Jesus und Pilatus
Der Hohepriester kann Jesus wegen seiner „Gotteslästerung“ nicht hinrichten lassen, die Blutgerichtsbarkeit lag beim römischen Prokurator. Nach dem Johannesevangelium ist Pilatus hin und her gerissen zwischen seiner Unschuldsvermutung und dem aufgehetztem Mob auf der Straße; mehrfach wechselt die Szene von drinnen nach draußen. Deshalb malt auch der Illustrator des Egbert-Codex zwei Miniaturen.
„Bist du der König der Juden?“, fragt Pilatus den Angeklagten. „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“, antwortet Jesus (vgl. 18,33-37). Die Soldaten verspotten ihn, sie „flochten einen Kranz aus Dornen, den setzten sie ihm auf und legten ihm einen purpurroten Mantel um. Sie stellten sich vor ihn hin und sagten. Heil dir, König der Juden. Und sie schlugen ihm ins Gesicht“ (V. 2f). Den Spottkönig führt Pilatus an der Hand vor die Hohenpriester und die Soldaten: „Seht, da ist der Mensch“ (V.5). Er appelliert vergeblich an ihr Mitleid; sie fordern die Hinrichtung, weil Jesus sich als Sohn Gottes ausgegeben habe. Die Miniatur zeigt, wie respektvoll Pilatus Jesus behandelt und ebenso die aufgeregte Diskussion der Ankläger. Nicht recht ins Bild passen die knienden Soldaten in der Tracht des 10. Jahrhunderts. Sie gehören zur Szene der Dornenkrönung, die die Vorlagen kennen (vgl. Mt 27,29). Aber der Maler-Mönch folgt der Intention des Johannesevangeliums, die immer die Hoheit Jesu betont. Der wäre die Spottkrone abträglich. Unter der Miniatur steht zur Erinnerung Vers 2: Die Soldaten flochten einen Kranz aus Dornen!
Die zweite Miniatur zeigt Jesus und Pilatus im Gespräch im Innern des Prätoriums, das rechts im Bild erscheint.
Beide tragen die gleiche Kleidung wie auf dem vorigen Bild. Ihre sprechenden Hände zeigen, dass sie einen Dialog miteinander führen. Auch wenn über dem Bild „Ecce homo – Seht da, der Mensch“ geschrieben steht, wird hier wohl das letzte Gespräch zwischen Pilatus und Jesus dargestellt: Auf die Frage des Pilatus: „Woher stammst du?“ antwortet Jesus nicht (vgl. Jes 53,7). „Da sagte Pilatus zu ihm: Du sprichst nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich die macht habe, dich freizulassen, und Macht, dich zu kreuzigen? Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre...“(V.10f).