Die Kinesiologie (kínesis: griech. = Bewegung und logos = Lehre) zählt zu den unkonventionellen, parawissenschaftlichen Diagnose- und Therapiemethoden. Diese Methode wurde von dem amerikanischen Arzt und Physiotherapeuten George Goodheart erfunden. Er will entdeckt haben, dass die Kraft und Spannung eines Muskels diagnostische Aussagen über die Erkrankung von Organen, die in einer Art Reflexzone mit dem Muskel verbunden sein sollen, zulassen.
Die Kinesiologie wurde in verschiedenen Schulen weiterentwickelt, so z.B. im "Touch" for Health", (Heilen durch Berühren), als "Edukinesthetik" (Bewegungspädagogik), "Brain Gym" (Lerngymnastik) und in der"Physioenergetik" (nach van Asche). Heutzutage werden immer mehr Phantasienamen dazu erfunden: Energy Training, Energy Life Circle, Movement Dynamics, Transformationskinesiologie und sogar "Wirtschaftsberatung Kinesiologisch-Kybernetische Strategie", (KKS).
Die Heilsversprechen der Kinesiologie werden in den letzten Jahren immer umfassender. So bieten sich "Edu-Kinesthetik" und "Brain Gym" in der Nachhilfe und Lernförderung für hilfesuchende Lehrer und Eltern als eine wahre pädagogische Wunderwaffe an. Viele Anbieter von Kinesiologie wollen nicht bloß den körperlichen Aspekt einer Erkrankung heilen, sondern ganz explizit "mit der seelischen, geistigen und übergeordneten spirituellen Ebene" arbeiten.
Hinter der Kinesiologie steht, obwohl das vielen Kinesiologen kaum bewusst ist, das weltanschauliche Konzept der "fließenden kosmischen Lebensenergie" aus der fernöstlichen Philosophie und Medizin. Krankheit wird hierbei als "gestörter Energiefluss" angesehen. Fließt die Energie ungehindert und harmonisch auf den im Körper angenommenen Energiebahnen und ist "in Balance", dann sind nach der Kinesiologie die Organe gesund und der Muskel ist entsprechend "stark". Vielfach beruht die Diagnose über gestörten Energiefluss durch den Druck des Behandlers auf den erhobenen Arm des Patienten. Während des Muskeltests legt der Kinesiologe seine Hand auf die Organregion, deren Funktionstüchtigkeit er prüfen will. In angewandter Kinesiologie soll der Patient durch Berührungen und Massagen oder durch Körperübungen "ausbalanciert", "geerdet" und "geheilt" werden. Durch diese Methoden lösen sich angeblich die Energieblockaden auf. Hierbei wird deutlich, dass die Übergänge zu esoterischen Anschauungen fließend sind. So ist es auch nicht verwunderlich, dass für Kinesiologie im "Lichtinfo", einem großen deutschsprachigen Esoterik-Forum im Internet geworben wird.
Kinesiologie wird durch eine internationale Gesellschaft mit Sitz in den USA gefördert, kann in weltweit verbreiteten Instituten, durch privates Bücherstudium oder in Schnellkursen erlernt werden. Eine berufliche Vorraussetzung wird nicht gefordert und eine Qualitätskontrolle der Anwendung gibt es praktisch nicht.
Die Kinesiologie birgt nicht geringe medizinische, aber auch weltanschauliche Risiken. Nach der Stiftung Warentest besteht die Gefahr, "dass Gesunde krank, Kranke gesund erklärt werden". Das wiederum kann dazu führen, dass notwendige Therapien versäumt werden. Es gibt keine anerkannte wissenschaftliche Dokumentation darüber, ob die kinesiologische Methode tatsächlich das herausfinden kann, was sie behauptet. Natürlich sind bestimmte einfach Übungen aus sich heraus schon entspannend und positiv beeinflussend und deshalb brauchen sie nicht mit den Energievorstellungen asiatischer Philosophie überhöht zu werden.
Die Kinesiologie ist in der Vorgehensweise in einem hohen Maße suggestiv und kann Menschen in die Abhängigkeit eines Behandlers bringen. Auch birgt die weltanschauliche Annahme, der Mensch sei über die "Energie-balance" und das Beseitigen von "Energieblockaden" zu vervollkommnen und zu heilen, ein hohes weltanschauliches Konfliktpotential mit sich, dessen man sich bewusst sein sollte.
Dr. theol. Eckhard Türk
Der Autor ist Leiter der Stabsstelle Sekten- und Weltanschauungsfragen des Bistums Mainz,
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Stand: März 2009