Die Freiheit zu glauben – Das Recht zu wissen

Ansprache beim Willi Graf-Empfang des Katholischen Büros Saarland am 5. November 2012

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
verehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung,
meine Damen und Herren Abgeordneten,
sehr geehrte Leiter wichtiger Institutionen hier im Saarland,
lieber Bischof Karl Heinz,
liebe Mitbrüder,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus unseren beiden Bistümern,
sehr geehrte Damen und Herren!

Im Rahmen der diesjährigen Herbstvollversammlung in Fulda haben wir Bischöfe uns bei unserem sog. Studientag mit der Frage der „Glaubenskommunikation in Religionsunterricht und Katechese“ beschäftigt. Anliegen und Thematik dieses Studientages standen in enger Beziehung zum „Jahr des Glaubens“, das Papst Benedikt XVI. am 11. Oktober eröffnet hat, und zur XIII. ordentlichen Bischofssynode, die vor gut acht Tagen in Rom zu Ende ging. Diese stand unter dem Thema: „Die neue Evangelisierung für die Weitergabe des christlichen Glaubens“. Mit unserem Studientag wollten wir Bischöfe noch einmal bekräftigen, dass der Religionsunterricht und die Katechese bei der Weitergabe des Glaubens für die Kirche von zentraler Bedeutung sind.

Der Religionsunterricht spielte auch im letzten Spitzengespräch zwischen der Landesregierung und unseren beiden Bistümern im August insofern eine Rolle, als die Landesregierung uns über die geplante Einführung eines islamischen Religionsunterrichtes informiert hat. Dieser soll zunächst in Modellprojekten erprobt werden. Bischof Wiesemann und ich haben diese Überlegungen begrüßt. Entscheidend wird sicher sein, die Frage der Ansprechpartner auf muslimischer Seite verbindlich zu klären.

Es legt sich also nahe, beim diesjährigen Willi-Graf-Empfang einmal den Religionsunterricht zum inhaltlichen Schwerpunkt zu machen. Eine aktuelle Bekräftigung erfuhr dieses Vorhaben dadurch, dass es jüngst hier im Land zwei öffentlichkeitswirksame kritische Anfragen an die geltenden Staatskirchenverträge zur theologischen Ausbildung der künftigen Religionslehrerinnen und –lehrer an der Universität des Saarlandes gab. Umso mehr möchte ich also heute Abend mit Ihnen den Blick auf den Religionsunterricht in seinen Zielsetzungen und in seiner aktuellen Situation richten.

Religion ist ein Unterrichtsfach, das im Rahmen des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule denselben pädagogischen sowie didaktisch-methodischen Qualitätsanforderungen gerecht werden muss wie jedes andere Fach. Seine besondere Aufgabe liegt darin, den christlichen Glauben zu erschließen, und zwar im Dialog mit den Erfahrungen und Überzeugungen der Schülerinnen und Schüler, mit dem Wissen der übrigen Fächer und den Positionen anderer Konfessionen und Religionen. Dabei soll deutlich werden: Die christliche Botschaft hat für die Herausforderungen der Lebens- und Weltgestaltung des Menschen einen unverwechselbaren und unverzichtbaren Wert. Aus dieser Feststellung ergeben sich freilich vielfältige Fragen und Überlegungen. Ich greife heute Abend ein konstituierendes Element des Religionsunterrichtes heraus, das ich in den Mittelpunkt meiner Überlegungen stellen möchte: die konfessionelle Prägung des Religionsunterrichtes.

In einem ersten Teil skizziere ich (1.) kurz einige Herausforderungen, vor denen der Religionsunterricht heute steht. Sodann möchte ich Ihnen (2.) am Beispiel zentraler Dokumente Begründungen und Bausteine zum Konfessionalitätsprinzip darlegen. Ich schließe (3.) mit einem Ausblick für das weitere Bemühen um den schulischen Religionsunterricht.

1. Aktuelle Herausforderungen

Zweifellos steht der Religionsunterricht heute vor gewaltigen Herausforderungen. Einige Aspekte seien genannt (vgl. Die deutschen Bischöfe (Nr. 80): Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, Bonn 2005, Kap. 2.):

  • Eine wachsende Zahl der Schülerinnen und Schüler, die am Religionsunterricht teilnehmen, macht kaum noch Erfahrungen mit konkret gelebtem Glauben.
  • In vielen Familien findet heute kaum mehr eine religiöse Erziehung statt.
  • Zur Gemeinde haben viele Kinder und Jugendliche nur gelegentlich Kontakt.
  • Die Relevanz des Glaubens für die Bewältigung des Alltags wird in Frage gestellt.
  • Für viele Jugendliche ist der Religionsunterricht in der Schule der wichtigste Ort der Begegnung mit dem christlichen Glauben. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Ziele und Aufgabe des Religionsunterrichtes häufig von den Jugendlichen hinterfragt werden.
  • Die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen ist durch das Faktum der religiösen Pluralität geprägt.
  • Neben die Pluralität christlicher Bekenntnisformen ist in den letzten Jahren eine oftmals diffuse Religiosität mit synkretistischen Zügen getreten.
  • Zusammen mit einer nie dagewesenen Individualisierung des Glaubens wird Religion weithin als eine subjektive Angelegenheit ohne Bezug zu einer Gemeinschaft und ihrer Tradition verstanden und gelebt.

Nehmen wir nun noch bewusst die konfessionelle Prägung des schulischen Religionsunterrichtes in den Blick, dann müssen wir konstatieren:

  • Die konfessionellen Bindungen der Getauften haben sich abgeschwächt, d. h. das Bewusstsein der eigenen Konfession und das Wissen um sie nimmt ab. Die konfessionellen Grenzen treten zunehmend in den Hintergrund.
  • Sehr viele Schülerinnen und Schüler leben heute in konfessionverbindenden Familien.
  • Die konfessionelle und religiöse Zusammensetzung an den Schulen hat sich verändert: Der Anteil der Nichtgetauften sowie der Schülerinnen und Schüler anderer Religionen ist größer geworden.
  • Die organisatorischen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichtes sind z.T. dadurch erschwert, dass Religionsunterricht nicht selten jahrgangsübergreifend unterrichtet wird, häufig verbunden mit einer Randlage im Stundenplan. (Zur Frage der Veränderungen des Religionsunterrichtes siehe auch: Hans Schmid, 10 Thesen zur Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichtes, in: KatBl 135 (2010) 58-60.)

Umso erstaunlicher ist daher die Tatsache, dass keine signifikanten Abmeldezahlen vom Religionsunterricht zu verzeichnen sind. Dennoch besteht vor dem skizzierten Hintergrund verstärkt die Herausforderung, die Sinnhaftigkeit des konfessionellen Religionsunterrichtes zu begründen. Ich möchte eine Antwort versuchen, indem ich im folgenden Schritt am Beispiel einschlägiger Texte eine Art Architektur des konfessionellen Religionsunterrichtes entwerfe.

2. Konfessioneller Religionsunterricht: Begründungen und Bausteine

Ein kurzer Blick auf die rechtlichen Vorgaben ergibt Folgendes:

  • In Art. 7 (3) GG heißt es: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“
  • Art. 29 der Landesverfassung des Saarlandes sagt: „Der Religionsunterricht ist an allen öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach. Er wird erteilt im Auftrag und im Einvernehmen mit den Lehren und den Satzungen der betreffenden Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Recht, im Benehmen mit der staatlichen Aufsichtsbehörde die Erteilung des Religionsunterrichts zu beaufsichtigen. Lehrplan und Lehrbücher für den Religionsunterricht bedürfen der Zustimmung der staatlichen Aufsichtsbehörde. Die Eltern können die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht ablehnen. Den Kindern darf daraus kein Nachteil entstehen. Diese Ablehnung kann auch durch die Jugendlichen selbst geschehen, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben.“

Das Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Saarland sieht in § 10 vor:

  • „Der Religionsunterricht ist an allen öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach.
  • In Schulen, die einer besonderen Fachausbildung dienen, ist der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach, soweit an diesen Schulen Religion zur Berufsausbildung gehört.
  • Der Religionsunterricht wird nach Bekenntnissen getrennt in Übereinstimmung mit den Lehren und Grundsätzen der betreffenden Kirche oder Religionsgemeinschaft erteilt.“

So weit die rechtlichen Grundlagen. Schauen wir nun auf die wichtigsten kirchlichen Verlautbarungen zum konfessionellen Religionsunterricht. Ein gültiger Bezugspunkt ist bis heute der Beschluss zum Religionsunterricht in der Schule, den die Gemeinsame Synode der Bistümer in der BRD im Jahr 1974 gefasst hat. Die Synode, die in den Jahren 1971 - 1974 stattfand, wollte ja die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils auf der Ebene der katholischen Kirche in Deutschland umsetzen.

Die Begründung des schulischen Religionsunterrichtes stützt sich im Dokument der Synode auf drei Argumentationsstränge (Vgl. Der Religionsunterricht in der Schule, 2.3.4 (Offizielle Gesamtausgabe. Neuausgabe, Freiburg 2012, 135)):

  • einen kulturgeschichtlichen Argumentationsstrang: Schule soll den jungen Menschen mit den geistigen Überlieferungen vertraut machen, die unsere kulturelle Situation geprägt haben; das Christentum und seine Konfessionen gehören zu unseren prägenden geistigen Überlieferungen;
  • einen anthropologischen Argumentationsstrang: Schule soll dem jungen Menschen zur Selbstwerdung verhelfen; der Religionsunterricht hilft durch sein Fragen nach dem Sinn-Grund des Lebens und der Welt dazu, die je persönliche Rolle und Aufgabe in der menschlichen Gemeinschaft und im Leben angemessen zu sehen und wahrzunehmen;
  • einen gesellschaftlichen Argumentationsstrang: Schule kann sich nicht zufrieden geben mit der bloßen Anpassung der Schülerinnen und Schüler an die gegebenen Verhältnisse dieser Welt; der Religionsunterricht ist angelegt auf die Relativierung unberechtigter Absolutheitsansprüche, auf Proteste gegen Unstimmigkeiten und auf verändernde Taten.

Damit sind wir auch schon bei den Zielen angelangt, die die Synode für den Religionsunterricht formuliert:

  • Er „weckt und reflektiert die Frage nach Gott, nach der Deutung der Welt, nach dem Sinn und Wert des Lebens und nach den Normen für das Handeln des Menschen und ermöglicht eine Antwort aus der Offenbarung und aus dem Glauben der Kirche;
  • er macht vertraut mit der Wirklichkeit des Glaubens und der Botschaft, die ihm zugrunde liegt und hilft, den Glauben denkend zu verantworten;
  • er befähigt zu persönlicher Entscheidung in Auseinandersetzung mit Konfessionen und Religionen, mit Weltanschauungen und Ideologien und fördert Verständnis und Toleranz gegenüber der Entscheidung anderer;
  • er motiviert zu religiösem Leben und zu verantwortlichem Handeln in Kirche und Gesellschaft“.

Vor dem Hintergrund dieser Ziele wird im Synodentext auch das Prinzip der Konfessionalität verstanden. Dabei sind zwei Aspekte entscheidend: (1.) Konfessioneller Religionsunterricht ist abzugrenzen von einem „konfessionalistischen“ Verständnis. Es geht nicht darum, sich innerhalb des eigenen Bekenntnisses abzuschotten, sondern es geht um Identität in Offenheit. Die Beschäftigung mit dem Standpunkt anderer, der Respekt vor ihren Überzeugungen und der engagierte Dialog werden möglich auf der Basis einer klaren eigenen Überzeugung, eines klaren eigenen Standpunktes. (2.) Jedes Glaubensbekenntnis ist gebunden an eine lebendige Glaubensgemeinschaft. Greifbar ist dieses Bekenntnis immer nur in seiner jeweiligen konkret-gemeinschaftlichen Ausprägung. Der Religionsunterricht hat es als Unterrichtsgegenstand daher immer auch mit einer Konfessionsgemeinschaft zu tun. Selbst wenn die praktische Verbundenheit der Schülerinnen und Schüler mit ihrer Konfession gering ist, bildet diese den gemeinsamen „Boden“, auf dem Lehrende wie Lernende stehen. (Vgl. a.a. O., 2.7 (143-146))

Fügen wir in wenigen Strichen noch die Ergänzungen und Akzentsetzungen hinzu, die die nach 1974 zum Religionsunterricht veröffentlichten kirchlichen Dokumente vorgenommen haben:

Im Jahr 1996, mehr als 20 Jahre nach dem Synodenbeschluss, haben sich die deutschen Bischöfe erneut in einer umfassenden Schrift der Thematik des Religionsunterrichtes angenommen Die bildende Kraft des Religionsunterrichtes. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichtes). Darin wurden die Grundpositionen des Synodentextes bestätigt, allerdings im Blick auf die veränderte Situation ergänzt: Der Text nennt den Beitritt der neuen Bundesländer, das veränderte Bild der Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung sowie aktuelle Probleme im Bereich der Schule. Nicht unerwähnt bleiben im Vorwort zu diesem Dokument die intensiven ökumenischen Kontakte zwischen den Kirchen. (Vgl. dazu auch die Denkschrift „Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (1994).) Mit Blick auf den Aspekt der Konfessionalität des Religionsunterrichtes hält der Text u. a. noch einmal fest (Vgl. Die deutschen Bischöfe (Nr. 56), Bonn 5. Aufl. 2009, Nr. 9.): Die konfessionelle Prägung des Religionsunterrichtes ist konkreter Ausdruck der Verwurzelung des Glaubens in einer erfahrbaren religiösen Lebenswelt. Kirche braucht das Bekenntnis. Deshalb ist sie konfessionell. Darum bestehen die Kirchen auf dem konfessionellen Religionsunterricht, wie er auch im Grundgesetz (Art. 7 Abs. 3) gewährleistet ist. Dies gilt auch in einer Zeit der geringer werdenden Bindung an die Kirche und einer nachlassenden Glaubenserfahrung. Den Lehrern und Lehrerinnen kommt in diesem Konzept der Auftrag zu, „als Zeugen loyal zum Bekenntnis ihrer Kirche zu stehen und dieses glaubwürdig zu vermitteln.“

Die jüngste Veröffentlichung zum Thema Religionsunterricht stammt aus dem Jahr 2005 (Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen). In ihr werden angesichts neuer Herausforderungen – hierzu zählen insbesondere die Maßnahmen der Schulreform sowie die veränderte religiöse Situation der Kinder und Jugendlichen – die Aufgaben und Ziele des katholischen Religionsunterrichtes noch einmal neu bedacht. Im Blick auf die uns interessierende Frage seien nur die folgenden beiden Aussagen hervorgehoben:

„Das Spezifikum des konfessionellen Religionsunterrichts liegt darin, dass Glaube und Kirche in der Perspektive der Teilnehmer [!] thematisiert werden. Der Unterricht wird von Lehrerinnen und Lehrern erteilt, die das Bekenntnis der Kirche teilen und am kirchlichen Leben teilnehmen. Seine Inhalte sind von diesem Bekenntnis bestimmt. Auch wenn die meisten Schülerinnen und Schüler kaum Erfahrungen mit dem Leben der Kirche haben, so sind sie doch in aller Regel durch die Taufe mit ihr verbunden. Dies ist religionsdidaktisch [!] durchaus bedeutsam. Denn die Taufentscheidung (…) gehört in den meisten Regionen Deutschlands nicht mehr zu den sozialen Konventionen, sondern wird bewusst getroffen.“ (A. a. O., S. 23)

Und: „Das lehrmäßige und theologische Sprechen über Gott, Jesus Christus und den Glauben bleibt (…) immer auf die Nachfolgepraxis der Kirche verwiesen.“ (A. a. O., S. 24) Das heißt: Schulischer Religionsunterricht wird nicht von einem irgendwie übergeordnet-neutralen Standpunkt aus betrieben, sondern aus der Zugehörigkeit der Lernenden ebenso wie auch der Lehrenden zu einer Gemeinschaft, in der der Glaube in konkreten Formen und Vollzügen bekannt und gelebt wird. Wie sollte es auch anders sein? Wer anders sollte auch die Inhalte bestimmen: Soll das die jeweilige Schulleitung sein, die gewissermaßen hoheitlich die religiöse Auseinandersetzung an ihrer Schule bestimmt? Oder soll dies eine übergeordnete staatliche Instanz sein, die jenseits der normativen Instanzen der betreffenden Glaubensgemeinschaften eine Art von übergeordnetem „Lehramt“ darstellt? Das widerspräche nicht nur dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, sondern erinnerte überdies an das Konzept totalitärer Regime, die mit ihrem Totalanspruch auch den Platz der Religion besetzen wollen.

Aus diesem Grund ist auch die da und dort zu beobachtende Etablierung einer Art von überkonfessioneller oder gar interreligiöser „Schulreligion“ äußerst kritisch zu betrachten. Die Motive, die zu einer solchen Art von Religion führen, können inhaltlicher Art sein („Man“ will die Ökumene bzw. den interreligiösen Dialog auf der Ebene der Schule vorantreiben; oder, banaler: Die Schulleitung versteht die konfessionellen Unterschiede nicht mehr oder will sie schlicht nicht mehr akzeptieren.) Zumeist werden es aber vor allem schulorganisatorische Fragen sein, die die Ausbildung einer solchen „Schulreligion“ begünstigen: wenn es etwa um die Feier gemeinsamer Schulgottesdienste am Beginn bzw. am Ende eines Schuljahres geht, wenn einschneidende Ereignisse im Schulalltag zu bewältigen sind, etwa bei Notlagen oder tragischen Trauerfällen. (Auf die Problematik sog. interreligiöser Feiern kann hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu die Arbeitshilfe Nr. 170 der deutschen Bischöfe: „Leitlinien für das Gebet bei Treffen von Christen, Juden und Muslimen“, 2. überarb. Auflage Bonn 2008.)

Ich kann diesem Phänomen einer Art von „Zivilreligion“ in der Schule hier nicht näher nachgehen. Gerade dieses Phänomen zeigt aber, dass sich die Beschäftigung mit dem Glauben nicht auf den reinen Unterricht und die rein rationale Auseinandersetzung begrenzen lässt, sondern immer auch eine emotionale Dimension enthält und geradezu von selbst in konkrete religiöse Formen und Vollzüge drängt. Diese tragen notwendigerweise einen wie auch immer gearteten bekenntnishaften Charakter. Wo die Rückbindung religiöser Vollzüge an die konkreten Bekenntnisgemeinschaften verdunkelt wird, besteht die Gefahr des Synkretismus. Ein Religions- bzw. Konfessions-Mix erschließt aber den Schülern nicht den eigenen Glauben (was das eigentliche Ziel des Religionsunterrichtes ist), sondern verdunkelt ihn.

Werfen wir zum Abschluss dieses Abschnitts noch einen Blick auf die Frage der Kooperation von evangelischem und katholischem Religionsunterricht: Auf der Grundlage ihrer jüngsten Dokumente haben die beiden Kirchen 1998 eine Vereinbarung zur Kooperation geschlossen. Darin steht die Konfessionalität des Religionsunterrichtes für beide Kirchen nicht in Frage. Zugleich besteht aber Übereinstimmung darin, dass „konfessioneller Religionsunterricht immer auch in ökumenischem Geist erteilt wird“. Die Vereinbarung zwischen EKD und DBK benennt Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Kooperation mit Blick auf verschiedene Formen in der schulischen Praxis, auf der Ebene der Schulverwaltungen sowie in der Lehrerbildung.  (Vgl. http://www.ekd.de/download/konfessionelle_kooperation_1998.pdf, Stand: 10.11.2012)

Schon die bischöfliche Verlautbarung von 1996 legt übrigens Wert darauf, dass das vorgesehene Konzept des Religionsunterrichtes nicht „Enge und Abschottung“ bedeutet. „Was zwischen den Kirchen an Kooperation möglich ist, kann auch für die beiden Fächer des evangelischen und des katholischen Religionsunterrichtes nutzbar gemacht werden“. (Die deutschen Bischöfe (Nr. 56), S. 58 .) Die Kooperation empfiehlt sich bei gemeinsam interessierenden Themen und Aktionen (parallele Elemente in den Lehrplänen, wechselseitige Verwendung von Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien, Zusammenarbeit der Fachkonferenzen, gemeinsame Veranstaltungen im Rahmen der Schulpastoral, Zusammenarbeit bei Fortbildungsveranstaltungen ...).

Kardinal Karl Lehmann hat als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz aber auch immer wieder die Zusammengehörigkeit zwischen den Glaubensaussagen und der Glaubenspraxis innerhalb der jeweiligen Konfession in Erinnerung gerufen. So sagte er 2007 in Mainz: Die „enge Verbindung von Glaubensaussagen mit der Glaubenspraxis wird in der Diskussion um einen gemeinsamen Religionsunterricht für katholische und evangelische Schüler zu wenig beachtet. Die dogmatischen Unterschiede in der Eucharistielehre oder in der Ämtertheologie sind weder theologische Spitzfindigkeiten noch Relikte längst vergangener Kontroversen. Sie prägen vielmehr die jeweilige liturgische Gestaltung der Eucharistie- bzw. Abendmahlsfeier, den Stellenwert der Eucharistie im Gemeindeleben und in der Frömmigkeit der Einzelnen. Ohne Bezug zur Glaubenspraxis klingen manche Glaubenslehren in der Tat abstrakt. Deshalb ist es wichtig, dass dieser Bezug von Glaubenswissen und Glaubenspraxis auch im Unterricht bewusst gemacht und die Schülerinnen und Schüler mit dem gelebten Glauben der Kirche vertraut gemacht werden.“ (Religionsunterricht als „Anwalt der Vernunft“. Vortrag anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Zeitschrift „rhs – Religionsunterricht an höheren Schulen“ am 28.04.2007 in Mainz (http://www.bistummainz.de/bistum/bistum/kardinal/texte/texte_2007/rhs2007.html; Stand 10.11.2012).

In der Vereinbarung zwischen EKD und DBK wird abschließend die Frage der Teilnahme von Schülern und Schülerinnen am Religionsunterricht der jeweils anderen Konfession angesprochen, die in Ausnahmen möglich ist. Für das Saarland ist mit dem „Erlass über die Teilnahme konfessionsfremder oder konfessionsloser Schüler am Religionsunterricht“ von 1985 die Frage geregelt. Wichtig ist dabei, dass die Zulassung nicht gegen den Willen des aufnehmenden Religionslehrers/ bzw. der Religionslehrerin geschehen darf.

3. Ausblick

Ich möchte zusammenfassen und damit zugleich den Blick nach vorne richten: Der bekenntnisgebundene Religionsunterricht bisheriger Prägung wird auch in Zukunft an ganz vielen Orten die angemessene Form des Unterrichts darstellen. Deshalb dürfen wir in den Bemühungen nicht nachlassen, den konfessionellen Religionsunterricht zu sichern, das heißt ihn argumentativ immer wieder zu begründen. Die stärkste Plausibilität erreicht freilich ein guter Unterricht selbst.

Ich bin übrigens dankbar, dass es für die hier vorgetragene Sicht auch auf der Bundesebene Unterstützung gibt: So hat Bundeskanzlerin Merkel in der vergangenen Woche in ihrem wöchentlichen Videospot, der sich aus Anlass der zur Zeit stattfindenden 11. EKD-Synode mit Fragen von Religion und Glaube beschäftigte, die Sinnhaftigkeit des Religionsunterrichtes an den Schulen bekräftigt. Wörtlich sagte sie, dass der Religionsunterricht kein Unterricht wie jeder andere sei. Die Religionen sollten sich mit „Toleranz und Respekt“ begegnen, man dürfe aber Differenzen nicht zudecken. In diesem Sinn bejaht die Kanzlerin auch deutlich die Bekenntnisorientierung des Religionsunterrichtes.

Zur Sicherung des Religionsunterrichtes gehört natürlich auch die dazu nötige Qualifizierung der Lehrkräfte an den Universitäten. Deshalb kann ich es mir nicht versagen, aus den Empfehlungen zu zitieren, die der Wissenschaftsrat im Januar 2010 verabschiedet hat. In ihnen heißt es:

„Religiöse Orientierungen und Bindungen bleiben auch in westlichen Gesellschaften eine wesentliche Quelle kollektiver Wertvorstellungen und von Regeln individueller Lebensführung. Der moderne demokratische Rechtsstaat hat daher ein vitales Interesse daran, religiöse Orientierungen seiner Bürger und Bürgerinnen für die Stabilität und Weiterentwicklung des Gemeinwesens fruchtbar zu machen. Moralische Empfindungen, für deren Formulierung Religionen differenzierte und kulturell tief verankerte Ausdrucksformen entwickelt haben, stoßen auch dort auf Resonanz, wo die Gesellschaft sich als säkular versteht, und werden in den allgemeinen gesellschaftlichen Verständigungsprozess einbezogen. Religionsgemeinschaften tragen beispielsweise ihre Sicht zu Debatten über Fragen des Umgangs mit Natur oder menschlichen Grenzerfahrungen bei.“ (Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen, Drs. 9678-10 vom 29.01.2010 (http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/9678-10.pdf; Stand: 10.11.2012).)

Und zu den theologischen Instituten an den Universitäten führt der Wissenschaftsrat aus: „Die Verlagerung der Studierendenzahlen und Studienabschlüsse hat in den letzten 15 Jahren die faktische Bedeutung der Institute ohne Fakultätsstatus deutlich gesteigert, ohne dass dies immer angemessen von den Kirchen, Fakultätentagen bzw. Fachverbänden wahrgenommen worden wäre. Anders als die vielerorts traditionsreichen Fakultäten, die über ein großes theologisches Fächerspektrum mit entsprechender Ausstattung verfügen, ist die personelle und sachliche Ausstattung der theologischen Institute vielfach bescheidener. Hier studieren jedoch – ohne Berücksichtigung der pädagogischen Hochschulen – rund 45 % aller Studierenden der Theologie. Ihre Lehr- aber auch ihre Forschungsleistung bedarf also der besonderen Aufmerksamkeit.“ (S. 63. Zu beachten ist die ganze Seite!)

Was schließlich die Möglichkeiten der konfessionellen Kooperation in den Schulen angeht, wie sie seit der Synode im Blick sind, so sollen diese weiter bedacht und auch erprobt werden. Dabei kann der Blick auf Modelle des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichtes, wie sie z.B. in den Erzbistümern Paderborn und Freiburg sowie in den Bistümern Rottenburg-Stuttgart und Münster praktiziert werden, hilfreich sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von Albert Einstein stammt bekanntlich das Wort: „Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn wir alles vergessen, was wir gelernt haben.“ Auf die religiöse Bildung bezogen, heißt das: Religiöse Bildung, gerade auch die, die im Religionsunterricht vermittelt wird, ist nicht einfach eine Kumulation von Wissen, sondern zielt darüber hinaus auf die Aneignung von Haltungen, Grundüberzeugungen, sozial-kultureller Kompetenz. All das hat unsere Gesellschaft für ein gutes Zusammenleben wahrhaftig nötig.

Ich möchte am Ende meiner Ausführungen all denen danken, die sich für einen qualitätvollen Religionsunterricht einsetzen. An erster Stelle danke ich den Lehrerinnen und Lehrern, die sich täglich in den Schulen darum mühen. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in unseren bischöflichen Verwaltungen, die im Sinne von Unterstützung und Aufsicht tätig sind. Ich danke den Professorinnen und Professoren, die in der universitären Ausbildung die künftigen Religionslehrerinnen und –lehrer begleiten. Ich danke den Verantwortlichen in den Studienseminaren und denen, die als Mentorinnen und Mentoren den jungen Kollegen zur Seite stehen. Nicht zuletzt danke ich - auch im Namen meines Mitbruders Bischof Karl-Heinz Wiesemann - der saarländischen Landesregierung für die Verantwortung, die sie in diesem Bereich wahrnimmt und für ihre Kooperationsbereitschaft. Alle Genannten leisten damit einen unverzichtbaren Dienst für unsere Kirchen und für unsere Gesellschaft. Mit meinen Gedanken möchte ich Sie zugleich ermuntern, diesem Auftrag treu zu bleiben.

Weiteres:

Die Freiheit zu glauben – Das Recht zu wissen

bei anderen Anlässen