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Der liberal und patriotisch gesinnte Staats- und Strafrechtler und spätere Abgeordnete der Badischen Zweiten Kammer und des Paulskirchenparlaments Karl Theodor Welcker war im Vormärz Professor für Strafrecht in Bonn. Wegen seiner politischen Tätigkeit wurden mehrere polizeiliche und strafrechtliche Verfahren gegen ihn angestrengt.
Der Lebenslauf Welckers legt es zunächst nicht unbedingt nahe, ihn unter die „rheinischen Köpfe" zu zählen: Geboren am 29.3.1790 im oberhessischen Oberofleiden (heute Stadt Homberg an der Ohm), verbrachte der Pfarrerssohn die meiste Zeit seines akademischen und politischen Lebens außerhalb des Rheinlands. Nach dem Abitur nahm er 1806 sein Studium an der nahe gelegenen Universität Gießen auf und schloss dieses in Heidelberg ab, wo er am 24.4.1813 promoviert wurde und sich noch im selben Jahr habilitierte. Sein erster Ruf als Strafrechtslehrer führte ihn 1814 nach Kiel, wo er ordentlicher Professor der Rechte wurde. Im Juli 1817 wechselte er in gleicher Funktion nach Heidelberg, ehe er schließlich durch seinen Ruf nach Bonn 1819 erstmals mit dem Rheinland in Berührung kam. Doch bereits 1822 wechselte er an die Universität Freiburg, wo er nicht nur zu einem der bedeutendsten Staatsrechtler seiner Zeit aufstieg, sondern sich auch als Politiker hervortrat und von 1831 an für fast 20 Jahre der Zweiten Kammer des badischen Landtags angehörte.
Im Rahmen seiner parlamentarischen Tätigkeit setzte er sich vor allem für die Presse- und Wissenschaftsfreiheit ein. Seine nach damaliger Auffassung radikalen politischen Ansichten verwickelten ihn jedoch nicht nur in diverse Prozesse, sondern führten auch zu repressiven Maßnahmen der badischen Regierung, die seine Lehrtätigkeit anfänglich behinderte und schließlich völlig unterband. Als 1848 der Liberalismus den Kampf um die politische Macht in Deutschland zu gewinnen schien, nahm Welcker entscheidenden Anteil an der Organisation der parlamentarischen Arbeit: Zunächst wirkte er im so genannten Siebenerausschuss mit, der die Arbeit des Parlaments vorbereitete, später spielte er eine bedeutende Rolle im Vorparlament und schließlich auch in der Paulskirchenversammlung, wo er dem wichtigen Verfassungsausschuss angehörte. Zeitweise war er gleichzeitig auch Vertreter der badischen Regierung am Bundestag in Frankfurt am Main.
Nach dem Scheitern der Paulskirchenverfassung zog sich Welcker enttäuscht nach Heidelberg zurück, wo er sich kaum noch politisch betätigte, sondern vor allem wissenschaftlich arbeitete. In den 1860er Jahren versuchte er sich nochmals als Politiker, musste aber bald das Scheitern seiner Hoffnung auf eine Reichseinigung unter Beteiligung Österreichs erkennen. Am 10.3.1869 starb Welcker in Neuenheim nahe Heidelberg.
Scheint Welcker damit über den Großteil seines Lebens regional eher im süddeutschen Raum beheimatet, so rechtfertigen es doch die Ereignisse während seiner kurzen Bonner Episode, ihn unter die „rheinischen Köpfe" zu zählen. Seine Bonner Zeit kann nämlich mit guten Gründen als Wendepunkt in seiner wissenschaftlichen und politischen Karriere betrachtet werden. Um diese Wende zu verstehen, empfiehlt sich ein Rückblick auf Welckers Anfänge. Seit seiner Gymnasialzeit lassen sich zwei große Interessenschwerpunkte erkennen: Die Leidenschaft für die Wissenschaft und ein nicht zuletzt durch Zeitereignisse hervorgerufenes politisches Interesse. Zu Beginn seiner Karriere dominierte eindeutig die Wissenschaft. Von Anfang an zählte sein sechs Jahre älterer Bruder, der Altphilologe Friedrich Gottlieb (1784-1868), zu Welckers großen Vorbildern. Er weckte schon im Elternhaus sein Interesse für den deutschen Idealismus, dem er auch im Studium weiter nachging. Mit dem Strafrechtler Karl von Grolman (1775-1829) in Gießen und dem Romanisten Anton Friedrich Justus Thibaut (1772-1840) gehörten zwei der bedeutendsten Juristen ihrer Zeit zu Welckers Lehrern. Obwohl er sich später gegen Plagiatsvorwürfe wehren musste, gelang es ihm mit seiner Habilitationsschrift über „Die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe" in Fachkreisen auf Anhieb berühmt und bereits in sehr jungen Jahren zum Professor ernannt zu werden. Schon dieses Frühwerk zeigt, wie sehr Welcker Staat, Politik und Recht stets in ihrer wechselseitigen Verschränkung sah: So formuliert er seine allerdings ansatzweise synkretistische (gedanklich aus unterschiedlichen Quellen herbeigeführte) Grundlegung der Strafe nicht für irgendeinen Staat, sondern für den von ihm als Fluchtpunkt der Geschichte gehaltenen „Staat der Vernunft", den Rechtsstaat. Bis zu seinem Ruf nach Bonn beschäftigte sich Welcker aber nur gelegentlich mit staatsrechtlichen Problemen und blieb ansonsten zunächst der Strafrechtswissenschaft treu. Es war somit nicht der später als solcher bekannt gewordene liberale politische Publizist, um dessentwillen die neu gegründete Universität Bonn Welcker 1819 berief, sondern der durchaus innovative und in der Lehre besonders erfolgreiche Strafrechtler.
Umgekehrt überrascht aber doch, dass Welcker, immerhin aus Heidelberg kommend, den Ruf nach Bonn annahm. Denn im nunmehr zu Preußen gehörenden Rheinland galt nach wie vor das Recht Frankreichs, der Code Napoléon, und dieser war auch Gegenstand der Vorlesungen, die der bekennende deutsche Patriot Welcker nunmehr zu halten hatte. Obwohl sich Welcker in seiner Kieler Zeit mit den dort selbstbewusst auftretenden dänischen Studenten in der nationalen Frage entzweit hatte, schien ihm der Wechsel in das ebenfalls nicht durchgängig deutschnational gesinnte Rheinland nicht schwer gefallen zu sein. Vielleicht hatte er sich, ähnlich wie sein berühmter Kollege, der Strafrechtler Carl Joseph Anton Mittermaier (1787-1867), von einem verstärkten Studium des damals modernsten französischen Rechts eine Vertiefung seiner juristischen Erkenntnisse versprochen. Vielleicht hatte er aber auch auf den Genuss der Lehrfreiheit an der von Preußen mit viel reformerischem Eifer gegründeten, lebendigen und exzellent besetzten Bonner Universität gehofft. In Bonn traf Welcker nicht nur seinen stets tief verehrten Bruder Friedrich Gottlieb wieder, sondern auch andere liberale Gesinnungsgenossen wie Ernst Moritz Arndt und den schon erwähnten Mittermaier. Jedenfalls ist überliefert, dass Welcker seine Professur in Bonn mit großem Enthusiasmus antrat.
Diese Begeisterung wich allerdings bald einem Zustand des Schocks: Am frühen Morgen des 15.7.1819 verschaffte sich die Polizei unter einem Vorwand Einlass in Welckers Haus und beschlagnahmte auf Befehl des Leiters des Polizeiministeriums, Karl Albert von Kamptz (1769-1849), sämtliche Akten und Papiere. Welcker war, wie Arndt und sein Bruder, Opfer der von der preußischen Regierung nach den Karlsbader Beschlüssen 1819 mit großer Härte durchgeführten Demagogenverfolgungen geworden. Erst nach langwierigen Untersuchungen erfuhr er, was die preußischen Behörden ihm vorwarfen: Noch in seiner Gießener Zeit war er dem Aufruf Arndts zur Gründung „vaterländischer Gesellschaften" gefolgt und hatte sich 1814 an der Gründung einer allerdings sehr kurzlebigen „Teutschen Lesegesellschaft" beteiligt. Außerdem bezichtigte man Welcker der Mitwisserschaft hinsichtlich des Wartburgfestes 1817 und hielt ihm angeblich umstürzlerische Ansichten vor, die er in diversen Briefen und Manuskripten zu Papier gebracht hatte. Dies alles war aber auch nach damaliger Rechtslage kaum geeignet, den Vorwurf des Hochverrats zu rechtfertigen. Die preußische Regierung zog daher das Verfahren immer weiter in die Länge und beschloss 1822, Welcker einem Disziplinarverfahren zu unterwerfen, während dieser aber seinen Standpunkt lieber vor einem Strafgericht gerechtfertigt hätte. Doch die Sache kam letztlich nicht mehr zur Verhandlung, denn nachdem Welcker einen Ruf der Universität Freiburg im Großherzogtum Baden angenommen hatte, wurde das Verfahren schließlich eingestellt.
Sowohl politisch als auch wissenschaftlich kann die Bonner Episode als Wendepunkt im Leben Welckers interpretiert werden. Die ohne Wahrung rechtsstaatlicher Anforderungen rücksichtslos gegen ihn exerzierte Untersuchung führte bei Welcker zu einer maßlosen Enttäuschung über den von ihm zunächst durchaus positiv beurteilten preußischen Staat und seine Verwaltung. Bemerkenswerterweise nahm der glühende deutsche Patriot aber die rheinische Justiz, die sich damals strikt an französischem Recht orientierte, von dieser negativen Beurteilung aus und bezog sich sogar in seinen vielen Eingaben an die preußische Verwaltung auf die französische Verfassung und den „code d’instruction criminelle" von 1808. Welckers Aversion gegen Preußen sollte auch in seinem späteren politischen Handeln erkennbar bleiben, etwa als er sich in der Nationalversammlung 1848 lange Zeit für die großdeutsche Lösung aussprach und auch gegen Ende seines Lebens auf Seiten der süddeutschen Staaten stand.
Seine Verwicklung in die Demagogenverfolgung änderte auch Welckers Selbstverständnis als Wissenschaftler. Als „politischer Professor" widmete er sich fortan vor allem verfassungsrechtlichen Fragen, kämpfte auf Seiten der Liberalen aktiv als Politiker für Meinungs-, Wissenschafts- und Pressefreiheit. Auch in seinem seit 1834 gemeinsam mit dem Historiker Karl von Rotteck (1775-1840) herausgegebenen epochemachenden „Staats-Lexikon" versuchte Welcker, seine juristischen Kenntnisse in den Dienst der liberalen Sache zu stellen. Es ist vor allem dieses auch als „Rotteck-Welckersche Staatslexikon" bezeichnete Werk, für das er etwa 200 Artikel verfasste, durch das Welcker seine bis heute reichende Bedeutung erlangt hat.
Werk
Welcker, Karl Theodor, Oeffentliche actenmäßige Vertheidigung gegen die öffentliche Verdächtigung der Theilnahme oder Mitwisserschaft an demagogischen Umtrieben in und mit Abhandlungen für das öffentliche Recht, Stuttgart 1823.
Literatur
Gall, Bernd, Die individuelle Anerkennungstheorie von Karl Theodor Welcker. Ein Beitrag zum Begriff der Rechtspflicht, Bonn 1971.
Müller-Dietz, Heinz, Das Leben des Rechtslehrers und Politikers Karl Theodor Welcker, Freiburg i.Br. 1968.
Wild, Karl, Karl Theodor Welcker. Ein Vorkämpfer des älteren Liberalismus, Heidelberg 1913.
Online
Weech, Friedrich von, Artikel "Welcker, Karl Theodor", in: Allgemeine Deutsche Biographie 41 (1896), S. 660-665. [Online]
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von Mayenburg, David, Karl Theodor Welcker, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/karl-theodor-welcker/DE-2086/lido/57c92c2d284935.53290211 (abgerufen am 19.08.2024)