Schrift-Texte: Jes 9,1-6 / Tit 2,11-14 / Lk 2,1-14
Schwestern und Brüder im Glauben!
In unserem Dom- und Diözesanmuseum, nur wenige Schritte von hier entfernt, befindet sich zur Zeit eine Ausstellung von Krippen aus drei Kontinenten. Aus Europa, Afrika und Lateinamerika wurden dazu Krippen zusammen getragen unter dem Titel: »Jesus ein Gesicht geben«. Es ist faszinierend zu sehen, wie sehr die Krippenbauer dieses Programm verwirklicht haben. Denn sie haben dem Jesuskind nicht nur ein Gesicht gegeben. Sie haben dem Kind ihr Gesicht gegeben. Das Jesuskind und die anderen Figuren an der Krippe tragen unverkennbar die Züge von Menschen aus Europa, aus Afrika, aus Lateinamerika. Nicht die historische Genauigkeit war für die Künstler entscheidend, sondern die Übertragung in die eigene Lebenswelt. So tun es die Künstler übrigens bereits seit Jahrhunderten. Sie fühlen sich berechtigt, das Geschehen von Bethlehem in den Raum und die Verhältnisse ihrer Zeit zu übertragen. Dadurch bekommt der Jubelruf des Jesaja »Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt« (Jes 9,5) einen je persönlichen Klang. Menschen, Gläubige machen sich das Kind und seine Botschaft zu eigen. Das ist im Sinne Gottes. Das findet sein Wohlgefallen.
Unter den vielen Krippen in unserem Museum sticht eine Krippe besonders hervor: Sie kommt aus dem westafrikanischen Staat Mali. Durch die farbenfrohen Kleider der Figuren zog sie mich auf einem Rundgang durch die Ausstellung besonders an. Beim näheren Hinsehen bin ich allerdings zurückgeschreckt. Denn die Figuren samt ihren Heiligenscheinen sind aus alten Blechdosen zusammengelötet. Und diese Blechdosen sind nicht einmal gewöhnliche Blechdosen, nein, es sind Behälter, in denen sich vorher Insektenvernichtungsmittel fand, - ausgerechnet! Deutlich kann man auf den Kleidern der Figuren noch die Produktangaben erkennen, auf dem Rock des heiligen Josef sogar die Abbildung eines ekligen, langbeinigen Insekts.
Die Krippe aus Mali: eine Art Recycling-Krippe. Im Begleittext zu dieser Krippe erinnert das Museum daran, dass Mali eines der ärmsten Länder der Erde ist. Müll sammeln ist dort ein Beruf. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass die Krippen aus Müll, die junge Handwerker herstellen, inzwischen in den USA, in Europa und Japan sehr begehrt sind. Man muss sie schon zu Jahresbeginn bestellen, wenn man rechtzeitig zum Weihnachtsfest eine solche Krippe haben möchte.
Je länger ich die eigenwilligen Krippenfiguren aus Mali betrachtete, umso mehr ging mir auf, welch tiefe Glaubensaussage diese Darstellung enthält, und ich dachte mir: In dieser Krippe steckt meine diesjährige Weihnachtspredigt drin! Denn so handelt Gott: Er kommt in diese Welt, die seine gute, seine sehr gute Schöpfung ist, die aber von uns Menschen an so vielen Stellen verschmutzt und vergiftet wird. Gott kommt in die Welt, die das Produkt seiner Liebe ist und die wir an so vielen Stellen verunstalten. Dabei denke ich übrigens nicht nur an die Verschmutzung der Umwelt, sondern auch an die Vergiftung unseres menschlichen Zusammenlebens durch Neid, durch Habgier und Maßlosigkeit, durch Hass und Gewalt. Statt in ihrer Schönheit präsentiert sich die Welt oft genug von ihrer hässlichen Seite, ausgesaugt, verbraucht, ihres Besten beraubt. Übrig bleibt allzu oft nur die Verpackung, der leere Schein in mitunter schriller Farbigkeit, aber ohne Inhalt. Dann verlieren wir Menschen und die Welt unseren eigentlichen Wert, werden wertlos wie Abfall im wahrsten Sinne des Wortes: weil ab-gefallen von Gott, abgewandt von ihm, unserem Schöpfer und den geheimnisvollen Gesetzen, die er seiner Schöpfung eingeschrieben hat. »Wie unreine Menschen sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid«, so gesteht in einem Bußgebet bereits der Prophet Jesaja, von dem wir in der ersten Lesung gehört haben (Jes 64,5).
Und wie reagiert Gott? Er reagiert, wie er es im Alten Bund Noach versprochen hat, als er sagte: »Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben« (Gen 9,11). Gott setzt einen Neuanfang, aber er macht dazu nicht Tabula rasa, drückt nicht den »Reset-Knopf« wie beim Computer, um noch einmal ganz neu zu starten. Nein, an Weihnachten setzt Gott einen neuen Anfang mitten in dieser konfliktbeladenen und sündigen Welt, indem er selbst kommt, indem er die geschundene und verwundete Natur des Menschen annimmt, indem er Mensch wird unter Menschen. Wie die Krippenbauer von Mali in ihren Krippen den wertlosesten Abfall veredeln, so nimmt Gott das von der Sünde gezeichnete, zum Teil geradezu entstellte Leben dieser Welt an und veredelt es auf seine, ganz einzigartige Weise. So setzt Gott, mitten im Alten, einen neuen Anfang; schenkt er der Welt einen ganz neuen Glanz von der Krippe - das heißt von einem unansehnlichen Stall! – her.
Weihnachten, das ist das Wunder eines neuen Anfangs mitten im Alten. Weihnachten, das ist der Beginn der neuen Schöpfung, ohne die alte hinwegzufegen, sondern indem sie in Liebe angenommen, gereinigt und verwandelt wird. Ist das nicht eine wunderschöne Botschaft? Ja, das ist sie, wahrhaftig. Wenn wir sie nicht schon so oft gehört hätten, wenn die Weihnachtsbotschaft nicht so instrumentalisiert und verkitscht würde, dann müsste sie uns in ihrer Schönheit regelrecht erschüttern.
Doch was heißt hier »müsste«? Wenn wir, liebe Schwestern und Brüder, wirklich Weihnachten feiern wollen, dann müssen wir zu dieser ursprünglichen, positiven Erschütterung zurückfinden. Es ist die Erschütterung, die auch die Hirten erfasst hat, als sie zunächst von Furcht und dann von großer Freude erfüllt wurden. Nur diese positive Erschütterung, die von Gott kommt, lässt uns Weihnachten wirklich verstehen. Zugleich ist sie, davon bin ich überzeugt, auch die einzige wirkliche Möglichkeit, unsere Welt zum Positiven zu verändern, damit Neuanfänge möglich werden in unserem persönlichen Leben ebenso wie in den großen gesellschaftlichen Zusammenhängen.
Erschütterung allein, das bloße Erschrecken, bewirkt noch keinen Neuanfang. Das wissen wir aus der eigenen Lebenserfahrung, und das erleben wir auf der Weltbühne: Hat nicht die Finanzmarktkrise weltweites Erschrecken ausgelöst? Was aber hat dieses Erschrecken an echter Veränderung bewirkt? Zu einem Umdenken, einer wirklichen Neuorientierung hat es offensichtlich bisher nicht geführt. War die Öffentlichkeit nicht schockiert durch den Freitod des von Depressionen geplagten Fußballspielers Robert Enke? Ob aber die damals spürbare Nachdenklichkeit über unsere Leistungsgesellschaft anhält? Ich bin skeptisch. Und denken wir nur an den Weltklimagipfel der Vereinten Nationen in Kopenhagen, der vor einigen Tagen zu Ende ging: Sind die Szenarien, die uns selbst die besonnensten Klimaforscher ausmalen, wenn wir mit unserem Energiehunger so weiter machen, nicht erschreckend genug? Umso kümmerlicher sind die Ergebnisse. Erschrecken allein reicht offensichtlich nicht. Drohszenarien bewirken keine nachhaltige Veränderung. Lässt nämlich der Druck nach, kehren wir in unsere alten, eingefahrenen Verhaltensmuster zurück. Deshalb hat auch die Glaubenserfahrung Recht, die sagt: »Not lehrt beten, aber nicht anbeten.«
Genau das aber bräuchten wir: die Haltung der Anbetung, anders gesagt: die Haltung einer positiven Erschütterung, die uns dankbar staunend auf die Knie sinken lässt, weil uns im Geheimnis der Weihnacht etwas gezeigt wird, das uns nicht erschrecken, sondern uns in seiner einfachen und friedlichen Schönheit positiv erschüttern will, so dass wir spüren: Was uns da gezeigt wird, das ist wahr! Und es lohnt sich, mein Leben von diesem Geheimnis prägen zu lassen. Denn dann bekomme ich den Mut zu Veränderung und Neuanfang. Sollte Sie also, liebe Schwestern und Brüder, in diesen weihnachtlichen Tagen eine solche Empfindung überkommen, dann verscheuchen Sie sie nicht, sondern lassen Sie sie - um Gottes und Ihrer selbst willen - zu. Amen.