Liebe Weihekandidaten, liebe Angehörige und Freunde,
liebe Mitbrüder im geistlichen Amt, liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Das letzte Kapitel des Johannesevangeliums, das die Weihekandidaten für diesen Gottesdienst ausgewählt haben, führt uns dorthin zurück, wo alles angefangen hat: nach Galiläa, an den See Gennesaret, der bei Johannes „See von Tiberias“ heißt. Dort hat Jesus die Fischer berufen, ihm zu folgen. Dort haben die Jünger zusammen mit ihm ihre ersten Schritte getan. Fast scheint es so, als ob alles wieder auf den Anfang zurückgestellt würde.
Und doch ist alles anders. Denn die, die in dieser Nacht in das Boot steigen – allen voran Simon Petrus, waren drei Jahre lang mit Jesus zusammen. Sie haben seine Botschaft gehört, haben seine Machttaten gesehen, waren nicht nur Zuschauer und Mitläufer, sondern seine Mitarbeiter und Freunde. Zugleich sind sie diejenigen, die ihn verlassen und verleugnet haben. Aber sie sind auch diejenigen, denen er gezeigt hat, dass er nicht im Grab geblieben ist, sondern lebt. Alles erinnert in dieser Szene an den Anfang, und doch ist alles ganz anders. Oder sollte es tatsächlich so gewesen sein, dass die Jünger in der Gefahr standen, aus „Menschenfischern“ wieder zu „Fischefischern“ zu werden? Sie werden vor dieser Gefahr bewahrt, weil Jesus ihnen entgegenkommt. Johannes erkennt ihn als erster und macht Petrus darauf aufmerksam, indem er ihm zuruft: „Er ist es, unser Herr!“ Daraufhin gürtet sich Petrus und springt in den See, um zu Jesus zu kommen.
Liebe Weihekandidaten, diese kleine Szene soll Euch an diesem Morgen Eurer Weihe ein erster biblischer Impuls sein. Er soll in Euch die Dankbarkeit stärken darüber, dass es auf Eurem Lebensweg Menschen gab, die Euch auf Jesus aufmerksam gemacht haben, Euch mit ihm in Berührung gebracht haben, Euch vielleicht regelrecht in die Rippen gestoßen haben – Eure Eltern, Priester, Lehrer, Freunde … – Menschen, durch die Ihr den Mut bekommen habt, den Sprung in die Nachfolge, in die Priesterausbildung zu wagen und in ihr Schritt für Schritt weiterzugehen. Die Dankbarkeit darüber gehört in den heutigen Tag. Denn keiner findet den Weg des Glaubens für sich allein.
Eure Hauptaufgabe, ja Eure Lebensaufgabe als Priester und auch schon als Diakon wird es sein, die Menschen mit Jesus bekanntzumachen, auf ihn hinzuweisen in Wort und Tat. Gemeinhin haben wir die Vorstellung, dass diejenigen, die zur Verkündigung des Evangeliums bestellt sind, Jesus zu den Menschen bringen. Und das stimmt ja irgendwie auch. Aber wenn wir aufmerksam sind, werden wir auch entdecken, dass Jesus oft schon vor uns da ist – vielleicht noch unerkannt wie damals in der Morgenfrühe am See von Tiberias und doch wirklich. Dann besteht unsere Aufgabe darin, wie Johannes den Menschen zu sagen: „Schau, Jesus ist schon da. Er ist schon in deinem Leben. Er wartet auf dich. Er will dir begegnen!“ Denken wir immer daran: Wir haben kein Monopol auf die Gegenwart Jesu. Wir haben ihn nicht als Besitz, den wir nach Gutdünken mit anderen teilen könnten. Der Herr bleibt uns immer voraus, überrascht uns mit seiner Gegenwart an Orten und bei Menschen, wo wir es nicht erwartet hätten.
Liebe Brüder, noch etwas kommt hinzu: Wenn es wahr ist, dass wir selbst den Weg in den Dienst Jesu nicht gefunden hätten, ohne dass andere uns auf ihn aufmerksam gemacht hätten, so gilt dies nicht nur nach rückwärts für die Geschichte unserer Berufung. Nein, auch als Amtsträger, als Verkünder brauchen wir Menschen, die uns immer wieder auf Jesus hinweisen, gerade dann, wenn wir wie die Jünger den Eindruck haben, unsere Anstrengungen sind vergeblich, unsere „Netze“ bleiben leer. Die Verkündigung des Evangeliums ist keine Einbahnstraße, so sehr wir als Diakone, Priester und Bischöfe in einer besonderen Verantwortung stehen: Aber auch wir sind nicht nur Gebende, sondern bleiben Empfangende. Ja, wir sind und bleiben sogar darauf angewiesen, dass andere uns helfen, den lebendigen Christus zu entdecken.
Und damit will ich unseren Blick lenken auf ein zweites Detail aus dem Evangelium: Als die Jünger am Ufer ankommen, sehen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot. Und der Auferstandene lädt sie ein: „Kommt her und esst!“ Aber zugleich sagt Jesus zu ihnen: „Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt.“ Das klingt nach menschlicher Logik widersprüchlich. Doch es ist die Logik Gottes, die Logik der Gnade: Gott hat alles. Er ist nicht darauf angewiesen, dass wir ihm etwas geben. Im Gegenteil: Er ist bereit, alles, was er hat, mit uns zu teilen. Und doch bezieht er uns ein; will er, dass wir das einbringen, was wir geben können. Das tut er nicht bloß pro forma. Er spielt nicht mit uns, tut nicht bloß so als ob, sondern er nimmt uns ernst, macht sich sogar in gewisser Weise von uns abhängig. Denn er überträgt den Jüngern die Verantwortung für die Ausbreitung seiner Botschaft, aber er lässt die Jünger dabei nicht allein. Sonst wäre der Auftrag zu groß und zu schwer.
Diese Logik Gottes, dieser Stil muss das Wirken der kirchlichen Amtsträger prägen. Die Apostel haben dies verstanden (auch wenn sie es wohl erst lernen mussten). Wir haben es eben in der Lesung aus der Apostelgeschichte gehört: Die Zwölf bestellen Mitarbeiter im Dienst an der Gemeinde. Sie beziehen andere mit ein in ihren Auftrag: die Diakone. Deren Aufgabe mag auf den ersten Blick aussehen wie ein niederer Dienst („nur“ an den Tischen, nicht am Wort), aber dieser Dienst bringt eine Persönlichkeit hervor wie Stephanus. Noch vor den Aposteln wird er zum ersten Blutzeugen der Kirche und damit zu einem besonders glaubwürdigen Zeugen des Wortes.
Ein Schlüsselwort der Verkündigung von Papst Franziskus heißt „integrare“, „einbeziehen“. Jesus hat von Anfang an die Logik der Integration praktiziert, indem er Mitarbeiter für seinen Auftrag berufen hat, auch wenn er sich denken konnte, dass sie hinter dem Auftrag zurückbleiben, dass sie nie so glaubwürdig würden auftreten können wie er selbst. Dennoch wollte er die Welt nicht erlösen ohne sie, ohne ihr Mittun.
Liebe Mitbrüder, nichts stärkt Menschen in ihrer Würde und ihren Fähigkeiten so sehr wie Beteiligung. Bitte werdet Amtsträger, die nicht als Einzelgänger wirken in der Meinung, dass niemand anderes es so gut und so richtig machen kann wie sie selbst. Bitte seid Amtsträger, die die Menschen, zu denen Ihr gesandt werdet, ernst nehmen und nach Kräften beteiligen und einbeziehen. Denn erst dann wird das Evangelium seine ganze Kraft entfalten!
Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf das berührende Gespräch zwischen Jesus und Petrus: Petrus, der seinen Herrn verleugnet hat, wird am Ufer des Sees von Jesus nach seiner Liebe gefragt. Petrus muss seine Liebe zum Herrn erneuern. Erst danach vertraut ihm Jesus seine Schafe, d. h. die Kirche, an. Seinen Auftrag bekräftigt Jesus mit einer geheimnisvollen Prophezeiung: Amen, Amen, das sage ich dir: Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. (Joh 20,18) Und der Evangelist setzt als Erklärung hinzu: Das sagte Jesus, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde. Sich selbst gürten zu können, bedeutet, sein Leben selbst in der Hand zu haben, selbst bestimmen zu können. Wer dagegen mit ausgestreckten Händen von jemand anders gegürtet wird, ist wehrlos, muss vielleicht sogar erleben, dass ihm Fesseln angelegt werden. Das ist die Situation, die auf Petrus im Martyrium zukommen wird.
Liebe Mitbrüder, wenn wir das Evangelium zusammenhören mit der ersten Lesung, die Ihr aus dem Buch Jeremia ausgesucht habt, dann bekommt das Wort von dem Sich-Gürten noch eine andere Bedeutung: Der Prophet wird bei seiner Berufung von Gott eigens dazu aufgefordert, „sich zu gürten und vor das Volk hinzutreten“, um ihm das zu verkünden, was der Herr ihm aufgetragen hat. (Jer 1,17) Mit der Aufforderung, sich zu gürten, meint Gott nicht, dass der Prophet sich ordentlich anziehen soll, bevor er vor das Volk hintritt. Im „Gürte dich!“ schwingt mit: „Wappne Dich! Bewaffne Dich!“ (vgl. 1 Kön 20,11) Gott weiß, dass der Auftrag des Propheten nicht leicht sein wird, gerade dann, wenn er gegenüber dem Volk Kritisches zu vermelden hat. Deshalb braucht er eine entsprechende Ausstattung. Natürlich denkt Gott hier nicht an einen Waffengürtel im Sinne einer militärischen Ausrüstung für den Propheten, sondern an das, was Paulus die „Waffen des Lichts“ nennt (vgl. Röm 13,12; vgl. auch 2 Kor 6,7; 10,3).
Liebe Schwestern und Brüder, auch heute brauchen Verkünder der Botschaft Gottes eine gute Ausrüstung, damit sie in den vielfältigen Herausforderungen standhalten können. Sie brauchen eine gute intellektuelle, spirituelle und menschliche Zurüstung für ihren Dienst. Ohne das geht es nicht. Dem dient die lange Zeit der Priesterausbildung. Aber am Ende steht über allem dieses letzte Wort Jesu an Petrus. Übertragen auf unsere Mitbrüder besagt es soviel wie: „Ja, gerade am Anfang werdet ihr Euch noch selbst und fest gürten, werdet Wert legen auf eine gute theologische und pastorale „Munition“. Aber mehr und mehr muss und wird der Punkt kommen, an dem Ihr Euch daran nicht festklammert, sondern die Hände ausstreckt und Euch noch mehr als bisher von Jesus führen lasst.“ Denn anders, liebe Mitbrüder, werdet Ihr im Dienst nicht weiterwachsen, werdet Ihr stehen bleiben, werdet Ihr starr und hart werden.
Die Fratres maiores, die heute hier sind, und alle anderen Mitbrüder werden es bestätigen: So wichtig gerade zu Beginn ein gutes Selbstbewusstsein ist, ein klares Verständnis über die eigene Rolle als Amtsträger, so wichtig feste theologische Überzeugungen sind, so wichtig ist es auch, den eigenen „Ausrüstungsgürtel“ immer wieder zu überprüfen, um vermeintliche Sicherheiten loszulassen. Nur so kann die Sicherheit wachsen kann, die wirklich ganz aus der Liebe zu Jesus Christus kommt und die dann noch trägt, wenn sich überkommene Sicherheiten auflösen, wie ein alter Gürtel.
Liebe Weihekandidaten, liebe Schwestern und Brüder! Ja, das Schlusskapitel des Johannesevangeliums kehrt in seiner Beschreibung noch einmal an den Anfang zurück. Alles scheint schon einmal dagewesen und doch ist alles anders. Das gilt auch für das letzte Wort Jesu an Petrus: Folge mir nach! (Joh 21,19.22) Mit diesem Wort hatte bei den Jüngern alles angefangen, aber nun klingt es anders: Es klingt ernster und umfassender zugleich. Aber es macht auch Mut. Denn wenn der Auferstandene auffordert „Folge mir nach!“, dann sagt er damit zugleich, dass er diese Welt nicht verlassen hat. Er geht weiter in ihr und mit ihr, auch in unserer Zeit. So ist Nachfolge möglich. Amen.