Schließlich sandte er seinen Sohn, den Einzigen...

Das Gleichnis von den bösen Winzern

Die Illustration dieses Gleichnisses, die sich über die drei Streifen der Bildseite verteilt, präsentiert sich als sehr ausdrucksstark: die Formen genau, die Farben kräftig, das Rot der Schilde: ein Schrei! Die minuziöse, exakte Darstellung der kunstvoll geflochtenen Einfriedungen gibt dem Ganzen einen besonderen Reiz. Es fällt auf, dass von Bild zu Bild vom Flechtzaun sowie von der in Blau gehaltenen Fläche des Weinbergs immer weniger zu sehen ist.

„ Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm.“ (Mt 21, 33) Das Bild zeigt das gelungene Werk: Hoch und massiv der Wachtturm („TURRIS“), massiv und doch kunstvoll verziert die Kelter („TORCULAR“), von zierlichen grünenden Reben umwachsen. Der Besitzer, hier als Familienvater („PATER FAMILIAS“) bezeichnet, ist zufrieden: Dieser Weinberg ist eine sichere Anlage, deren imposanter Zaun etwaige Besitzansprüche angrenzender Winzer abwehren und die Rebstöcke vor den Schäden durch wilde Tiere schützen wird.
 
Dass der stämmige Mann links der Herr des Weinbergs ist, ist zu ersehen aus dem goldenen Stab, den er in der Linken hält. Mit der Rechten zeigt er am Turm vorbei in Richtung der Reben und der Kelter: Es ist der Augenblick, wo er den Weinberg an die Winzer (hier als „AGRICOLAE“ = Landwirte bezeichnet) verpachtet. Der letzte von ihnen diskutiert noch, der in der Mitte legt abwägend den Kopf zur Seite, während der Vordere seine rechte Hand ausstreckt, damit der Pachtvertrag per Handschlag abgeschlossen wird. Der weitere Verlauf des Gleichnisses zeigt, dass der Pachtvertrag eine Klausel beinhaltet: Der Herr des Weinbergs behält sich das Recht vor, zur Zeit der Lese seinen Anteil an den Früchten holen zu lassen.
(Mt 21, 34).
Zur Farbensprache: Das feste Blau, in dem der Weinberg gehalten ist, die mystische Farbe, bezeichnet den Weinberg als göttlichen Besitz. Die doppelte Wellenlinie in Rot und Grün am unteren Rande des Bildes bringt Christus ins Spiel: Seine menschliche Natur (grün) verdeckt die göttliche (rot).

Es ist soweit: Die Rebstöcke tragen reichlich Frucht, und der Herr des Weinbergs schickt seine Diener aus, einen nach dem anderen, um seinen Anteil an Trauben sicher zu stellen. Doch die bösen Winzer, die bereits auf sie gewartet hatten und auf der Lauer lagen, „packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den anderen brachten sie um, einen dritten steinigten sie“, mit allen weiteren „machten sie es genau so“ (Mt 21, 36).
 
Der geflochtene Zaun, der Einbrecher und wilde Tiere vom Weinberg abhalten sollte, erweist sich nun als Fangnetz, das den Knechten die Flucht unmöglich macht. Der vordere Knecht hält sich das verletzte Auge zu. Bei allen fließt das Blut in Strömen. Zwei Knechte brechen unter den Steinwürfen und Lanzenstichen zusammen. Zwei andere, den Feinden ins „Netz“ gegangen, sind bereits tot. Die Macht und Gewalt der bösen Winzer weiß der Maler-Mönch geschickt hervorzustreichen, indem er den Knüppel und den Speer mit kräftigen schwarz-braunen Strichen zeichnet, die Steine sowie die Bärte und das Haar der Bösewichte nachtschwarz und die Schilde blutrot malt mit goldenen und schwarzen Punkten. Diese beiden Schilde vorne im mittleren Bildstreifen erinnern an die Chitin-Flügel böser, gefährlicher Insekten.

„Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen, denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben.“ (Mt 21, 37)

Da steht er, der Sohn, schmächtig, noch nicht ausgewachsen, ein halbes Kind noch. Doch das Anliegen des Vaters ist ernst: Es gilt, wie im Vertrag vereinbart, seinen Anteil an Trauben sicher zu stellen. Der Sohn ist des Vaters ganze Hoffnung, darum ist diese Szene vor einem gewaltigen grünen Berg gemalt. Doch das Grün der Hoffnung kann die blutroten Ströme am unteren Rande des Bildes nicht zurückdrängen: Da wird einer sein Herzblut vergießen aus Liebe zum Vater!

Der Maler hat es fertiggebracht, den Betrachter innehalten zu lassen. Da muss es doch um mehr gehen als um Trauben! Und so kommt die Theologie mit ins Spiel: Der Vater sandte „seinen“ Sohn, also seinen einzigen, Jesus Christus. Der soll ihm seinen Anteil sicher stellen (Israel, das auserwählte Volk, mit dem er einen Bund geschlossen hat). Aber er erleidet das Schicksal vieler Propheten vor ihm (vgl. Mt 23, 34-37).

So muss also der Besitzer des Weinbergs (Gott selber) mit ansehen, wie die bösen Winzer auch vor dem Sohn nicht halt machen. Sie haben weder Achtung vor ihm, weil er der Sohn des Eigentümers, noch weil er aus Liebe wehr- und schutzlos geworden ist. Sie töten ihn mit gewaltigen Lanzen, einer packt ihn an den Füßen und schleift ihn aus dem Weinberg hinaus (Jesus wird außerhalb der Stadt Jerusalem gekreuzigt!). Die Ordnung der Welt ist auf den Kopf gestellt: Der Mensch hat seinen Gott geschunden und getötet!

Die Trauben, die auf dem mittleren Bild noch grün und unreif waren, leuchten rot: Zeit der Lese, Zeit der Vollendung.

Die Blutströme aus des Sohnes Wunden, besonders aber aus seiner Seitenwunde sagen eindeutig: In diesem Gleichnis spricht Jesus von sich und seinem Schicksal unter uns Menschen.

Die Kelter im oberen Bild links und die Blutströme im unteren Bild rechts ergeben einen Sinnzusammenhang: „Christus in der Kelter“: Am Kreuz vergießt Jesus sein Blut, wird der Neue Bund in seinem Blut geschlossen, wie er es beim letzten Abendmahl gedeutet hat: Der Wein im Kelch „ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26, 28).

Das Bild vom Gleichnis der bösen Winzer geht dem Bild vom Gleichnis des Gastmahles direkt voraus: zwei Hinweise, Anspielungen auf die hl. Eucharistie.

Es war uns am Anfang aufgefallen, dass von Bildstreifen zu Bildstreifen der Zaun und die von ihm umgrenzte Fläche immer kleiner werden. Es ist gewissermaßen ein Fokussieren auf das Wesentliche hin: die Liebe, die sich wehrlos hingibt.

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