"Betroffene kommen zu Wort" brachte den Alltag des Lebens von Frauen und Männern ins Forum, die geschieden und wieder verheiratet sind - in Interviews mit Beate Barg sprachen sie über das Erlebte und darüber, wie sie Kirche in ihrer speziellen Situation erleben.
(Marita Krist hat ihre Antworten zusammengefasst und erweitert - er findet sich hier.)
Dr. Ulrike Samsel (ehemals Riemer), promovierte Studienrätin mit missio canonica (kirchliche Lehrerlaubnis für katholischen Religionsunterricht)
Beate Barg: Liebe Frau Samsel, Sie haben vier Kinder bekommen und 2008 trennt sich ihr Mann von Ihnen. Mit welchen, vor allem psychischen Folgen?
WIR haben uns getrennt, es geschah in beiderseitigem Einvernehmen. Für mich waren die Folgen psychisch sehr belastend, da ich mir die Schuld gab und im Zuge der Trennung unsere älteste Tochter, damals gerade 14, stark gegen mich als die Schuldige rebellierte und schließlich die Familie verließ. Anfang 2009 habe ich einen Selbstmordversuch unternommen und wurde in der Folge medikamentös und therapeutisch behandelt. In der Folge musste ich lernen, alleine mit den drei jüngeren Mädchen zu leben und auch beruflich wieder Fuß zu fassen (ich war noch nicht verbeamtet und aufgrund der depressiven Erkrankung wurde mir eine Versetzung nahe gelegt, was ich aus Gründen der Wohnortnähe ablehnte). Meine älteste Tochter verweigerte lange Zeit jeden Kontakt mit mir und geriet mehr und mehr auf die schiefe Bahn (Alkohol, Schule schwänzen, Drogen, Diebstähle und Körperverletzung). Das war eine sehr schwere Zeit.
2010 folgt die Scheidung gegen Ihre Widerstände: Warum wollten Sie an dieser Ehe festhalten?
Ich denke, die Endgültigkeit einer Scheidung wollte ich nicht unterschreiben, zumal mir die Beweggründe meines Ex-Mannes unklar waren, denn neu heiraten wollte er nicht. Trennung hieß für mich noch nicht gleich Scheidung. Ich habe mich noch vor Gericht dagegen gewehrt, aber es braucht in Deutschland nur das Einverständnis eines Partners um eine Ehe zu scheiden. Für mich war es eine Besiegelung meines Scheiterns. Dies einzugestehen fiel mir sehr schwer.
2011 haben Sie Ihren jetzigen Partner beim Sport getroffen und werden ihn bald heiraten! Wie geht es Ihnen heute?
Ich werde ihn am 5. August heiraten und es geht mir sehr gut. Ich bin therapie- und tablettenfrei. Alle unsere Kinder – auch meine Älteste und meine Enkelin – waren bei der Trauung dabei. Wir haben uns, da wir in keiner Kirche mehr heiraten dürfen, für einen Ort unter Gottes Himmel entschieden, um ihm wenigstens so ein wenig näher sein zu können, nämlich den Weidendom am Litermont im saarländischen Nalbach. Das Gipfelkreuz trägt die Inschrift „in hoc signo vinces“ („in diesem Zeichen wirst du siegen“), was meine Hoffnung für unsere Ehe ausdrückt. Das Leben ist wieder lebenswert, ich habe diesem Mann viel zu verdanken.
Jetzt droht Ihnen der Entzug der missio, wie gehen Sie damit um?
Ich kannte die Regeln und habe mich bei der Wahl zwischen neuer Ehe und möglichem Entzug der Misso bewusst für die neue Ehe entschieden. Wie es aussieht, wird mir die Missio zwar nicht entzogen, ich wurde sogar gebeten, sie nicht zurückzugeben. Allerdings hat meine Schule mich für den Religionsunterricht trotzdem ausgeplant. Ich gebe zu, dass das weh tut. Ich habe gerne Religion unterrichtet und kann nicht ganz nachvollziehen, warum ich das auf einmal nicht mehr können sollte.
Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken gespielt, aus der Kirche auszutreten?
Nein, auf den Gedanken bin ich nie gekommen. Ich fühle mich in der Kirche zu Hause und möchte dies auch für meine Kinder.
Ein Wunsch für die Zukunft Ihrer Familie?
Was sich wohl alle Familien wünschen: ich möchte mit meinem Mann unsere Kinder und Enkelkinder aufwachsen sehen und alt werden. Und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass unser Herr Jesus etwas dagegen hätte.
Andrea Madla und Dr. Wilfried Madla („DRK Blutspendedienst West“) kommen aus Bad Kreuznach
Beate Barg: Herr und Frau Madla, wie lange sind Sie jetzt verheiratet?
26 Jahre, seit dem 8.8.1988.
Haben Sie Kinder?
Drei Mädchen (25, 22 und 16 Jahre).
Herr Madla, Sie gehen nicht zur Kommunion, Sie, Frau Madla gehen zur Kommunion: gab es darüber zwischen Ihnen beiden einen Gesprächsprozess? Und wie kam es zu diesen Entscheidungen?
Ja, es gab vielfache Gespräche zum Thema Empfang der hl. Kommunion (keiner, nur meine Frau oder beide), auch im Verwandten- und Freundeskreis. Wobei diese für unsere geübte Praxis, d.h. nur die Ehefrau empfängt die hl. Kommunion, weniger Verständnis entgegenbrachten.
Besonders hilfreich waren auch Gespräche (Möglichkeiten eines Ehenichtigkeitsverfahrens etc.) mit dem seinerzeitigen Priester unserer Pfarrei St. Nikolaus, mit dem wir seitdem auch weiterhin freundschaftlichen Kontakt pflegen. Letztendlich war es ein beidseitiger Gewissensentscheid. Wir zogen einen offenen und konsequenten Umgang mit unserer Situation einer „Duldungspraxis“ vor, auch aus Respekt vor kirchlichen Gegebenheiten.
Herr Madla, bei Ihnen kam es zu einigen Ausnahmen: bitte erzählen Sie davon…
Soweit mir noch erinnerlich, waren es zwei Ereignisse, die zu diesen Ausnahmen führten. In beiden Fällen kam zum Empfang der hl. Kommunion der zelebrierende Priester aktiv auf mich zu, beim ersten Mal anlässlich der Taufe unserer ersten Tochter Stephanie im Rahmen einer heiligen Messe.
Herr Madla, wenn die geltende Regelung aufgehoben würde und Sie als geschieden Wiederverheirater zur Kommunion gehen könnten, wie wäre das für Sie?
Dies wäre für mich ein außerordentlicher Schritt hin zur vollständigen Integration im Gemeindeleben und zum Selbstverständnis als katholischer Christ in der Kirchengemeinde.
Frau Madla, wie wäre das für Sie?
Der gemeinsame Empfang der heiligen Kommunion wäre endlich ein im partnerschaftlichen Sinne gemeinschaftliches Erlebnis.
Gibt es einen gemeinsamen Wunsch?
In der Offenheit und Unvoreingenommenheit, mit der das Forum „Geschieden - Wiederverheiratet“ geführt wurde und in der es sich uns darstellte, sollten auch andere Themen im Miteinander der Christen in der katholischen Kirche angegangen werden.
Peter Brucker, Rektor a. D. aus Longkamp
Beate Barg: Herr Brucker, wir haben von Pfr. Schultz gehört, wie er und die Gemeindemitglieder mit geschiedenen Wiederverheirateten umgehen. Wie war und ist das bei Ihnen?
Bis zu meiner Scheidung war ich ein sehr aktiver Christ in der katholischen Kirche. Ich agierte im Pfarrgemeinderat, in der Jugendarbeit, als Lektor und Kommunionhelfer. Nach der Scheidung hatte ich keinerlei Probleme mit Dechanten, Priestern oder Gemeindemitgliedern, so dass ich weiterhin engagiert in der Kirche mitmachen konnte.
Auf Vorschlag eines Dechanten wurde ich dann für vier Jahre zum Dekanatsratsvorsitzenden gewählt und machte das Thema „Familie“ zu meinem Schwerpunktthema.
Sie sind auch Synodaler. Wie kam es dazu?
Nach vier Jahren legte ich das Amt des Dekanatsratsvorsitzenden nieder. Auf Grund meiner Arbeit im Dekanatsrat, aber auch wegen meiner privaten Situation (geschieden - wiederverheiratet), schlug man mich für das Dekanat Bernkastel als Synodaler vor und ich wurde gewählt.
Ihre erste Ehe ist vor allem daran gescheitert, dass Ihre erste Frau keine Kinder wollte. Das wäre ja ein Grund gewesen, Ihre erste Ehe zu annullieren. Sie haben es nicht getan? Warum?
In der Tat war meine erste Ehe an dem Umstand gescheitert, dass meine Frau keine Kinder wollte. Ich entschied mich daher nach 15 Jahren Ehe, mich von meiner Frau zu trennen. Eine Annullierung hatte ich nie ins Auge gefasst, da bei solchen „Prozessen“ sehr viel „schmutzige Wäsche“ gewaschen wird. Das wollte ich weder meiner Frau noch etwaigen „Zeugen“ zumuten, zumal ich die Trennung als eine Sache zwischen mir und meiner Frau ansah, die Außenstehende im Detail nicht beurteilen können.
Haben Sie das Gefühl, Sie müssten noch etwas aus Ihrer ersten Ehe und der folgenden Trennung aufarbeiten? Sind da noch Reste von Schuld oder Versagen oder einfach das Gefühl nicht genug für den Erhalt der ersten Ehe getan zu haben?
Meiner Meinung nach ist die Einstellung der Kirche, die von einer „großen Schuld“ ausgeht, nicht tragbar. Eine gescheiterte Ehe hat mit Schuld meist wenig und mit Sünde überhaupt nichts zu tun, sondern mit Versagen, mit Scheitern. Ich glaube auch, dass ER mir nie gram war. Ich habe auch nichts aufzuarbeiten, mir wurde in meinem „neuen Leben“ genau das geschenkt, was ich mir immer von Ehe und Familie vorgestellt habe: Ich bin nun über 20 Jahre glücklich verheiratet, habe zwei Söhne, einen Stiefsohn und einen Enkel. Ich bin sehr zufrieden, ein Blick nach hinten bringt nichts und ich habe nie ein Bedürfnis verspürt.
Natürlich ist laut Canon 915 im Kirchengesetz (CIC) eine Ehe „unauflöslich“.
Das eigentliche Problem ist für mich, wie die „offizielle“ Kirche mit den Menschen umgeht, die trotz guten Willens – denn sonst hätten sie ja nicht geheiratet – in ihrer Beziehung gescheitert sind und einen Neuanfang wagen. Hier muss die Kirche einen anderen Weg finden. In diesem Zusammenhang ist für mich sehr wichtig, was Bischof Stephan Ackermann in einem TV-Interview sagte, nämlich dass eine Kernaussage des Evangeliums Versöhnung und Neuanfang ist und wie beispielhaft gerade Jesus mit „Gescheiterten“ umging.
Daher ist mein großer Wunsch an die Amtskirche, dass sie diese Botschaft des Evangeliums unbedingt in der heutigen Zeit umsetzt.