort, unsensibel für die Frau, die hinter ihm her schreit: „Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon geplagt“ (V. 22). Den Jüngern wird das Rufen der Frau lästig, dass Jesus nicht reagiert, befremdet sie. Auf ihre Bitte hin weist Jesus mit seiner Rechten nach oben: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen Israels gesandt“ (V. 24), nicht zu den Heiden.
Bildwechsel.
Die Frau ist näher zu Jesus herangerückt, sie macht sich ganz klein vor ihm. Jesus ist aus der Umklammerung seiner Freunde herausgetreten, hat sich der Frau zugewandt. Die Jünger tragen andere Gewänder, Zeichen für den Umschwung (wie beim Seesturm). Aus dem Schrifttext geht nicht hervor, was die Meinungsänderung bei Jesus bewirkt hat. Er erklärt der Frau seinen Standpunkt mit dem Bildwort vom Brot, das man den Kindern nicht wegnehmen kann, um es den Hunden (ein Schimpfwort für die „Heiden“!) vorzuwerfen.
Das wirft die Frau nicht um; überlegen und humorvoll erwidert sie: „Ja, du hast recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen“ (V.27). Lächelt auch Jesus? Überzeugt ihn ihre Argumentation? Öffnet sich sein Blick auf die Völker außerhalb Israels mit ihrem Hunger nach dem wahren Glauben? „Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst soll geschehen. Und von der Stunde an war ihre Tochter geheilt.“ (V. 28).
Die Jünger hinter Jesus schauen skeptisch. Noch ist die Heidin – gekleidet wie Jesus! – allein vor Jesus. Aber hinter ihr ist viel Raum. Viele aus allen Völkern und Nationen werden dieser Frau folgen. Wie Jesus selbst müssen auch seine Jünger das neue Denken lernen: dass Gottes Heilswille alle meint, dass alle „teilhaben an Wesen und Gestalt seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern (und Schwestern) sei“ (Röm 8, 30).
Eine Frau, eine heidnische zumal, lehrt Jesus, den Heilsplan Gottes besser zu verstehen. Das Erstaunen des Maler-Mönchs ist so groß, dass er dieser Begebenheit zwei Bilder widmet.